Wie meine Leser*innen wissen, sind jüdische Themen bei mir ein wichtiges und sensibles Terrain. Es erreichte mich eine Ankündigung, auf die ich mit Interesse genauer geschaut habe. Der Raum der Freiheit für linke Israelkritik und die Abwehr des Vorwurfs, linken Antisemitismus zu vertreten, zugleich die Umwertung dieses Vorwurfs durch die Rechten. Alles in allem nicht trivial, und angesichts der derzeitigen Regierungspolitik in Israel auch nicht einfach.
Unter dem Titel „Zur Zeit der Verleumder“ findet in Berlin am 10.2. eine Tagung statt: http://projektkritischeaufklaerung.de/de/konferenz-in-berlin-am-10-februar-2018/
Ein wesentlicher Absatz aus der Ankündigung:
Kritische Juden sind wüstesten Attacken ausgesetzt: Drohungen, vereinzelt sogar Tätlichkeiten, meist aber Beschimpfungen und Herabwürdigungen, wie »Alibi-Jude« und »selbsthassender Jude«, sogar Holocaust-Überlebender und deren Nachkommen, gehören mittlerweile zum politischen Alltag. Die im September von der Deutschen Bundesregierung angenommene groteske Antisemitismus-Definition, mit der so gut wie jede Kritik an Israel, sogar an »nicht-jüdischen Einzelpersonen und/oder deren Eigentum« als Erscheinungsformen von Judenhass gebrandmarkt werden soll, zielt auf eine Kriminalisierung jüdischer Marxisten und anderer kapitalismuskritischer Linker. Die jüngst von deutschen Bürgermeistern und ihren Magistraten auf den Weg gebrachte Verordnung des Entzugs öffentlicher Veranstaltungsräume, durch den offensichtlich ein Redeverbot für jüdische Linke im Täterland exekutiert werden soll, wird den ohnehin in der Berliner Republik fortschreitenden Prozess der Entdemokratisierung und Einschränkung der Meinungsfreiheit beschleunigen.
Die Argumentation der Tagung ist sehr komplex und geht weit über die tagespolitische Diskussion der Verbindung von Israelkritik und Antisemitismus hinaus. Ich hatte dazu einiges geschrieben, auch in meinem Blog und in meinem Buch „Der Antisemitismus macht Juden“ (2006), aber heute geht es mir anhand dieses Absatzes um etwas anderes. Die Beschimpfung des Selbsthasses habe ich selbst oft erfahren, früher vor allem aus dem Lager der DKP Linken und immer wieder von Konservativen aller Lager, wenn ich die linken Antisemiten schon deshalb angreife, weil sie Israelkritik so ungemein erschweren: siehe oben.
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Ich gehe weit zurück: nach dem Krieg, als Kind in Österreich, umgeben von einem unheimlichen Milieukatholizismus, der davor mit den Austrofaschisten, den Nazis, davor und danach mit den Kommunisten und den Sozialdemokraten keine großen Probleme hatte. Wer als Kind mager war, gar „verhungert“ aussah, wurde von den Spielkameraden „KZler genannt“. Der KZ Friedhof eines großen und wichtigen KZs lag lange Zeit etwas abseits von der Stätte an der Bundesstraße 145, der Salzkammergutbundesstraße, einer Touristenroute. Spät wurde er an die Stelle des KZs verlegt, die Touristen sahen nichts mehr davon.. (Die Gedenkstätte wurde erst spät für die Öffentlichkeit interessant, es gibt einen guten Film „Die Fälscher“ mit Markovits, es gibt mittlerweile ein kritisches Museum in Ebensee…aber nichts davon, und nichts in meiner Kindheit. Man war „Jude“, bevor man wusste, dass man „jüdisch“ war, und am besten war man nichts dergleichen.
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Etwas weniger weit zurück, schamlos bleibt die Beschämung: die Judenwitze auch bei den Pfadfindern, auch in der Schule, die so gar nichts mit dem noch nicht realisierten Zustand zu tun hatten, als Jude zu gelten, jüdisch zu sein. Allgegenwart des Antisemitismus, aber auch immunisierend, wie durch Lebendviren.
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Dann die Universität, schon aufgeklärt über die Geschichte meiner Familie und über die Existenz Israels, Leon Uris, später Anne Frank, allmählich dringt die Familiengeschichte immer tiefer in die Poren der Reflexion ein.
