Loop ins neue Jahr

Allen, die diesen blog lesen, zunächst die besten wünsche zum neuen jahr, viel gesunde reflexion darüber, was daran neu sein kann, und viel glück beim leben der ergebnisse eures nachdenkens und handelns.

Bis auf weiteres schreibe ich in kleinbuchstaben, weil mein pc defekt ist. Ihr könnt euch an diese ungewohnte moderne auch gewöhnen, es wird wieder anders. und bitte verbreitet diesen blog, ich habe keine sozialen netzwerke…

Danke für eure freundliche begleitung durchs bloger jahr. Auch das wird hoffentlich gut und besser. Von euch wünsche ich mir mehr kritik und kommentieren, für euch wünsche ich mir, dass ihr freude an themen außerhalb von t&c habt und ein wenig die zukunft genießt. Wir haben ja noch einiges vor uns, bevor wir alles hinter uns haben.

Prosit Neujahr. Das wünschte vor einer stunde riccardo muti mit den wiener philharmonikern beim neujahrskonzert aus dem musikvereinssaal. Selten hat dieses ereignis mich so vielschichtig bewegt. Dass kein publikum da war, hat bei der tollen akustik nicht gestört, die loge des präsidenten war auch leer, ich habe mir dort alexander van der bellen so gewünscht wie früher heinz fischer, österreich hatte da zwei präsidenten, die weit besser waren als die regierungen zu der zeit.

Ich höre dieses konzert seit vielen jahren, unterschiedlich aufmerksam. Je länger ich von wien entfernt lebe, desto mehr verstehe ich, warum berlin hinten ansteht. Aber dieses jahr war es besonders. Man konnte sich wirklich auf die musik konzentrieren, und fast alle damit verbundenen assoziationen haben eine vergangenheit heraufbeschworen, die zwar nicht geschichte schon ist (noch lebe ich), aber doch vieles anschneidet, das sich klarer und deutlicher abhebt von einem alltag, in dem silvester und neujahr eher müde rituale darstellen. 

Muti spielt seit 50! Jahren mit den philharmonikern. Damals bin ich oft allein oder mit freunden zu den konzerten am Sonntag vormittag gegangen, um durch ein lächerlich kleines trinkgeld noch auf den stehplätzen ganz hinten die musik zu hören, wenn man schon keinen sitz ergattern konnte. Damals war auch die musikalische einführungszeit vorbei, die ich in bundesheerunifom und gratiskarten häufig jenseits des zapfenstreichs in der oper oder im theater verbracht hatte. Aber die symbolik des neujahrskonzerts war schon teil der familiengeschichte: die apothekenglocke durfte nicht läuten – hat sie doch, zum ärger meiner tante – und das orchester, damals nur männlich, hat noch die spuren der silvesternacht deutlicher als heute gezeigt, einschließlich willy boskowski, der viele jahre lang dirigierte. Die meisten walzer und polkas sind ja nicht immer mein geschmack. In diesem jahr war der durchaus zweitrangige karl komzak mit den „Badener madeln“ aber erinnerungsschwer,  weil ich ja 7 jahre in baden bei wien gelebt hatte, und man sah die entscheidenden ort, den kurpark, das theater, das beethovenhaus und daneben die gründerzeitpolizeiwache…ach baden, damit verbinden mich heute nur mehr die abiturstreffen und die bücher von marlene streeruwitz. Und erinnerungen, die hart an der grenze von vergangenheit und geschichte sind…und dann waren einige stücke mit dem herrlichen staatsopernballetthinterlegt, diesmal im park des palais liechtenstein, dem gegenüber ich in die französische grundschule ging, und später habe ich da beim österreichischen universitätenkuratorium gearbeitet, und in allen häusern rundherum spielt  doderers „strudlhofstiege“. überhaupt der für mich vielleicht zweitwichtigste stadtbezirk von wien…der tanz war verwegen modern, auch in den farben.

Weil das burgenland erst seit 100 jahren zu österreich gehört, also nicht weiter zu ungarn, wurde ein schöner film  eingespielt. Beginnend mit dem haydnquartett, aus dem leider die deutsche nationalhymne hervorgegangen ist, aber man sah die schönen städte eisenstadt und rust, die burgen – lockenhaus vor allem, auch ein musikereignis – und wieder die präzision der erinnerung an die orte und landschaften einer zeit, die ein anderer planet sich anfühlt, nie geschichte wird, aber sehr wohl zur formativen vergangenheit gehört. Nach einem wg freund aus der damaligen zeit werde ich mich jetzt digital umschauen…

In seiner neujahrsansprache hat muti sehr präzise durchaus politisch die rolle der kultur für unsere gesellschaft angesprochen, besser als die meisten salbungsvollen reden … also. Der auftakt hätte nicht besser gelingen können.

A propos zeitgeist. Bei den wiener philharmonikern sitzen so viele frauen wie nie hinter den pulten, in allen instrumentengruppen. Das erfreut. Und leitet zu dem über, was mich in diesen tagen eher bitter bzw. kritisch macht. Ist ja gut, wenn im ehemals rein weißen europa sowohl fragen der ethnischen diversität als auch der gender quality sich mit einem postkolonialen impetus verbindet, der vielleicht nicht übertrieben, isoliert erscheint. Dabei wird oft übersehen, dass kultur aus der damaligen zeit keineswegs dadurch entschuldigt wird, dass man sie sowohl aus der zeit als auch aus dem heutigen blick und wissen versteht[1]. Diese verengte sicht der intellektuellen und kulturellen prioritätensetzung lenkt nur zu leicht von den entsetzlichen sozialen verschlechterungen – bei den flüchtlingen noch mehr als in unserer privilegierten gesellschaft, aber auch da, und massiv – ab und von den politischen prioritäten wie klima und krieg. Ja, auch bei uns, und das klassen- und schichtdominierte deutsche schulwesen zeigt jetzt die offene wunde der sozialen diskriminierung stärker als je seit den 1960ern zuvor.

Ich verfalle nicht in eine wohlständige und unanständige depression, die mich dann pathologisch begründet lähmt, etwas zu denken, zu sagen und zu tun. aber ich bin melancholisch, weil mir die wahrheit bloch satz „hoffnung ist nicht zuversicht“ selten so deutlich wurde, wie in diesen tagen. Die euch allesamt in ein gutes jahr bringen sollen, vielleicht in eine achsenzeit hin zu einer politischen und kulturellen wende.


[1] Keine vorlesung, aber es lohnt sich den unterschied zwischen emisch und etisch in der anthropologie ganz anzuschauen. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Emisch_und_etisch .

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