Deutsche Fragen

Deutsche Fragen. Die deutsche Frage. Die Deutschen fragen…zu wenig.

Ich schreibe eine Rezension eines 2016 in Oldenburg erschienen Buchs, nicht nur, weil ich es für wichtig halte, sondern auch, weil es vielfach an Beobachtungen der jetzigen Situation anschließt.

Oldenburg, das war einmal meine Universität, und ich verbinde mit dem Buch eine ständige Herausforderung durch die deutsche – und internationale, wie man sehen wird – Geschichte. Politik ohne Geschichte ist etwas amputiert, das musste ich in den letzten Jahren in der Lehre an der exzellenten FU Berlin erfahren, und in Oldenburg war es nicht sehr viel besser. Doch, auch in meinen Veranstaltungen, aber mühsam: Geschichtswissen als teilweise Antwort auf meine Lieblingsfrage: woher weiß ich, was ich weiß?

Klaus Finke: Die Deutsche Frage und die Barsinghausener Gespräche 1958 – 1967. Oldenburger Beiträge zur historisch-politischen Bildung, #13. BIS Verlag der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg, 2016.

In diesem Titel ist schon viel enthalten. Die historisch-politische Bildung, für Geschichts- und Politikwissenschaft gleichermaßen bedeutsam, ist ein intellektuelles Gut, das zu den stromlinig geschneiderten Modulen der Fachwissenschaften nicht so richtig passt. Der BIS Verlag einer sehr menschenfreundlichen großen Bibliothek gibt mehrere Reihen dieser Art heraus, und kümmert sich mehr darum, Vernünftiges zu produzieren, als den Lobes- und Zitierkartellen der Großverlage nachzueifern.

Wichtig zum Thema, viel wichtiger: Carl von Ossietzky, der Namensgeber der Universität; und Armin Mruck, der vier Beiträge und ein Interview zu diesem Band beigetragen hat.

Ossietzky und die Weimarer Republik stehen bereits für eine Deutsche Frage, die anders konstruiert war als die nach 1945, aber vieles von dem in ihre Antworten hat fließen lassen, das heute wieder wichtig wird, z.B. bei Analogien unserer politischen Zustände, einschließlich des Anwachsens der Nazipartei AfD, mit der Weimarer Republik (das fällt auch anderen auf, u.a. in den USA dem bedeutenden Mark Mazower). Wer den Zusammenhang genauer an Ossietzky festmachen möchte, der lese nach bei

  • Elke Suhr, àGerhard Kraiker und Dirk Grathoff, à Rainer Rheude, und die umfangreichen Dokumentationen zur Namensgebung, die erst 1991 erfolgte und in deren Umfeld die ganze Kontroverse um verarbeitete Geschichte, Aufarbeitung und Ausblick noch einmal hochkochte. Gerhard Schröder, Aron Bodenheimer und viele andere seien genannt.

Ich war damals schon ein paar Jahre Unipräsident und habe mich vor allem auf die Kontroverse eingelassen, ob diese Uni den Namen Ossietzkys überhaupt „verdiene“ (was von den „Linken“ in Frage gestellt wurde, die ein einseitiges Geschichtsbild dogmatisch verfolgten). Ja, sie hat es verdient, und die Publikation von Finke ist ein Beleg.

Es geht in diesem Band um eine Gesprächsreihe der Nachkriegszeit, in der der Zusammenhang zwischen Vertreibungsproblematik, Kaltem Krieg und den Variationen der „Deutschen“ Frage vor und nach dem Mauerbau 1961 thematisiert wurde. (Beitrag von Sören Nordhoff). Flucht und Vertreibung sind auch heute, unter anderem Vorzeichen allerdings, aktuell.

