Kritik erreicht mich, holt mich ein: ich würde ja nicht so leben, als wäre das Ende von allem so greifbar nahe; zugegeben, die Verwerfungen sind unübersehbar und alles wird schlimmer zur Zeit, nichts wird besser. Aber das reiche nicht, Apokalypse zu verbreiten.
Das ist ein Irrtum.
Apokalypse sowieso nicht, denn hinter dieser Welt ist ja keine Andere, und das Schreckliche ist nicht der Übergang zu einer andern, besseren Welt. Die Entschleierung des Weltuntergangs muss nicht sein, der Untergang, unserer Welt, die ja nur das Habitat auf dem Planeten Erde ist, braucht keine Offenbarung. Aber ja, es muss eine Eschatologie geben. Die „letzten Dinge“ sind, wie die Leser*innen dieses Blogs mittlerweile wissen, die absehbare Überholung unserer Weiterlebensmöglichkeiten durch das, was wir angerichtet haben, wohl weil die Evolution zu langsam und zu wenig flexibel war und uns nicht zur Adaption an das Vernünftige gezwungen hat (was ja denkbar gewesen wäre, wenn wir unser intelligentes Design nicht dem transzendenten Gott oder der Wallstreet oder dem Politbüro überlassen hätten).
Das hat eine gute und eine schlechte Seite. Die schlechte ist natürlich, dass es so gut wie ausgeschlossen ist, im letzten Moment ein gattungserhaltendes Handlungsmuster zu finden; wer redet da von Rettung? Einfach Überleben oberhalb der Ebene des Existenzminimums. Homöstase, also Gleichgewichtszustände, auf dieser Ebene sind denkbar, aber nicht erstrebenswert. Das klingt grausig, ist es wohl auch, aber man soll es nicht mit einem vierten Zeitalter verwechseln: Gold, Silber, Erz und Eisen. Das letzte kehrt alles selbstverständlich Gute und Richtige des Ersten um: „Scham, Wahrheit und Treue flohen. An den Platz derer folgten sowohl Betrug als auch List als auch Hinterhalt und Gewalt und die verbrecherische Liebe zu besitzen nach“ (Ovid, Metamorphosen). Keine Lehre vom Verfall der Einen und Aufstieg der Anderen, keine Zyklen der Weltentwicklung, und kein Ende der Herrengattung durch Decadence, was endlich die Knechte zur verderblichen Herrschaft brächte – lacht nicht! Wenn man die Idiotien der neuen Nazis und Kulturpessimisten liest, die sich ausmalen, was geschieht, wenn es nur keine Deutschen mehr gibt, weiß man, dass ich das nicht einfach erfinde. Finden wir uns damit ab, dass essinnvoll und notwendig ist, sich damit zu „versöhnen“, dass es in diesem engen Schlauch keine Möglichkeit zur Umkehr gibt.
Das führt zur guten Nachricht: jeder Mensch weiß, dass er oder sie eines Tages sterben muss. Weiß man aber ziemlich genau, dass es nicht mehr lange dauern kann und wird, dann ist die Zeit bis dahin nicht nur mit Trauerflor behängt, sondern auch mit Freiheit und dem Bewusstsein, dass es ohnedies am eigenen Schicksal wenig ändert, wenn man das richtige oder vernünftige tut, woran einem die Umstände solange gehindert haben. Die Zeit der Freiheit war zwar immer schon angebrochen, vor allem, weil man nie genau wusste, wann sie zu Ende gehen würde, aber nunmehr ist sie umso kostbarer, als wir ja auch nicht wissen, wann die Erde an uns erschöpft sein wird, nur dass wir uns schon auf der abwärts geneigten Flugbahn befinden, wissen wir. Nicht: ahnen wir, vermuten wir. Wir wissen es.
DIE EINLEITUNG IST IMMER ETWAS SCHWERGEWICHTIG. DIE PRAXIS HINGEGEN PRAKTISCH.
