Es gibt einen umstrittenen großartigen neuen Film bei Netflix: DON’T LOOK UP, mit Meryl Streep, Leo di Caprio, Jennifer Lawrence und Kate Blanchett und vielen anderen guten SchauspielerInnen. Es geht um das Verhalten von Menschen und Gruppen angesichts der drohenden und schwer abwendbaren Auslöschung der Menschen auf dieser Erde. Der Film ist groteske Übertragung der US-amerikanischen Wirklichkeit, hier nicht auf den Klimawandel, der gemeint ist, sondern auf seine symbolische Abwendbarkeit (ein Komet (!)…). Lest Bitte: Spektrum.de/…1967161 und spiegel.de/wissenschaft/don-t-look-up/-auf-netflix… das reicht erstmal.
Johann Nestroy: 1833
…Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang, lang, lang, lang, lang, lang. …
Drum sag’ i, aus sein’ Gleis’ wird erst dann alles flieg’n,
Wenn Sie Ihre Nachsicht und Huld uns entzieh’n.
Da wurd’ ein’ erst recht angst und bang,
denn dann stund’ d’Welt g’wiß nicht mehr lang.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Kometenlied#Text)
Die Nachsicht und Huld wäre im Film die Anstrengung, national-übergreifend den Kometen abzufangen und aus der Zielbahn auf die Erde zu entfernen. Schwierig, aufwändig, aber möglich…das Gegenstück heißt Politik, eigentlich unverbundene Politiken einer ambigen amerikanischen Präsidentin, konkurrierender medialer und geschäftsmäßiger Profis und Betrüger, Influencer, Beziehungen, Wissenschaftler. Die eigentlichen Entdecker (ein Professor und seine Assistentin) und ein ganz kleiner Kreis erkennen die Unabwendbarkeit ab einem bestimmten Augenblick. Das letzte Abendmahl ist so beeindruckend wie die abstruse Wiederankunft der nackten Präsidentinnencrew, die sich kryomäßig ins Weltall gerettet hatten und nach ihrer Rückkehr, mehr als 20000 Jahre später, im Paradies landen, wo sie von Dinosauriern verspeist werden. Der letzte Überlebende twittert diese Tatsache in sein Handy…ok? So wird es kommen, WENN.
WENN
…die Klimapolitik nicht an der Lausitz und im rheinischen Kohlerevier zur Seite rückt
…keine Kernkraftwerke mehr gebaut werden
…keine Kriege mehr die Politik aufhalten
…der Hunger nicht vorher beseitigt wird.
…
DIE LITANEI KENNEN WIR
Die Diktatoren, die Neoliberalen, die Populisten dieser Welt finden immer die Brücken zu einer Realpolitik, die die jeweiligen Systeme weiterexistieren lässt und so tut, als fände man sich im Einklang mit den Notfallstrategien, nur etwas langsamer, etwas wirtschaftsfreundlicher, etwas sozialer, ja, auch das ist plötzlich ein Argument der Verzögerer. („Man muss die Dinge ändern, damit sie die gleichen bleiben“, sagt Lampedusa). Verzögerung heißt aber, dem eigenen Ende gelassen bis gleichgültig, hedonistisch bis resigniert entgegensehen – oder sogar die letzten Barrieren zivilisierten Verhaltens kündigen, weil ohnedies alles keinen Sinn hat. Zur Sinnlosigkeit gehört übrigens die Litanei.
Die autoritären Staatstrottel, die neoliberalen Markttrottel, die populistischen Befindlichkeitstrottel etc., die auch ich öffentlich nicht SO anspreche, natürlich nicht, also diese Typen gehören in den Bereich einer Weltanschauung, in der es zwar einen (kollektiven) Tod gibt, in der aber die Privilegierten, die ihn denken, nicht sterben, und wenn, dann sofort ausgeblendet werden (so, wie ja Covidleugner, die statistisch zu Recht von der Seuche getötet werden, sofort ausgeblendet werden von denen, die noch leben und leugnen. „Statistisch“ meine ich ernst, wir können die Kranken und Sterbenden nicht nur nach ihren Kriterien behandeln…aber die einseitige Ethik der Populisten aller Lager zerstört die Denkstruktur des Möglichen, auch beim Klimaschutz, auch beim Friedensprozess, auch beim Hunger.
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Robert Habeck hat einen kleinen Sturm ausgelöst, als er weniger erfreuliche Lebensumstände vorausgesagt hatte. Dabei war er noch zurückhaltend und höflich. Wer, wie im Film übrigens, die Wahrheit und die Wahrscheinlichkeit gleichermaßen sieht, also dem Sterben der Enkel und Urenkel und vielleicht dem eigenen ins Auge schaut, wird nicht freiwillig sein Konsumverhalten aufgeben, wenn es ihm als Endzeitlebensform noch von den jetzt Regierenden angeboten wird.
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Wenn wir vom Film in die Wirklichkeit springen, gibt es nur wenige Optionen, lokal, national, global:
- Entweder die Politik verblödelt weiter die möglichen Aktionen und Neustrukturierungen – weltweit und lokal – und verhält sich „wie im Film“. Dann wird das Ende jäh eintreten, die Verhaltensweisen werden sich entsprechend ausdifferenzieren, aber „Zukunft“ wird kein Begriff mehr sein. (Wenn z.B. die Erderwärmung noch in diesem Jahrhundert über 2,5° sein wird)
- Oder es wird die pragmatische Lösung zur Befriedigung der meisten Bedürfnisse der größtmöglichen Zahl sein, dann bedeutet Zukunft immer schlechteres Leben für immer mehr Menschen (was automatisch eine Verklärung von Vergangenheit mit Auswirkungen auf die Politik hat). Der Bezug zu früher wird eine autoritäre Abschottung der privilegierten Herrschenden bewirken, und alles versinkt in ungleichmäßiger Verteilung der Ereignisse…bis zum Ende.
- Oder ABER es wird so gehandelt, wie wir WISSEN, dass wir HANDELN müssen. Dann handeln wir innerhalb der Bewährungsfrist, und die muss nicht, kann gar nicht philosophisch oder moralisch begründet werden. ALLES zu tun um das 1,5° Ziel zu erreichen, bedeutet ALLES dieser Politik unterzuordnen.
Nun ja, gut gebrüllt, Daxner. Und wer folgt dir? Mir niemand. Darum geht es nicht. Je mehr Menschen die drei Optionen verstehen, sich klar machen, was sie für sich und die Nachkommen bedeuten, desto einfacher wird es sein, sich zu entscheiden. Übersetzt Nestroys Nachsicht und Huld in Wiedergutmachung denen gegenüber, denen wir so geschadet haben, dass sie aus eigener Kraft keine der drei Optionen in Angriff nehmen können. Und für sich und ihre Umgebung bedeutet es, das zu tun, was WIR BEREITS WISSEN.
(Man könnte das auch Bildung nennen).
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Ich habe diese sehr einfache, fast flache Überlegung deshalb geschrieben, weil die Komplexität, die im Handeln liegen wird, aus einer nicht sehr komplexen Entwicklung als Folge der Erderwärmung hervorgeht. Deshalb auch der Bezug zum Film. Handeln heißt, sich Pflichten auferlegen, die keineswegs daran hindern, zusammen gut und vernünftig zu leben. Dass das der Fall sein kann, ist Aufgabe der Politik, genauer: der Demokratie.