Pullover & Angst

Jene Galaxie ist von der Erde etwa soweit fort wie die Empfindungen der Nächstenliebe von Wladimir Putin. Dieser wiederum ist Verursacher einer weiteren Sorge in diesem Land, nämlich im Winter aufgrund der Heizkosten daheim einen Pullover tragen zu müssen. Auf der Suche nach Energiequellen sind manche auf die noch herumstehenden und nicht abgeschalteten Atomkraftwerke gekommen“ (SZ, 3.9.2022).

Besser hätte ich Gemütslage des Groszen Deutschen Volkes nicht beschreiben können. Dass dieser Befund zu einer Verspottung der Grünen missbraucht wird, ist nicht weiter schlimm: so sind sie halt, die Liberalen. Aber die vom Pöbel geschürte Hysterie macht nicht nur denkschwach, sondern erst recht handlungs- und empathieunfähig.

Angst macht gefügig, weil man sich von der starken Stimme Hilfe und Rettung erwartet. Die Medien schüren die Angst, vor allem wenn sie fake news verbreiten; das schafft auch Abhängigkeiten von Verängstigten und Gefügigkeit bei ich-schwachen PolitikerInnen.

*

Das Gegenteil von Angst ist nicht unbedingt Mut, schon gar nicht Übermut. Es ist die besonnene Abwägung der Wirklichkeiten, auch wenn man nicht alle Wahrheiten zur Hand hat. Man kann nicht alle Zusammenhänge wissen, verstehen und auf sein eigenes Leben hin konzipieren. Aber man kann Sektoren dieser Wirklichkeit sehr wohl verstehen und aneignen. Es kommt schon darauf an, die jetzige Situation verstehen zu wollen. Schließlich haben viele daran mitgewirkt, nicht nur bei Wahlen. Das geht nicht abstrakt. Wenn eine Ukrainerin sagt, ihr betrauert euren Wohlstand und wir unsere Toten, dann stimmt das SO nicht, aber es geht in die richtige Richtung. Außerdem sollte man wissen, worüber man sich aufregt.

Herfried Münckler hat heute im DLF eine beneidenswert klare Politikanalyse geliefert, die sowohl Widerstand als auch Abbau von Illusionen gut begründet. (DLF 4.9., 17.00-17.30). Darüber nachdenken und sich dann zum Handeln zu entschließen und sich etwas von Glaubensartikeln der eigenen Gesellschaft und Geschichte etwas zu distanzieren, je mehr Russland und China das Gegenteil aktiv betreiben. Plötzlich wird Oswald Spengler wieder aktuell, das hätte meine Generation nicht im Entferntesten angedacht. Und: man müsse den Preis für die gewalttätige Politik Russlands und Chinas höher und immer höher schrauben. Hört das an, bedenkt es.

Und: Annalena Baerbock hat Recht.

PAUSE.

In den Zwischenräumen kann man statt sich an die Stelle der haftenden Politik zu setzen, auch sich kräftigend reproduzieren: denken, essen, lieben und lesen und…nebbich? Gar nicht. Um sich zu ertüchtigen, bevor man die großen Singulare Mut und Widerstand schmiedet, muss man lebendig bleiben und nicht vor Angst zur Salz-Eule zu erstarren.

Es gibt den Krieg ja. Und der besteht nicht nur aus Kampf, Toten allenthalben und Verwüstung. Die Logistik, die Etappe, das Hinterland, die Schutzzonen….da sind wir, und nicht in den Kommentarkammern.

Das ist keine Lebensphilosophie und kein Rückzug ins Private, sondern Teil der Aufbauleistung. In diesem Krieg wird mehr von uns verlangt werden als höhere Steuern, mehr soziales Engagement, mehr Aufklärung und weniger wehleidiges Tragen der Pullover vom vorigen Jahr.

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