Jüdischer Einspruch XXI: befreit euch.

Unbedingt lesen: https://zeitung.sueddeutsche.de/webapp/issue/sz/2021-02-19/page_2.454859/article_1.5210583/article.html

In einer langen Diskussion zwischen Susan Neiman und Michael Brenner sagt Neiman u.a.:

Das ist eine Taktik von Rechten, den eigenen Rassismus mit einer Art Philosemitismus zu verdecken, das kann man auch anderswo beobachten, bei Trump etwa. Nur sind die Rechten in Deutschland auf deutsche Schuldgefühle gestoßen. Hier sagt niemand: Moment mal! Sondern: Oh mein Gott, wir müssen für die Juden aufstehen! Ich finde es wichtiger, sich mit dieser Taktik zu befassen als mit allen möglichen Definitionen von Antisemitismus. (19.2.2021)

Natürlich geht es auch um BDS, um Mbembe, um Netanjahu und um Kritik an Israel. Aber schon dieser eine Absatz ist in seiner Klarheit befreiend.

Bitte auch zurückschlagen und lesen: Jüdischer Einspruch XVIII und XX. danke.

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 Es mag  euch Leser*innen seltsam erscheinen, dass mich das Thema ein Leben lang beschäftigt. Seit meiner Kindheit, und sicher avant la lettre,  wie man sagt. „du bist der deutsche Michel,  und nicht der jüdische Michael“, sagte eine entfernte Verwandte aus dem nichtjüdischen Zweiglein meiner Familie des Öfteren. Hab ich gar nicht verstanden. Aber die vielschichtige Umgebung von Beschweigen und Offenbaren, sozusagen eine immer negative Identitätsdiskussion über viele Jahre hinweg, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt und mich umso nachhaltiger um Positionen jenseits von Anti- und Philosemitismus suchen lassen, inclusive der retrospektiven Scham über Judenwitze und Missverständnisse der Kindheit. Als das vorbei war, da begann ich 16 und älter zu werden, bildete sich ein Selbstverständnis heraus, das sich immer mehr der Position von Hannah Arendt in ihrer späten Auseinandersetzung mit Gershon Scholem annähert. Ludger Lütkehaus in Kurzform: https://www.nzz.ch/ unversoehnte_dissonanz-1.7800677 (20.2.2021) . So hoch greifen? Natürlich, wir sind auch nicht anders als andere, was übrigens der Kern des Problems ist. Der andere Kern: natürlich sind wir wir und nicht ihr. und umgekehrt.

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Dass auch diese einfache Tatsache den frühesten wie den späteren Antisemitismus prägt, habe ich anhand des neuen Buchs von Delphine Hofvilleur im letzte Blog ja dargelegt. Die ständig unfertige, nie ganzheitliche Struktur jüdische Identifikationen ist weder Makel noch Auserwählung,  sondern, wenn man so will, Kultur- und Sozialanthropologie in einem. 

Es gibt in den verschiedenen Varianten keinen Philoislamismus, keinen Philoarianismus, keinen Philogermanismus. Philo=Anti, Freund=Gegner, manchmal nicht so gemeint, fast immer so bedeutet. Schuld sühnt man nicht durch die Entschuldigung. (Sprachspiel, gewiss, aber Entschuldung ist eben etwas anderes). Umgekehrt wäre Judäophobie so inkorrekt wie es die Islamophobie noch kaum ist, und religionsgeschichtlich müsste wenigstens die Christophobie ihren Begriff haben. Aber der Philosemitismus wird ein stehendes Kennzeichen angeblich begriffener Geschichte und Entschuldigung. Etwas härter formuliert: diese Judenfreundschaft ist wie Aneignung der Juden, die man dann eben neu definiert, weil man das Vergangenheit schuldig ist, nicht aber jemandem oder wem.

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Ich erinnere mit Grausen der neuen Hochachtung für Moshe Dayan[1] im Sechstagekrieg1967 seitens der deutschen Rechten, natürlich niemals offiziell.

Warum ich mich darüber aufrege, naja, gedämpft, ermüdet seit meinen ersten öffentlichen Äußerungen dazu[2], vor vielen Jahren? Das Pathos der 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland nervt. Ihr findet hunderte Eintragungen im Netz unter diesem Stichwort. Bei 1699 war noch nix los. Es ist gut, dass man einer von vielen nicht bewussten Geschichte gedenkt. Aber: Was gibt es da zu feiern? Dass wir – wer ist wir? Siehe oben – aus der Geschichte gelernt haben? Und was, wenn ich bitten darf? Gerade weil vieles heute bewusster und damit besser ist als früher, weil bewusst ja auch kritischer bedeutet, ist die Bemächtigung Israels durch die heutigen Rechten keine Lappalie. Sie baut nämlich auf eine ideologische Verbindung, die vor der Politik auch nicht Bestand hätte, incl. Netanjahu, weil es dieser deutschen Rechten ja darum geht, sich mit Zeugen zu wappnen, an deren Entwicklung sie bzw. ihre Vorbilder mit Schuld haben: die Entwicklung mit mehr als 6 Millionen Toten und einem Staat, der nicht nur dieser Toten wegen auch, auch von Überlebenden gegründet wurde. An denen  vergreift sich die deutsche, die europäische, die antisemitische Rechte, die sich mit Philosemitismus tarnt und mit einer Israelfreundschaft, die übersieht, dass nur Kritik Zeichen aufrichtiger Anerkennung sein kann.

Daxner, M. (1995). Die Inszenierung des guten Juden. Kulturinszenierungen. S. M.-D. u. K. Neumann-Braun. Frankfurt, Suhrkamp.

Daxner, M. (2007). Der Antisemitismus macht Juden. Hamburg, merus.


[1] https://orf.at/v2/stories/2018637/ (20.2.2021). zu Recht umstritten, aber oft zu Unrecht mit den falschen Argumenten.

[2] Daxner, M. (1995). Die Inszenierung des guten Juden. Kulturinszenierungen. S. M.-D. u. K. Neumann-Braun. Frankfurt, Suhrkamp, Daxner, M. (2007). Der Antisemitismus macht Juden. Hamburg, merus.

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