Schmonzes

„Schmonzes“ hat eine fast so große Vielfalt an Bedeutungen wie „Nu“. Ich verwende das Wort in familiärer Beziehung zu Kitsch. Kitsch muss muss nicht moralisch oder ästhetisch verwerflich sein, oft ist er eine populistische Variante des Erhabenen, und wer sich zu sehr über ihn erhebt, zeigt nicht selten auf sich selbst. Bei Schmonzetten ist es nicht viel anders.

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In Potsdam findet zum 23. Mal das JÜDISCHE FILMFESTIVAL statt. Eine hervorragende und vielfältige Veranstaltung, an 14 Spielorten in Berlin und Brandenburg präsent.

Die Eröffnung ist diesmal ein Rede- und Animationsmarathon, manchmal launig, manchmal eher fad. Im letzten Jahr wars großartig und spannend, in diesem Jahr eher fad. 90 Minuten, 5 Reden, dazwischen eine herrliche Stimme, aber vielleicht nicht die Lieder zum Aufmerken. Viel Prominenz im Saal, manche sieht man immer wieder gern. Bevor ich zum Film komme, ein Einbruch von Wirklichkeit ins launige Warten: Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hielt eine kleine Rede. Er wählte sich die neue Antisemitismusdebatte zum Thema, musste er eigentlich zu diesem Anlass nicht, aber es ging ja um den von Arte und ARD erst abgesetzten, dann doch gezeigten Film „Auserwählt und ausgegrenzt“ …Ich sag zu dem Film und der Diskussion darüber gar nichts. Aber Schuster belehrte das Publikum, warum Israelkritik einmal antisemitisch und einmal nicht ist. Ich weiß nicht, ob er den Konflikt, an dem wir seit Jahren, Jahrzehnten arbeiten, wirklich verstanden hat. Egal, die Rede war nicht gut, aber dann machte er etwas gut: er sagte sinngemäß, an Kritik an der israelischen Politik und Regierung aus und in Israel könne man sich das Beispiel nehmen, wie man so etwas ohne Antisemitismus macht. Da hatte er Recht. Dieses Argument, diese Tatsachenfeststellung, sollte man der antisemitischen Linken immer wieder sagen, den populistischen Rechten sagt sie leider nichts.

Ich halte mich bei dieser Kleinigkeit auf, weil das – wie gesagt – jahrelang mein Thema war und ist, und ich beim Zentralrat hier tiefer gehendes Nachdenken vermisse. Nun aber endeten die Reden, und launig wurde der Film angepriesen, den wir sehen sollten:

DIE GESCHICHTE DER LIEBE.

Ich erzähl den Film jetzt nicht. Ich sage erst einmal das Gute: sehr gute Schauspieler*innen, allen voran Derek Jacobi. Einige ergreifende und einige filmisch schöne Szenen, und wenn man die Handlung auch nicht gänzlich verstehen oder nachvollziehen konnte, gab es verständliche Sequenzen und Einfälle. Nebbich. Man hat Gefühle angekündigt. Ja, die gabs, als wär das Herz der Gegenspieler der Vernunft. So ein idyllisches Schtetl hätte man gern in der Erinnerung derer gehabt, die von dort kamen und es überlebt haben. Bei Roman Vishniac schaut das anders aus. Ein so liberales Coming of Age hätte man sich in den orthodoxen Dörfern gewünscht, von einem schönen klugen Mädchen angeführt, angesichts drohender Deportation, Flucht, Vernichtung. Soll sein, ein wenig magischer Realismus und es muss ja nicht alles pathetisch auf Tod und Verzweiflung gestimmt sein.

Einschub: das alles geht auf Nicolle Krauss‘ Buch von 2005 zurück, ein Buch um ein Manuskript, ein Manuskript, das verwickelte und verbundene Schicksale, Beziehungen, Trennungen, Rettungen und Tod, begleitet: vom jüdischen Dorf bis zum New York von heute. Nu, nichts so wirklich Neues, aber Lebensgeschichten wären immer gut. Hier: zu viele lose Enden, zu viele Einschübe, ein Film ist kein Buch (und selbst das mutet laut Rezensionen den Leser*innen zu viel zu).