Die Zeit der Freiheit ist die Zeit der Politik. Wenn der Klimaverbrecher Trump – unbehandelbar geisteskrank, aber bewusst, mächtig und nicht dumm, die Abgasnormen für Autos abschafft, dann ist das ein Missbrauch eben dieser Freiheit. Wenn der israelische Premier sich den rechtsradikalen Kabinettsmitgliedern unterwirft, um Flüchtlinge zu schädigen, so ist das Missbrauch dieser Freiheit. Genauso, wenn der deutsche Heimatminister Flüchtlinge konzentriert abschieben will. Ebenso, wenn…ich fordere meine Leser*innen immer wieder auf, die Beispiellisten zu ergänzen, weil sie unbegrenzt sind, weil jeder aus seinem Alltag hunderte, tausende Beispiele kennt, und doch nicht alle geeignet sind, daraus wirksame Politik zu machen. Es stimmt eben nicht, was die eingangs erwähnten Kritiker behaupten, dass die Nachhaltigkeit und Resilienz der Welt in den ungebremsten Katastrophenszenarien zerstört würde, weil man gar nicht mehr wahrnimmt, was früher alles schlechter war (wie der SPIEGEL in einer klugen Kolumne darstellt). Die Irreversibilität führt zu Heftpflasterpolitiken. Heute kam die Meldung bestätigt durch, dass in den letzten 20 Jahren 25% der Biomasse von Insekten ausgerottet wurde (Glyphosat etc.). Die Umweltministerin will jetzt die Bienen retten.
SO GEHT DAS NICHT.
Der Widerstand hat immer zwei Optionen. Gehen wir von seiner Legitimität aus, dann kann er über Risikoabschätzung sich entscheiden, einer Gefahr durch demokratische Veränderung durchsetzungsfähiger Regeln und Normen zu begegnen. Oder er bringt die Verhältnisse durch Gewalt zum Tanzen, selbst wenn die angewandte Gewalt in keinem kausalen Zusammenhang mit der bekämpften Gefahr steht. Gewalt ist einfacher, aber nicht deshalb schon immer falsch. Welche Art ihrer Anwendung gerade richtig erscheint ist so schwer herauszufinden wie das richtige Gesetz für den jeweiligen Gefahrenfall.
Beide Optionen lassen nur wenig brauchbare Prognosen über die Möglichkeiten zu, das Ende hinauszuzögern oder es zu beschleunigen (letzteres im Vorteil, aber wirklich erheblich?).
SO GEHT ES SCHON EHER.
Ganz viele Ratschläge beginnen mit der Forderung, Praxis vom Ende her zu denken. (In manchen Systemen heißt das dann, bei Eintritt des angestrebten Ziels so etwas wie Erlösung wahrzunehmen – siehe meinen Osterblog). Bei sehr praktischen Planungen kann das schon einmal Sinnmachen, aber stellt euch vor, man würde die Hinrichtung vom sausenden Fallbeil her denken: bräuchte es dann der Henkersmahlzeit? Umgekehrt hat man in Auschwitz und am sinkenden Schiff und im grausigsten Kerker oder verirrten Wildnis nicht nur seinen Elan Vital mobilisiert, sondern auch die Umstände ohne das sich abzeichnende Ende analysiert und bearbeitet. Nicht, weil man vor der Wahrheit davon gelaufen ist, sondern weil es sie nicht verbessert hätte, wäre man nicht verliebt, belustigt, abgelenkt, ermüdet oder aufgeregt gewesen, schlicht: wäre man nicht lebendiger gewesen als das sich abzeichnende Ende einem zumuten wollte (ganz zu schweigen von der ungläubigen Kontemplation als Schmerzmittel).
Lange Umschreibung der Aufforderung, im Kleinen die Trittsteine zu sehen, die dann zu Demokratie (Heimat) oder Gewalt (Auszug) führen, und auch zu entscheiden, wann welches von beidem angebracht ist. (Hinweis: Auszug i.S. von Exodus, weg von hier…nur weg).
WOZU DAS ALLES? Ich will euch nicht vertreiben.
Natürlich werde ich keine Blog-Philosophie schreiben und schon gar nicht die Düsternis heraufbeschwören, gegen die ich mich bei den Kulturpessimisten und Apokalyptikern so vehement wehre. Es kommen wieder hellere Texte. Aber ich muss mich ja rechtfertigen für diese Vorschau auf Finis terrae. Das Ende hab ich ja nicht erfunden. Und meine Bekümmernis, dass es mit der Evolution der überlebensfähigen Vernunft nicht so weitergeht, wie es müsste, um Finis terrae zu vermeiden, diese Verzweiflung duldet kein Herumreden. In der Freiheit der erweiterten Spielräume für Politik und Ausgestaltung der abschüssigen Zeit können wir, wenn nicht Trost, doch Genugtuung finden, unsere Enkel und Urenkel nicht an die Tyrannen von heute zu verraten.