„Wenn es eine Antwort gibt auf die Frage, warum Menschen Karrieren knicken, um Antiquare zu werden, dann heißt sie: Aus Liebe.“
ZEIT Magazin #43, 21.10.2021, S.37
Die Menschen, Plural; Liebe, Singular.
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Selten hat eine bedeutende Autorin in so knappen Worten den Singular in unserer Sprache, in den Sprachen allgemein, dekonstruiert, wie Marlene Streeruwitz. Da ich sie kenne und schätze, muss ich versuchen, nicht einfach ihr Recht zu geben, wo der Weg zu diesem Recht klippig und schwierig ist. Geschlecht. Zahl. Fall. So heißt das neue Buch mit den Poetikvorlesungen zur Joseph-Breitbach-Dozentur 2021, S. Fischer Verlag.
Auf knappen zwei Seiten einer hochverdichteten Vorlesungsreihe wird die HERRschaft des Singular unaufgeregt präzise beschrieben, erläutert, kritisiert und attackiert, wie meines Wissens kein einschlägiges Fachwerk es so präzise könnte. Ich zitiere erst einmal die mir wichtigen Sätze: Was Liebe ist, diktiert sich aus den kulturellen Zusammenhängen im Verhältnis zu der eigenen, gelebten Erfahrung. Aber. Die jeweilige Bedeutungsfüllung eines solchen Worts. Sie ist einerseits notwendig, das Zeichen überhaupt erkennen zu können. Dass es Liebe gibt und dass wir wissen, was dieses Bezeichnete ist, das ermöglicht Kommunikation. Aber. Der Ausschluss aller anderen möglichen Bedeutungen und die Einengung der enthaltenen Bedeutung auf den Singular der jeweiligen Kultur macht andererseits ein Gebot aus dem Wort. So und nicht anders ist Liebe zu verstehen. Jedenfalls bei uns. Dieses in aller Informalität alles bestimmende „So“. (S. 14) Und ähnlich knapp, vermittels ihrer Erfahrung als katholisch sozialisierter Frau, beschreibt sie den Weg von der Liebe zu Jesus zur Liebe zu einem Mann. „Die Vorschrift romantischen Liebens, „Er atmet. Sie atmet in ihm.“, war im Singular der Liebe eingeschlossen. Diese so früh vermittelte Gebotsstruktur hat lebenslängliche Wirkung…Die Verwendung des Singulars verhindert ja schon die Sicht auf den Widerspruch zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Es geht um diese eine, gültige Deutung von Liebe.“ Das Ideal aus dem Singular finden wir nicht, aber „Diese Wahrheit gegen die Einmaligkeit der Bedeutungsanhäufung des Singulars gehalten, wird als Verlust erlebt. Das Aufgeben des Singulars wird als kaum verschmerzbare Amputation gelebt“. (S. 15).
Kaum denkt jemand, na und?, da kommt die Ungeheuerlichkeit dieser Wahrheit zum Vorschein, wenn es nämlich zum Plural käme, wie anders vieles werden würde und müsste. Wir müssen nicht bei der Liebe stehen bleiben, was sie hier auftut, kann man auch übertragen auf andere Abstrakta, auf Glück, Not, Angst, Tod…und wieder, Drehung und Wendung: Volk, Zukunft, Ehre, Land. Natürlich ahnt ihr, worauf das hinausläuft. Aber ihr wisst auch, wie viele Seiten und Nebenwege die verschiedenen Wissenschaften und Poetologien wohl gehen, um das zu erträglich zu machen, was hinter dem Singular steht. Es ist für mich kein Zufall, dass die Vorlesung mit der Liebe beginnt, und später politisch und sehr gegenwärtig sich ausdifferenziert, aber bei der Liebe bricht der Subtext ja wohl bei jedem und jeder Erinnerung hervor.
Denn, was hat nicht alles das Wort „Liebe“ hervorgebracht und bewirkt? Weil sein Plural unkorrekt war, schon lange bevor das politisch gedeutet wurde. Dass und wie die Religionen, die christliche zumal, den Singular zum Dogma gemacht haben, wird nicht dadurch geheilt, dass viele Menschen ihren je eigenen Singular dem Dogma entgegenstellen, aber selten ihre Lieben leben, ohne dass diese nur Vor-Lieben wären…Geht einmal ins Internet und schaut nach, was da steht unter „Liebe bei Paulus“, nur ein Beispiel für den Singular. Nein, die Streeruwitz hält sich nicht bei dieser Rahmung von singulärer Unfreiheit auf. Das Entscheidende ist doch, dass jedes Verlassen dieses Singulars mit schlechtem Gewissen, Strafe, Ausgrenzung – oder Marginalisierung verbunden ist, man muss sich rechtfertigen für den Plural, der ja so nicht vorkommt…ich weiß schon, die Lieben, das sind Liebesbeziehungen, aber nicht der Plural von Liebe; ich weiß schon, wie das etwas weicher gespült werden kann, nur damit nicht die Macht, und die Herrschaft sozusagen vor der Klammer zivilisatorischer Entwicklung festgelegt wird.