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Dann 1967. Blut spenden für Israel. Es gab auch welche, die für die Palästinenser Blut gespendet haben. Es gab keine direkte Zuordnung zu rechts oder links, aber der Begriff des Anti-Zionismus tauchte auf, drang in die politischen Diskurse ein. Es gab kein Ausweichen mehr, die Positionen durften nicht mehr subjektiv bleiben. Sie mussten politisch werden, und an der Existenz Israels gab es keine vernünftigen Zweifel, ebenso wenig an seiner Geburt aus der Shoah. Das hatte mit rechts und links nichts zu tun. Erst als genaueres Studium die Idee des Staates, die Geschichte des britischen Mandats, die Vorgeschichte Herzls etc. immer mehr zusammentragen ließ, was unvermeidbar zusammengehörte, erschienen bei mir zwei Rahmen, in dem ich zu argumentieren lernte: Israel ist kein Projekt, das in der Shoah geboren und allein als Reaktion auf sie realisiert wurde: seine Vorstellung war lange davor profiliert worden, es war ein „linkes“ Projekt. UND: als jüdischer Mensch musste ich mich dazu verhalten, auch wenn Israel kein Judenstaat und ich kein Jude war (das letztere ist sehr schwierig zu erklären, vieles habe ich in meinem o.g. Buch zusammengetragen, aber „Jude“ ist eine ambivalente Konstruktion, zum jüdischen Leben kann sich ein Mensch intentional entschließen). Das bedeutete auch: mich, die jüdische Welt, nicht als Opfer und Nachkomme von Opfern hauptsächlich zu definieren und aus der Geschichte herauszunehmen. Natürlich waren es mehr als 6 Millionen Tote, also Opfer, und Millionen mehr, trotz des Überlebens. Aber die Schuld der Überlebenden war und ist auch ein Produkt der Täter und ihrer Nachkommen, die Geschichte ist eben nicht abgeschlossen, solange sie in den Kategorien von Schuld und unsühnbarer Sühne allein sich bewegt.
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Zeitensprung: es gab Jahre der allmählichen Verfestigung von Wissen, mein Freund Aron Bodenheimer, der große Gelehrte, würde gesagt haben, über uns und unseren Stamm; (à Dabeisein und nicht dazugehören“, 1985); Das Wissen wuchs nicht nur in die Wissenschaft hinein, schwierig genug, sondern auch in die Erklärung der Familiengeschichte und ihrer Umgebung, Kontextualisierung mit sich als einem kleinen späten Knotenpunkt. Viel Erklärung gegenüber anderen – Familienmitgliedern, Freunden in meiner Grünen Partei, Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, Studierenden der Jüdischen Studien in Oldenburg, Israelis in Berlin, Israelis in Israel etc. – war notwendig, wurde bis heute immer notwendiger. Verbündete und Gegner, auch in den jüdischen Reihen, und der Antisemitismus interessierte mich immer mehr auch jenseits des Nahostkonfliktes, obwohl man den nicht aussparen kann.
Plötzlich ist damit rechts und links wieder da, Israelkritik mit Antisemitismus und Israelkritik ohne Antisemitismus, strikt säkulare Argumentation mit, gegen, ohne, über die jüdische Religion, Religion versus Tradition etc. Das etc. ist wichtig: versteht ihr, warum ich immer sage, es gibt keine Juden? Die Bestandteile dieser Konstruktion sind wie ein Puzzle, bei dem alle Steine gemischt werden können, die Leerstelle in der Mitte heißt: Jude.
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Konfliktreich geschult an meinem Freund Erich Fried, an Hannah Arendt, an Aron Bodenheimer, und an den vielen Familienmitgliedern, den vielen Texten, die das Wissen ausmachen und den vielen Menschen, die die Empathie entstehen lassen; also konfliktreich geschult, sehe ich, dass es ohne Politik nicht geht. (Wie denn auch?, aber es wird oft so getan, als sei der Holocaust etwas, das fundamental unterhalb oder oberhalb jeder Politik einfach so „ist“, bzw. war und in bestimmter weise gedeutet werden „muss“).
Den Linken, auch der linken Israelkritik fehlt es an Wissen. Den Rechten auch.
Der Antisemitismus ist nicht ohne die Ambiguität zu erklären, die wir gerade jetzt, nach Trumps Jerusalemerklärung genau studieren können. Das Blutvergießen, das sie bewirkt, unsinnig und vermeidbar, zeigt dennoch genau diese Ambiguität auf: und das haben viele erkannt, und viele Reaktionen lassen uns dankbar für die freie Presse und das freie Wort sein. Und jetzt, bitte, lest den Absatz ganz zu Beginn des Blogs noch einmal.
Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich mit dem Kontext der Tagung und auch diesem Absatz NICHT übereinstimme, aber zugleich ihn für geradezu gespenstisch, geradezu verzweifelt konkret finde. Weil er nämlich genau die Falle aufmacht und zuschnappen lässt: Israel zu kritisieren und den Antisemitismus, den andere definieren und erklären, von sich abzuweisen; oder sich gegen Israelkritik zu verwahren (Bundesregierung usw.), und trotzdem den Antisemitismus wie einen Brandsatz zu bewahren.
