Keine Achtung zeigen, ist auch Politik.

 

Mit gleicher Münze zurückzahlen, ist schlechte Politik

Gegen die Regeln des Spiels

Zu den Anmaßungen der Höflinge des Diktators Erdögan hat die Kanzlerin das Richtige gesagt – aber zu spät. So werden wir mit den Hasspredigten der Wesire dieses Minderwertigskeits-Komplex-geplagten Gewaltherrschers selbst geplagt. Aber richtig ist, dass diese politischen Kretins ihren Unsinn auch in Deutschland verbreiten dürfen, selbst-entlarvend und darauf hinweisend, dass die deutsche Staatsbürgerschaft auch für viele türkische Bewohner des Landes nicht viel wert ist. Natürlich dürfen diese Minister hier reden, wenn sie Volksverhetzung betreiben, kann man sie verhaften lassen; aber wenn sie für ihre Diktatur werben, soll man sie nicht hindern. Den Schaden hat die Türkei. Die verspätete Reaktion der Kanzlerin schmerzt: man hätte sich viel früher, ironiefreier darauf einlassen können, dass die Erdögan-Knechte hier etwas von gelebter Demokratie erfahren…aber Merkel hat recht: Die Nazi-Vergleiche des Sultans kann man nicht, braucht man nicht zu kommentieren. (Kann man doch, siehe finis terrae XIII).

Karl Kraus: „Zu Hitler fällt mir nichts ein“.

Nein, wir müssen etwas anderes stärker bedenken: die Nazi-Vergleiche bzw. Faschismus-Vorwürfe – siehe meine früheren Blogs – sind unsere Domäne, sie müssen sorgsam und präzise dort angewendet werden, wo sie stimmen: etwa gegen jede völkische Anmaßung, auch bei uns in Deutschland: die AfD hat das schon verstanden, nicht zur Gänze, aber Petry weiß, dass der Nazi-Vorwurf, wo er sitzt, auch trifft (das wusste Haider in Österreich auch, Strache noch nicht ganz, weil er sein Volk erst konstruieren muss).

In meiner Vorkriegs-Vorstellung ist die Türkei nicht so wichtig, abgesehen von der Pflicht, die 150+ Journalisten zu befreien. Aber der kranke Mann in Ankara wird erst sein Volk aufhetzen und dann in die Krise führen, vielleicht braucht die NATO dieses Mitglied auch bald nicht mehr.

Wichtiger ist Trump, ist Putin, sind die neuen Autokraten in der EU. Wichtig, weil wir endgültig Abschied nehmen sollten von der verlogenen Rhetorik der globalen Politik, d.h. ihrer Kommunikation.

Weder die USA noch die Türkei sind unsere Freunde. Sie sind durch Verträge mit uns verbundene Mitspieler, mit denen wir einige Interessen teilen, deshalb die Verträge, und andere nicht, deshalb die Konflikte. „Freund“ heißt in der Diktion der gebremsten Diplomatensprache oft „Wertegemeinschaft“. Dann natürlich sind Russland und China niemals unsere Freunde, und bei einigen EU-Partnern müsste man ähnlich urteilen. Alles Unsinn: wir haben keine Freunde oder Feinde auf der Ebene politischer Beziehungen. Selbst „Verbündete“ tun sich schwer, einen gemeinsamen Wertekanon zu verkünden…

Der Humanismus einfacher Prägung würde uns nahelegen, nur die Menschen in einem bestimmten Land freundlicher oder feindlicher wahrzunehmen, je nach Tiefe und Genauigkeit eben dieser Wahrnehmung. Da würden wir aber die Beziehung dieser Völker zu ihren Herrschenden ignorieren.

Um dieser Spaltung eines imaginären WIR von ebenso imaginären ANDEREN entgegen zu wirken, müssen wir uns daran halten, was wirklich geschieht, d.h. welche MACHT wie eingesetzt wird. Da sind etwa die juristischen und administrativen Barrieren gegen den Machtanspruch des Trump in den USA viel stärker und vertrauenswürdiger als die Hemmnisse für Putin. Trump arbeitet an der Zerstörung der Zivilgesellschaft seines Landes – deren Grundprinzipien einmal geholfen haben, uns von den Nazis zu befreien – was aber nicht heißt, dass diese Land je am Ende seiner Emanzipation von Rassismus oder Sexismus ist. Genauso wie unsere Befreiung uns noch lange nicht von den Residuen der Nazis freimacht, und auch die postsowjetischen Implantate entzünden sich nach wie vor. Beides können wir republikanisch im Griff haben und demokratisch eingrenzen und überwinden. Aber das wenigstens müssen wir schon machen.

Auf unser gutes Leben in einer funktionierenden Demokratie mit Rechtsstaat und Gewaltenteilung können wir uns genauso verlassen wie auf uns selbst, als politische Subjekte, von denen das Recht ausgeht und zu denen es zurückkehren soll. Vieles an den jetzigen Populismen krankt daran, dass wir uns selbst nicht trauen. Und woher das kommt, ist wichtiger, als die Erstsemesterübung einer Kritik am Haustierfreund Erdögan oder am Grapscher und Lügner Trump oder am Selbstherrscher aller Reussen ständig zu wiederholen. Was bei uns geschieht, müssen wir viel genauer wissen, als dass wir es als gegeben hinnehmen.