Dazu handelt Marlene Streeruwitz den Zusammenhang politisch, kompromisslos weiter ab, und leitet auf die Facetten über, die aus der Maxime kommen, alle: „Immer aber geht es um die vorgeschriebene Eindeutigkeit als Ziel“ (17). Lest das weiter, mit mehr als Gewinn: es aktiviert, und nicht nur das Gewissen.
- Ich bleibe beim Singular der Liebe.
Der hat mich immer beschäftigt, etwa wenn von der Liebe Gottes die Rede ist, oder der eindeutigen Zweideutigkeit der amor patriae: die Liebe des Vaterlands und die Liebe zum Vaterland verschmelzen im Helden, im Veteranen, im Toten. Und ein Satz verfolgt mich über Jahrzehnte: Ödön von Horvath am Ende der Geschichten aus dem Wienerwald: Du wirst meiner Liebe nicht entgehen. Eine Drohung, die den Begriff zerstört, in dem „man“ „eigentlich“ das Maximum an Menschlichkeit vermuten müsste, eindeutig aus der Liebe Gottes abgeleitet und im Menschen gottähnlich verwirklichbar – aber das muss, kann nicht anders, als zur lebenslangen Amputation führen.
Dass sich die Weltliteratur bis ins kleinste Dorf („Welt“) immer um Liebe und/oder Macht dreht, ist so wenig originell wie trivial, ohne die beiden Singulare wäre die Kultur anders; und, darauf weist Marlene Streeruwitz hin, man muss auch fragen, welche „Identitäten zulässig“ , welche Identität behaupten darf – bei uns, diesem seltsamen Uns, das in die Eindeutigkeit gezwungen wird, von der Herrschaft.
(Ein Einschub: in einem früheren Blog habe ich auf Delphine Horvilleur hingewiesen, die eine der Wurzeln des Antisemitismus schon sehr früh darin gesehen hat, dass das Judentum nie fertig ist, nie eindeutig ist, und die anderen Ethnien in ihrer Eindeutigkeit die größten Perspektiven sehen (Horvilleur 2020). Man muss hier nicht die ganze Dialektik der Aufklärung und andere Kritiken der Eindeutigkeit aufrufen, wenn es um Begriffe geht (gerade die Abstrakta sind es ja, die Streeruwitz als Hebel der verengenden Herrschaft erkennt).)
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Die „Weise von Liebe und Tod“ (1899) von Rilke kennen viele, gleich zwei Singulare, gleich die adelige Selbsterhöhung, nicht nur Kitsch, sondern zeitgemäße Selbsterhöhung. Später dann verschwindet diese „Liebe“ weitgehend aus dem Vokabular des Dichters, und die Anklage gegen die männliche Herrschaft wird in den „Späten Gedichten“ in der Nonnen-Klage überdeutlich.
HERR Jesus, – geh vergleiche
dich irgendeinem Mann.
Nun bist du doch der Reiche,
nun hast du Gottes weiche
Herrlichkeiten an.
…
Lest das weiter, diese vergebliche Nachklage einer nicht erfüllten Liebe, weil sie in der Vorstellung eben keine Liebhaber gehabt hatte, aber nun fragt: „Nun da ich bei keinem schlief / sag: hab ich nichts begangen?“. Da ist dieses „Anti-„ schon drin; bei Streeruwitz kurz angeleuchtet „Im Antirassismus. Im Antifaschismus“ – damit berührt sie den heiklen Punkt, dass bloße Negation noch kein Widerstand ist. Erich Fried:
Ein Faschist, der nichts ist, als
ein Faschist, ist
ein Faschist.
Aber ein Antifaschist, der
nichts ist, als ein Antifaschist, ist
kein Antifaschist.
Die Vorlesungen von Marlene Streeruwitz zu bedenken und zu besprechen, heißt zunächst sie ganz und gar zu lesen, fast nachzusprechen. Und dann etwas herauszunehmen, was ja schon bedeuten kann, sich etwas herauszunehmen, das sanktioniert wird.
Warum mir das so viel bedeutet, neben der Liebe an einem ganz anderen Beispiel: „Keine neue Herrschaft hat den Singular von Freiheit abgeschafft“ (18) – Beweis: die entkolonialisierte Diktatur, der Normalfall in den meisten Ländern.
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Das alles sind keine Angriffe auf den Universalismus, der in der Würde steckt, die durch den falschen, ja gewalttätigen Singular der Ehre verdeckt wird. Es sind Angriffe auf das Verdecken, das uns möglich wäre, wo die Wirklichkeit, sowie sie ist, uns unterdrückt, bedrückt. Nur der Partikularismus der Herrschaft erlaubt es, die Beherrschten abzuwerten. Die Umkehrung dieses Satzes stimmt auch dann nicht, wenn sie zur Begründung von Revolution genommen wird.
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Aber Dankbarkeit ist eine Kategorie, die weder Singular noch Plural kennt. Wer weiß, wem er/sie wofür Dank entgegenbringt, und warum er/sie dankbar bedacht wird, ist den Schritt weiter, zu dem die Poetikvorlesung von Marlene Streeruwitz ermutigt.