lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum
(Ernst Jandl)
Neujahrsgrüße kommen später, erfreuliche Berichte aus dem warmen Winter am Ende des koalitionären Wonnemonds ebenfalls, jetzt einmal ein spitzer Fokus. Der mich seit längerem verfolgt, aber letzthin zu massiv wurde, als dass ich ihn wie so vieles abgetan hätte als Geschwätz unreifer Marginalisten.
Die alte Diskussion um die Unschärfe der links-rechts-Dimension, die kein tragfähige Koordinate (mehr) ist, eröffne ich gar nicht neu. Natürlich gibt es auch auf der Linken, der Grünen, der Liberalen und anderen Flachländern esoterische, rechte, nationale und identitäre Einsprengsel, die meisten davon blödsinnig, manche aggressiv und einige bedenkenswert. Also keine Verallgemeinerung – und ich nenne im folgenden auch keine Namen von kritisierten Personen und Institutionen, um die Kontroverse einaml im Grundsätzlichen zu lassen.
In der Frage, ob und wie der Nationalsozialismus und der Stalinismus sich prinzipiell unterscheiden, welches die Vergleichskriterien sind und vor allem, wie man mit den Resultaten umgehen soll, ist vieles offen, solange man nicht auf dem Standpunkt steht, dass man die beiden nicht vergleichen KANN, was allerdings nicht nur randständig ist (sondern z.B. der Mainbstream der linken Sozialisation meiner Studienjahre, wenn es um die Geschichtsaufarbeituzng in beiden Sphären – dem Westen und der sowjetischen Sphäre – ging. Diese Diskussion aus der Mitte des Kalten Kriegs lasse ich weit hinter mir. Es geht mir um die Gegenwart, die auch ihre Vergangenheitsdimension hat.
Die derzeitige russische Politik und ihre Narrative setzt viele Maßnahmen der stalinistischen und der post-stalinischen Politik sowie ihrer Unterbrechungen fort. Konkret, was die politische Justiz, die Straflagerverbringung und die offiztiellen Legitmierungen betrifft, an markanten Beispielen wie Nawalny oder Memorial oder der Unterstützung für Lukashenko demonstriert (was bedeutet, dass es sehr viele nicht-demonstrierte Fälle natürlich auch gibt, die mehr oder weniger glaubwürdig berichtet werden. Eher mehr…).
Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der westlichen Aufarbeitung der NS-Untaten und der stalinistischen Ist, dass Russland die meisten Belege für den stalinschen Terror nicht freigibt und deshalb Herkunft und Form vieler Narrative sich von der westlichen Beschäftigung mit dem Thema unterscheiden, auch im Grad der subjektivierten Quellen. Aber diese Quellen werden beharrlich und präzise immer wieder aufgebracht und reproduziert, und hier geht es wahrlich nicht nur um ein NICHT VERGESSEN, sondern um die Wiederkunft der Vergangenheit, um die PRÄSENZ des Gulag. Mir geht es nicht darum, die Unterschiede herauszuarbeiten, die lassen sich beschreiben und belegen. Mir geht es darum, Elemente des Vergleichs und des Vergleichbaren umso mehr zu sichern, je weniger Überlebende Zeitzeugen es gibt (aus den Nazi-KZs natürlich noch weniger als aus dem Gulag). Und es geht mir gegen eine gewisse „linke“ Attitüde, die Grauen des Gulag den Grauen der NS Lager unterzuordnen (wobei es in beiden Fällen um die Überlebenden geht, die Millionen Getöteten auf beiden Seiten konnten ja nicht berichten.
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Quelle: Ruth Franklin „The Lucky Ones“, NYRB 21.10.2021, S. 59-62. Rezensiert werden drei Bücher über die polnischen Überlebenden des Holocaust – Überlebende im Gulag, wohlgemerkt (Autoren: Mikhal Dekel, Eliyana R. Adler und Julius Margolin (letzterer schrieb seine Reflexionen 1946, und ist besonders einprägsam kommentiert von Timothy Snyder)). Ein Fazit vorab: diese Leidens- und Überlebensgeschichten sind viel weniger präsent und im heutigen politischen Alltag diskutiert, bewertet und umgewertet als die Narrative des Holocaust. Das liegt auch an der linken Unvergleichlichkeitsthese. Der stellte ja schon 1951 Hannah Arendt die These von vom symmetrischen Phänomen der totalen Vernichtung/totalitären Vernichtungsmaschinerie entgegen. Timothy Snyder behauptet, das sowjetische System sei „älter, umfangreicher, haltbarer“ als das Nazisystem gewesen, bis auf letzteres aber kann man sehr vieles schlicht nur indirekt erschließen. „But we cannot assess, what we don’t know. Until the KGB archives are fully open to researchers, Stalin’s crimes will remain incompletely examined“ (Ruth Franklin). Recht hat sie vor allem aber mit der Bemerkung, dass es (im Westen? in den USA? nicht unerhebliche Differenz) gegenüber den russischen Unterdrückungspolitiken eine ähnliche Blindheit wie gegenüber dem Gulag gäbe. Das entschuldigt oder relativiert nichts an den Nazi-Verbrechen. Wenn nun scheinbar linke Positionen die sowjetischen Grausamkeiten und oft auch chinesischen mit den Ereignissen im US System vergleichen und eben relativieren, dann wird hier sehr viel mehr als eine Verfälschung der Geschichte betrieben.
Ich hatte mehrfach beschrieben, wie diese Haltung eine dringend nötige Kritik an den USA und Teilen des Westens erschwert, weil der Vergleich so grotesk ist, dass man die diskursive Auseinandersetzung nicht führen kann. Man muss diesen Konflikt aber führen, sonst arbeitet man denen zu, die eine ständig erneuerungsbedürftige Demokratie gern gegen eine machtregulierte Funktionalität eintauschen möchten.
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Nun ging es im vorliegenden Fall vor allem jüdische Polinnen und Polen. Man kann sagen, die waren zwischen allen Fronten. Soll man diese Fronten nicht vergleichen dürfen, weil sie die jeweils andere Seite rechtfertigen helfen?
Nun sagt die von mir eingangs kritisierte, aber nicht genau benannte Linke, dass die Fehlhandlungen der Russen und Chinesen ja auf die Fehler zurückzuführen sind, die die USA mit ihren Verbündeten – die meinen auch uns! – begangen hätten und weiter dadurch begehen, dass sie die Opfer dieser Fehler wegen ihrer Retourkutschen weiter kritisieren, im Namen der Menschenrechte und Freiheiten, die dort Missbrauch der legitimen Ordnung genannt werden. Der einfache Test, diese linken Kritiker in Moskau und Peking schreiben zu lassen, kann ihnen sogar gelingen, weil sie mit ihrer engen Denke und Schreibe diese Regime unterstützen. Aus dem Gulag klänge es anders. Und dies wiederum machen sich die autoritären Kräfte, die gegen die Demokratie anarbeiten, im Westen zunutze, um ihre objektive Balance mit den östlichen Diktaturen unter Beweis zu stellen.
Wer an dieser Schraube weiterdreht, hat nicht nur rechts-links verspielt, sondern bald seine eigene Freiheit.