Klaus Finke leitet das Buch mit einem großen Essay ein, der m.E. nicht nur kenntnis- und faktenreich ist, sondern das Problem „Deutsche Frage“ der politisch-historischen Bildung zurecht als Thema mit Variationen an die Hand gibt. Studierende können im übrigen daran lernen, dass es doch, vor allem Europa betreffend, Fortschritte seit den 60er Jahren und erst recht seit 1989 gegeben hat.

Mein zweiter Anlass ist Armin Mruck.  Noch als Kriegsteilnehmer in den Neubeginn in der amerikanischen Zone gekommen, hatte Armin Mruck in Marburg und Göttingen studiert und war in den 50er Jahren über Stipendien und erste Berufungen zum Professor an mehreren amerikanischen Universitäten geworden, zuletzt und für viele Jahre an der Towson Universität, nahe Baltimore in Maryland. „Europäische Geschichte“ war und ist sein Kernfach, und die „deutschen Fragen“ standen immer im Zentrum seiner Überlegungen. Ich hatte Armin 1986 wenige Monate vor meinem Amtsantritt als Unipräsident kennengelernt, bei einem Studienaufenthalt mit der GEW in den USA. In Towson wurde uns Armin Mruck als Betreuer zugeteilt, und daraus entwickelten sich ein persönliche Freundschaft und stabile akademische Beziehungen zwischen beiden Universitäten. Der amerikanische Freund, der immer auch ein deutscher Freund war, bildete einen frühen Ansatzpunkt für die notwendige Internationalisierung unserer Reformuniversität, der Austausch florierte, von Forschung über Studium bis hin in den Verwaltungsbereich. Armin Mruck also hat Oldenburg viel zu verdanken. Jetzt hat er diesen von Klaus Finke besorgten Band angeregt. Sein erster Beitrag, das Deutschlandbild der Amerikaner betreffend (1961) ist typisch für seine Herangehensweise; und allemal aktuell sind seine europapolitischen Vorstellungen im Gespräch zur deutsch-polnischen Aussöhnung (1963). Barsinghausen ist schon deshalb ein wichtiger Ort.

Finke gebührt das Verdienst, Sichtweisen gegeneinander zu stellen, etwa die Bewertung Röpkes durch H.A. Winkler und Götz Aly: im Kapitel 2 seines langen Essays wird hier ein Beispiel auch anschaulicher Kritik gegeben; Studierenden sollte es leichter fallen, sich in eine Zeit hineinzuversetzen, in der der Kalte Krieg nur mehr ein metaphorischer Begriff von größter Unanschaulichkeit ist. Weiß man etwas mehr, versteht man Egon Bahr, der den Kalten Krieg einmal Beispiel für Eindeutigkeit in den Weltverhältnissen beschrieben hatte, und noch mehr, dass bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine solche Eindeutigkeit vermisst wurde (zu Unrecht, wie ich meine).

*

Ich habe diese Rezension in meinen Blog gestellt, weil ich ja viel vom gegenwärtigen Vorkrieg schreibe und von den schwierigen Umständen, unter denen Hoffnung zur politischen Praxis werden kann. Wer den reaktionären und revanchistischen Grundton in weiten Teilen Westdeutschlands nach dem Krieg und die abstoßende Kippfigur der Deutschlandpolitik im kommunistischen Lager und der DDR verfolgt, der gewinnt eine Ahnung, wie sehr die Ostpolitik von Willy Brandt, wie sehr die Auschwitzprozesse und die Studentenbewegung, wie sehr die Revitalisierung von Ossietzky und Tucholsky, zumal in Oldenburg, doch erhebliche Verbesserungen auch unserer historischen wie politischen Ausgangslage gebracht haben, nicht nur akademisch, sondern im wirklichen gesellschaftlichen Leben.

Finkes Band zeigt aber auch, wie sich das Stellen von Fragen verändert hat, wie wir mit Antworten umgehen müssen, wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt. Das ist es, was dem Studium immer hinzugefügt werden sollte, und wovon alle einen Gewinn haben: Lehrende und Studierende.

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