(Als Wissenschaftler muss ich mich in die Ironie flüchten, will ich die Aushängeschilder der Politik nicht sezieren – was langwierig und –weilig ist – oder sie gar beschimpfen. Das bliebe an mir kleben, unappetitlich genug, als Politiker, der ich nicht bin, dürfte ich nicht einmal die Ironie übertreiben, sondern müsste Augenhöhe und Gedankentiefe simulieren; es bleibt nur der schmale Grat der Anspielung und des Stimulus für eigene Reaktionen, also die Aktivierung der Vernunft).

*

Gar nicht so einfach. Aber ich möchte gegen die Regeln des Spiels versuchen, darauf hinzuwirken, dass unsere Reaktionen auf die üblen Monster etwas von Raubtierfütterung haben. Erdögan wartet doch nur darauf, dass es von Links heißt: Selber Nazi! Dass wir Kaczinsky sagen, mach deine Justiz unabhängig, nimm dir ein Beispiel an uns…und dabei drei Jahrzehnte schrecklicher Juristen nach 1945 vergessen. Dass wir Putin ermahnen, seine Kriegsspiele zu lassen, dabei aber in den Grenzen des Wirtschaftsflügels der großen Parteien bleiben. Etc.

Weil die Lage so ernst ist und wir auf neue Kriege zusteuern, gebietet die Vernunft, hartnäckig dafür zu sein, was sich unschwer ableiten lässt: Mehr Europa, mehr Wissenschaftsfreiheit, mehr Gleichberechtigung aller Geschlechter, mehr Widerstand gegen Sonderjustizen (in Deutschland besonders weit verbreitet), mehr Haftung für das, was wir global anrichten durch Wirtschafts- Rüstungs- und Bündnispolitiken etc. (Die Kehrseite, die „Wenigers“ gelten auch, aber für diese Kritik brauche ich nicht weniger, sondern mehr Vernunft…).

*

Darum werde ich auch in künftigen Blogs die täglich notwendige und oft unvermeidliche Beschimpfung der Autokraten soweit unterlassen, dass sie nicht meinen Themen und Überlegungen ihren Mief anhängen.

Vor vielen Jahren habe ich einmal Herrn Erdögan aus der Nähe erlebt. Es war die Zeit, als die Demokraten in Europa in der AKP und in der Türkei eine Hoffnung auf eine Europäisierung und weitere Humanisierung einer großen Region sahen. Damals haben die Konservativen, die CDU allen voran, diese Überzeugung blockiert. Damals habe ich das kleine elegante Erdmännchen schon misstrauisch betrachtet, weil er statt Region schon deutlich Nation sagte und meinte. Aber die Hoffnung in die AKP und ihn hatte ich schon noch…Das Verschwinden solcher Hoffnungen, weltweit, bestärkt mich in der Frühwarnung und in den Lehren, die nur die Vernunft aus der Vergangenheit ziehen kann, um Zukunft zu denken.

 

4 Gedanken zu “Keine Achtung zeigen, ist auch Politik.

  1. Hallo Michael, es hat eine Weile gedauert, bis ich meine Gedanken dazu nieder geschrieben habe und jetzt aufgebe. Das Engagement für die Flüchtlinge und Geflüchteten nimmt mich nach den fünf Monaten mehr in Anspruch, als ich dachte. Die Gedanken konnte ich nicht als Kommentar in deinen Blog senden. Deswegen auf diesem Wege als Anhang. Liebe Grüße ebenfalls von Marion, die mir gegenüber sitzt. Dietger Am Weinberg 45 35096 Weimar/Lahn Tel: 06421 3099180

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    • lieber Dietger, danke & entschuldige die späte Antwort, aber ich habe den Anhang gesucht – und vermisst. grüss die gegenüber sitzende Marion, vielleicht mailst du mir das? jedenfalls danke für die Lektüre…herzlich Michael