Mich stört das Melodram nicht. Mich stört der Kitsch  nicht. Mich stören Zufälle nicht, wenn sie nicht überhand nehmen und die Figuren lächerlich machen. Mich stört es nicht, wenn und weil es menschlich ist. Ich muss ja nicht in die Anthropologie einsteigen. Warum muss solches aber durch die „jüdische“ Linse zusammengefasst und gebündelt abgestrahlt werden? Im Historienzoo werden wir wieder vorgeführt. Furcht und Mitleid zu erwecken, und das Glück und Unglück der Überlebenden exemplarisch – und dann schon typisch – zum Überdecken seines Grundes, der Shoah, zu verwenden.

Jeder möchte „seinen“ Leo Gursky haben, sich auf ihn berufen können – hier die Hauptfigur. Der ist schon liebenswert, und man ahnt, dass er durch das Leben so gehärtet worden ist, ein Schrat mit spätem Glück. Bleibt ihm ja gar nichts andres übrig, den andern Figuren auch. Man ver(sch)wendet den Witz an uns jüdische Menschen. Es hätten kleinere Unglücke als die Shoah ausgereicht, um die Wechselfälle der Liebe zu beschreiben. Wenn schon jüdisch, dann Woody Allen oder wirklich die israelischen Filme.

Die Juden als Pandabären des schlechten Gewissens. Im Zoo der Vorurteile ausgestellt, den Toten zur Ehr, den Lebenden zur Lehr, den Antisemiten zur Wehr…da vermisch ich jetzt wohl etwas.

Ich möchte da keine Filmkritik veranstalten. Die schreckliche Geschichte des jüdischen Sterbens und des nachfolgenden Leidens auch der Überlebenden darf, kann, soll man im Kontext auch ironisieren, pathetisieren, verkitschen, komplizieren dürfen. Die Biographien der zweiten und dritten Generation nach der Shoah kann man auch als Verarbeitung der Kultur- und Sozialgeschichte im Vorfeld der Shoah lesen. Man muss das nicht, wie Schuster es getan hat, mit Israel und den jetzigen Konflikten verknüpfen, so einfach hängen die nicht zusammen. Man kann, dann wird so etwas wie Dorit Rabinyan oder Yali Sobol draus, und es gibt soviele anrührende Parallelgeschichten, die auch durchaus ein Element von Kitsch enthalten können, dann als Trost.

Schaut euch die andern Filme des Festivals unbedingt an. Auch die Geschichte der Liebe kann man verfilmen, aber es muss nicht so ein Schmonzes sein. SO ein großer Titel…mehr geht nicht.

Macht uns nicht so klein, so groß sind wir nun auch wieder nicht. Anhand dieser Überlegungen sollte man sich fragen, was „jüdisch“ bedeutet. Dass jüdische Menschen in einer Geschichte , in einer Situation vorkommen? Oder dass es eine speziell „jüdische“ Form der Verarbeitung von Geschichte in der Kunst gibt? Von hier  aus kommt man zum Gedenken, zum Filmfestival und zu meinem Unbehagen an einem Film.

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Ein wenig Nachklapp:

Michael Daxner: Die Inszenierung des guten Juden. In Müller-Doohm und Klaus Neumann-Braun (Hg): Kulturinszenierungen, Ffm 1995 (Damals hatte man das Interesse am Schtetl und an Klezmer neu entdeckt als Verlust der Deutschen)

Roman Vishniac. Verschwundene Welt, New York 1983 (Photographien, Einleitung Elie Wiesel).

Michael Daxner: Der Antisemitismus macht Juden, Hamburg 2007 (merus)

Schauen Sie selbst unter Schmonzes nach – man findet eine derartige Vielzahl von Bedeutungsvarianten, von „wertlos“ bis „konfus“, von „unerheblich“ bis „beiläufig“, dass man die eine oder andere schon auf den Film anwenden kann. Ich kenne den Begriff oft als Synonym für Kitsch.

Suchen Sie die Kontroversen um Rabinyan, Sobol, Grossmann…dabei werden Sie auch fündig, was die Einsicht von Schuster und unsere Sprachhemmung betrifft.

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