Da capo al fine.
I.
Ich wiederhole mich, eher deprimiert und zornig, und muss dem letzten Blog zum Unhold Dobrindt und seinen Spießgesellen einiges Bittere hinzufügen.
DIE ANGST VOR ABSCHIEBUNGEN ZERSTÖRT VERTRAUEN UND FÜHRT ZUR UNMÖGLICHKEIT VON POLITIK
Zwei Tage lang habe ich mit Afghan*innen, die in Deutschland leben, diskutiert und versucht zu erfahren, wie sich dieses Leben, auch in Bezug auf ihr Herkunftsland, für sie gestaltet. Keineswegs waren das nur traumatisierte Flüchtlinge, die gerade erst angekommen waren; manche leben in vierter Generation in Deutschland. Auch Expert*innen aus dem nahen europäischen Ausland kamen zu Wort.
Viel schärfer als ich im GroKo-Blog zeigte sich, dass schon das Kooperationsangebot unserer Regierung an diese Afghan*innen, die ja nicht nur bei uns leben, sondern mit uns leben, mit Misstrauen aufgenommen wird, weil es für Abschiebungen missbraucht werden könnte. Was angesichts belegter Einzelfälle behördlicher Willkür von der Verhaftung bis zur Ankunft in Kabul belegt ist (soviel Unmenschlichkeit kann man nicht einfach erfinden, wenn man kein Übeltäter ist. Und erinnern Sie sich daran, wie der wohlintegrierte bayrische Junge aus seiner Klasse von gewalttätigen rechtsbrecherischen bayrischen Polizisten aus der Klasse gezerrt und misshandelt wurde, um abgeschoben zu werden – DAS ging sogar im Detail durch die Medien).
DEUTSCHLAND IST NICHT ALLEIN MIT DIESER MENSCHENVERACHTENDEN ABSCHIEBEREI – skandinavische Staaten, Österreich, Israel, und viele andere sind auch daran beteiligt.
Die Frage ist NICHT, ob diese Barbarei mit dem Rechtsstaat vereinbar ist, und sie ist nicht, ob die Abgeschobenen mehr oder weniger gute Menschen sind oder vielleicht straffällig oder gar kriminell. Wer auch nur eine nachprüfbare Geschichte vom Verlauf und dem Ergebnis einer Abschiebung in sich aufgenommen hat, weiß: hier ist Opposition angesagt, und Illoyalität gegen alle Staatsorgane, die sich daran beteiligen. (Ironie, Vorsicht: die hurenden und saufenden Berliner Polizisten im Vorfeld von G20 könnten sich ja auch an den Abschiebungen beteiligen? Das wird man nicht zulassen, denkt der mündige Bürger).
Wenn ich nur Afghanistan nehme, dann kann ich mit einiger Autorität sagen: unabhängig von der Legalität der Abschiebung ist sie schon deshalb illegitim, weil sie den Tod von Menschen in Kauf nimmt, ob schuldig oder nicht vor dem deutschen Strafgesetz.
In Israel gibt es gegen die Abschiebungspläne von 40.000 Menschen nach Afrika wenigstens Opposition. Netanjahu und seine Regierungsbande nennt sie „Eindringlinge“, das Wort könnte er in Deutschland gelernt haben, früher einmal.
Beim Familiennachzug könnte man die GroKo ja ein wenig zur Besinnung bringen: wer da Minister*in werden will, wird vorher von seiner/ihrer Familie getrennt und sieht sie vielleicht nie wieder.
Bei der Abschiebung kann man solche eher milden Spiele nicht machen. Da gilt es, Menschenrecht gegen die Oktoberfestgemütlichkeit von so genannten Christen und so genannten Sozialdemokraten ins Treffen zu führen. Noch sind wir das Volk, und von uns geht das Recht aus.
(siehe aber, in vielen Blogs, wie wir zum Volk geworden sind).
II.
So, soweit kennen Sie das ja, und es zeigt unsere Ohnmacht, dass wir es immer und immer wieder sagen müssen.
Auf einer höheren, weil politischen Ebene der Reflexion, geht es um mehr und anderes. Die Abschiebungen sind spieltheoretisch ein „Befriedungsspiel“. Die Regierung befriedet die Nazis von der AfD und ihre politischen Nachbarn von der CSU und in den anderen Parteien durch die Symbolpolitik der Abschiebung. 148 sind in 6 Transporten tatsächlich abgeschoben worden, bis zu 40.000 warten darauf, fürchten sich davor, können abtauchen, oder beginnen, sich zu wehren. Einer hat mir vorgeworfen, ich übertriebe schamlos, bei 148 so einen Aufstand zu machen, da gäbe es viel Schlimmeres. Ja, aber ich übertreibe nicht. Es ist das Wetterleuchten vor dem Tsunami, das hier geprobt wird, wie gesagt, im Spiel. Wenn die Strategie der symbolischen Politik aufgeht, kehren Wähler der AfD zu den andern Parteien zurück. Rational Choice. Wenn die zurückkehren, kann man mit demokratischen Parteien die Gesetze verschärfen, uns weiter abschotten, dann braucht man nicht abzuschieben. Damit werden auch die Kritik und die Vorwürfe zurückgehen. Befriedung geglückt. Es geht hier um Appeasement und Pacification, nicht um Frieden, aber das ist ja klar. Die Abschiebungen geben der Bevölkerung das Gefühl, über den Rechtsstaat, über den Staat insgesamt, gesiegt zu haben. Sie erinnern sich…Die Bevölkerung hält sich fürs Volk, sie hat sich noch gar nicht konstituiert und demoratisch legitimiert, da will sie schon Vorm und der Politik sein.
Die Angst eines Flüchtlings wiegt mehr als die Ängste der Bevölkerung. Das klingt aber pathetisch, Herr Daxner. ist es auch, aber es stimmt, weil seine, des Flüchtlings Angst, konkret ist. Und wer schon seinen Tod gesehen hat (Fluchtursache), der will ihn kein zweites Mal sehen.
Vor ein paar Tagen wurde wohl/hohl-tönend der verpflichtende Besuch von Auschwitz u.a. durch geflüchtete Muslime vorgeschlagen, mit guten und bösen Argumenten. Kann man pädagogisch argumentieren und muss nicht falsch sein. Warum aber eigentlich nur muslimische und antisemitische Ausländer dorthin schicken, wo sich das Sterben nachvollziehen lässt?
Befriedung ist immer Gewalt.
III.
Scham aber auch. Ich schäme mich in diesem Land, das besser ist als viele und doch den Weg mit andern mitgeht (Freunde, Verbündete, Handelspartner, Nachbarn, und die andern im globalen Kontext. Ich schäme mich selten für etwas, das ich nicht getan habe oder das ich nicht mitbewirkt habe. Aber ich schäme mich, weil ich weiß, wo und in welcher Hinsicht ich Teil des Ganzen bin, das eben auch Abschiebungen und Menschenverachtung reproduziert. Ich sage das, weil es eine demutfreie, trostlose Scham ist. Weil ich weiß, dass es hier besser ist als anderswo, und dennoch geschieht, was nicht mehr geschehen sollte.
Es ist nicht einfach, immer wieder von vorn anzufangen. Wer einen Menschen vor Abschiebung nach Afghanistan rettet, hat wenigstens das Anrecht darauf erwirkt, weiterhin die Welt zu retten. Wer es nicht glaubt, muss die Geschichten hören oder Augenzeuge werden.
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