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  2. Nachdem die Militärbündnisse im Osten Europas aufgelöst waren, sagten alle Auguren voraus, der Nationalismus würde uns neue Kriege vor unserer Haustür bescheren. Sie weinten dem Zeitalter der gesicherten gegenseitigen Zerstörung nach, weil es sicherer gewesen war. Der Balkan bewies es, die Krim und die Ukraine. Den Norden Afrikas und den Nahen Osten betrachte ich in diesem Zusammenhang nicht. Aber in den Kontext des Nationalismus und des Versagens von Bündnisstaaten könnte man einordnen, dass der Nachfolgestaat der Sowjetunion einen Hafen im Mittelmeer behält. Russland setzt in nationalen Alleingang sein unverändertes geo-strategische Ziel durch und sichert dies mit der Blockade in New York und Assads Herrschaft ab.
    Nun schreibst du „Weil die Lage so ernst ist und wir auf neue Kriege zusteuern“. Wirklich und wenn ja, wo? Bei allem, was man aus den USA vernimmt, vermag ich jenseits des Atlantiks keine Änderung der strategischen und sicherheitspolitischen Positionen zu erkennen. Seit Jahren fordern die USA von den Europäern für ihre Verteidigung mehr Geld auszugeben, was nicht nur von Deutschland ignoriert oder mit wohlfeilen Worten vernebelt wird. Alle Europäer kalkulieren die USA als Schutzmacht ein, selbst wenn ganze Titelseiten füllende Schlagzeilen das Gegenteil behaupten würden. Wir leben immer noch im Zeitalter der Abschreckung und der beiderseitig gesicherten Zweitschlagfähigkeit vulgo Zerstörung. Man schaue sich nur die Potentiale an. Nur spricht niemand mehr öffentlich darüber.
    Deswegen sehe ich keine neuen Kriege für unser Land. Für Europa mag das anders sein, aber vertrautes, wenn ich das Wort nutzen darf, wie wir in der Ukraine sehen. Also ist die NATO nicht überflüssig oder überholt, sondern notwendig. Wir sollten sie behalten und die USA auch. Ein wenig mehr Ressourcen einbringen, um die Töne aus Washington zu mildern und auf die militärische Stärkung der EU verzichten. Sie frisst nur zusätzlich Ressourcen. Gegenwärtig eine europäische Sicherheitspolitik zu erwarten, die einen Konsens über militärisches Engagement erzielt, halte ich für absolute Illusion. Gerade auch, weil deutsche Außenpolitik seit mindestens drei Außenministern postuliert, für Konflikte gäbe es keine militärischen Lösungen. Europa hat es ja nicht einmal geschafft, die Folgen des Zerfalls Jugoslawiens zu bewältigen. Die USA haben es ins militärische Engagement gedrängt. Sicherheitspolitisch ist der Rückhalt der USA conditio sine qua non – auf Jahre hin. Die EU sollte sich lieber zunächst politisch und wirtschaftlich einen.
    Halten wir uns an die USA, auch wenn ich Trump am liebsten in seinem New Yorker Tower sehen würde und nirgendwo anders. Dann bleiben auf absehbare Zeit die militärischen Konflikte auf Distanz wie auch der „Selbstherrscher aller Reussen“. In Ruhe kann man überlegen, warum man sich nicht militärisch engagieren will. Grenzenlos inhuman ist dies, wie Syrien und Irak zeigen. Aber leider ist dies Realität. Deutschlands Politik akzeptiert humanitäre Katastrophen in millionenfachem Ausmaß, weil es Militär nicht als Mittel der Außenpolitik zu nutzen weiß. Dafür kann man Flüchtlinge aufnehmen. Fatal sind die innenpolitischen Folgen, die zu einem Erstarken der nationalistischen teils rechtsradikalen Parteien in einigen Ländern Europas führen. Aber wir leben in Sicherheit. Manchmal habe ich den Verdacht, Politiker erkennen nicht den ihrer Politik innewohnenden Zynismus.

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    • Lieber Dietger,
      endlich ein kluger und nicht negativistischer Kommentar. Realpolitisch hast du in allem Recht, und aus europäischer Sicht könnte man beruhigt sein. mein VORKRIEGS-Topos speist sich nicht aus dieser, m.E. zutreffend beschriebenen Lage. ABER ich suche andere Analogien. 1913 hätte man vielleicht europäische Kriege, aber keinen Weltkrieg vorausgesehen, 1938 hat die Appeasementpolitik die beiden irren Antagonisten und ihre Instrumente nicht abbremsen können. 1990 war kaum zu erwarten gewesen, dass der Zerfall Jugoslawiens, ausgelöst durch deutschen diplomatischen Fehler, so eskalieren würde. Mein Arguemnt ist, dass es zwar Ursachen für Kriege gibt, überwiegend Klima- und Wirtschaftsdesaster, dass aber diese Ursachen sich kontingent zu den Anlässen verhalten, die wir nicht antezipieren können.Da gibt es keine Prognose, wenig Prävention ausser Vernunft, Nachhaltigkeit, Demokratie, vor allem aber Republikanismus im öffentlichen Raum: In meinem Finis terrae versuche ich, langsam darauf einzugehen, mich gegen linke Populismen zu wappnen, die rechts-links Machtachse zu verlassen.
      und dann kann, gestützt durch Telekommunikation, ein Krieg von Nahost nach Europa, von der schmelzenden Arktis ins gemäßigte Mitteleuropa, von Nordafrika an die Cote d’Azur überschwappen wie nichts.
      Trump, Erdögan, Orban, Putin und meine anderen Allegorien gewalttätiger Blödheit, sind keine Kriegsursachenbewirker, sondern Lunten. (Kapitalisten wissen, dass Kriege nur weniger sehr reich machen, Friedenswirtschaft sehr viel mehr Menschen wohlhabend; Autokraten wissen das nicht).
      Also: wenig Dissens zwischen uns, ein anderer Blick.

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