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„Kritische Juden“ sind ? an sich ? kritisch. Unkritische Juden sind wer oder was? Gemeint sind hier explizit israelkritische Juden. Wie ist es mit den Kritikern der israelischen Politik, die sich nicht jüdisch verstehen (s.o.) oder, die diese Politik aus zusammenhängen erklären, die nichts mit dem Judentum zu tun haben, sondern mit allen möglichen politischen Konstellationen, und die „Juden“ werden dort eingesetzt, wo die kritische Rationalität aussetzt?
„Staatsräson“ in Bezug auf die Existenz Israels: wie sähe ihr Gegenteil oder ihre Leugnung aus? DAS ist nicht der Stein des Anstoßes, und natürlich muss nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form der Kritik an der israelischen Politik anders aussehen als die Kritik an den Gegnern und Feinden Israels: das kann jeder begreifen, der politische Zusammenhänge nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ, geographisch, strukturell begreift.
Ich fürchte, dass dann einiges ganz dumm wird: „jüdische Marxisten“ und andere „kapitalismuskritische Linke“. Hier wird Schindluder mit Worten getrieben, die es nicht zum Begriff gebracht haben.
Die Rechts-Links-Koordinaten taugen, wenn überhaupt, dann nur noch diskurskritisch und meist verweisen sie auf etwas anderes. Dazu der nächste oder übernächste Blog. Aber in diesem Zusammenhang – Israel, Israelkritik, Kapitalismuskritik, und innerdeutsche Reaktionen darauf – muss man sich schon wundern, dass unter einem vorgeblich antifaschistischen Rubrum sehr fundamentale Freiheitsrechte in Deutschland als bedroht erachtet werden, wenn der Staat beweisen möchte, dass und was er aus der Geschichte gelernt hatte.
Ambiguität: ich finde auch, dass manche Ausgrenzungen von Kritik an der israelischen Politik besser zugunsten einer konfliktfähigen Auseinandersetzung unterblieben, aber es ist ja nicht die „Rechte“, die das Einschränken von Meinungsfreiheit in diesem Punkt betreibt, sondern der Staat, der sich gegen den rechten Anti-Israelismus aus Staatsräson wehrt. Man mag diese Figur flach und etwas simpel begreifen und deshalb kritisieren (ich bin dabei); aber die Fronten zugunsten einer linken Fiktion zu verschieben und die Phänomene rechter Ambivalenz gegenüber der Regierungspolitik Israels in Abgrenzung zum Staat Israel, den man da weit weniger goutiert, einfach dem eigenen linken, „antifaschistischen„ Duktus zu unterwerfen, ist fatal.
Diese Diskussion ist – so wenig der angekündigte Kongress oder die „innerlinke“ Debatte folgenreich sein wird – über Gebühr belastend, weil er auf das Unabgeschlossene einer Situation verweist, die zwar mit der Staatsgründung Israels einen historischen Fixpunkt erreicht hatte, aber entweder weit in die Vergangenheit zurückreichen MUSS, um irgendetwas zu verstehen; oder aber aus der historischen Legitimation, incl. Altneuland, Balfour, Shoah und Nachkriegskolonialismus aussteigt, um auszuloten, welchen Frieden es jetzt geben kann, und dann kann das „Jüdische“ eine Komponente sein, mit der wir uns gegen jeden Antisemitismus wehren können. Das ist z.B. bei der Diskussion um eine Ein- oder Zweistaatenlösung nicht trivial, wenn es um die Befunde des religiös argumentierenden arabischen (oder muslimischen? Zwei nicht kongruente Optionen!) Antisemitismus geht oder um die religiöse oder säkular-nationalistische Aneignung fremden Landes (auch zwei in der derzeitigen rechten Politik in Israel inkongruente Optionen).
Antisemitismus wird zum Kampfbegriff, wenn die Biedermänner den Brandstiftern das Instrumentarium der Ausgrenzung und der politischen Inkorrektheit reichen. Meine Frage ist eminent praktisch: wenn ich mit muslimischen Flüchtlingen arbeite oder mit Asylbewerber*innen aus muslimischen Ländern, dann erfahre ich da auch viel Antisemitismus. Der ist nicht besser dadurch, dass diese Menschen schweres Leid und Unrecht erfahren haben. Wie also darauf reagieren? Genauso, wie ich auf deutschen Antisemitismus reagiere, wie denn sonst?
Meine Gegengifte sind immer die gleichen: Oz lesen, Grossmann lesen, Kaniuk lesen, Rabinyan lesen, Bodenheimer lesen, im Alltagszweifel Ha’aretz lesen und daran denken, dass der lange vor der Shoah begründete Teil jener Neugründung, die Israel heißen würde, ein „linkes“ Projekt war, wenn denn die Koordinate noch immer heißt: selbstbestimmt und solidarisch. Dass es auch jüdische Abkehr davon geben kann und gibt, ist nur ein Zeichen, dass jüdische Menschen, Gruppen wie Individuen, eben Menschen sind, und Menschen keine besonderen Juden.
Und endlich darüber reden. Sich hinter den verstaubten Ideologie zu verstecken, hilft immer nur den Antisemiten.