Bevor ich etwas zu Israel, Gaza und der verfrühten diplomatischen Vertretung der USA sage, lest bitte diesen Artikel in der gewiss nicht extremen Newsweek.
http://www.newsweek.com/who-robert-jeffress-bigot-pastor-texas-due-speak-us-jerusalem-embassy-move-924011?utm_source=email&utm_medium=morning_brief&utm_campaign =newsletter&utm_content=read_more&spMailingID=3334924&spUserID=MTI0NzM1OTM3MDMS1&spJobID=1030584186&spReportId=MTAzMDU4NDE4NgS2
Das wird in der New York Times bestätigt: er hat gebetet. Und obwohl diese faschistischen Sekten antisemitisch und gewalttätig sind: „Some evangelicals believe that American foreign policy should support Israel to help fulfill biblical prophecies about the second coming of Christ.” (https://www.nytimes.com/2018/05/14/world/middleeast/robert-jeffress-embassy-jerusalem-us.html)
Im entscheidenden Augenblick wird immer ein Gott zur Legitimation herangezogen. Das ist beim bayrischen Amtskreuz genauso wie bei den Potsdamer Garnisonkirchen-Sektierern, und wenn Trump auf die Bibel schwört, dann kann man schon wissen: der Götze steht als Schutzengel neben den Betten der Täter.
Kein großer Kommentar zur Botschaft in Jerusalem, keiner zu den 60 Toten und 2000 Verletzten im Gaza. Alle Gewalttäter haben erreicht, was sie wollten: Trump – weil er die Realitäten in eine wahre Wirklichkeit befestigt hatte: das nimmt vielen Kritikern den Wind aus den Segeln; die Hamas – weil sie Frauen und Kinder massenhaft als menschliche Schilde opfert, weil die ohnedies keine Zukunft gehabt hätten und man die israelischen Täter vordergründig für all das verantwortlich machen kann; Netanjahu – der üble Zerstörer des jüdischen Staates aus sich heraus, für ein kurzfristiges Erfolgserlebnis opfert er die Friedenschancen; die Palästinenser in Ramallah – Abbas, der Antisemit, kann den Spieß umkehren und sich als Sprecher der Opfer von Vertreibung und Besatzung gerieren.
Niemand spricht mehr über die Staatsgründungsarbeit der jungen Vereinten Nationen 1947, niemand spricht mehr vom Angriffskrieg der Araber 1948, niemand geht zurück in die Zeit vor der Shoah, die britischen Doppelkolonialen sind vergessen und das Osmanische Reich schon gar. Und die Heilsgeschichte von Jerusalem bedarf schon einiger Kenntnisse, um mit der Hauptstadtfrage in Zusammenhang gebracht zu werden.
Viele Zuschauer, Kommentatoren, Stimmtische und Diskussionsrunden erreichen auch, was sie wollen: allseitig Empathie ausstrahlen, jeder versteht den anderen, und tun tun wir nichts.
Ist die Talkshow über den Irrsinn im Nahen Osten nicht eigentlich nur die zweitschlechteste Lösung? Ich fragte mich das gestern abend, bei „Hart aber fair“, wo Israelis, jüdische und islamische Teilnehmer*innen, Deutsche Journalisten und Experten gleichermaßen drei Positionen einnahmen
- Jede/r versteht den/die anderen
- Factum est – Jerusalem ist die Hauptstadt, fragt sich nur, wieweit Völkerrecht, ethnisches Recht, Religionsrecht und friedliche Klugheit zur Deckung zu bringen sind
- Die Botschaft ist nur ein Vorwand für Aktionen, deren Ursachen tiefer liegen.
Nun, a) und b) zeigen die Vorzüge unserer bürgerlichen, diskursfähigen Gesellschaft. Und c) ist die klare Aussage, dass man nur verstehen kann, was da für Irrsinn abläuft, wenn man Ursache und Anlass trennt. Anlass war die Entscheidung und das Schmierentheater von Trump, mit dem Narren Netanjahu als Rahmenprogramm. Der Anlass hat vielfach getötet und gehört bestraft, – da verfluchen nicht hilft, hoffen wir auf ein Tribunal. Und auf ein Ende der diplomatischen Unterwürfigkeit gegenüber dem Verbündeten Trump (das ist der Punkt, an dem ich Verständnis für die diversen Putinfraktionen haben, mit dem Diktator geht unsere Gesellschaft viel harscher, ehrlicher? Um als mit dem Irren im Weißen Haus. Verständnis, nicht Zustimmung).
Aber die Ursachen: siehe oben. Im letzten Blog (Krieg wieder) habe ich versucht, die einfachsten systemischen Zusammenhänge der dort jetzt herrschenden Unpolitiken ein wenig zu ordnen, um einen Sinn für die Ambiguitäten zu schaffen. Es geht in diesen Konflikten nicht so sehr um das Recht, das die eine oder andere Partei hat, es geht um Rechthaben in einem komplexen, ungleichzeitigen Zusammenhang von Befreiung (z.B. der Jüdischen Europäer nach Jahrhunderten der Unterdrückung, z.B. der Araber nach langen Jahren der kolonialen Marginalisierung, z.B. der jeweiligen Religionsgemeinschaften von der Verfolgung durch die beiden anderen monotheistischen Machthaber und die Rolle der Religion als Legitimationsmantel über durch und durch säkulare Herrschaftsansprüche, also um den Missbrauch von Gläubigen obendrein) und Freiheit.
Hört euch in diesen Tagen auch Tom Segev und Moshe Zimmermann an, durchaus kontrovers. Fragt euch, warum Rabin von einem orthodoxen Gottesanbeter ermordet wurde, fragt euch, warum die Palästinenser mehr Sympathie weltweit ernten, wenn sie keine politische Führung haben, fragt euch, wie die israelische Demokratie – ich nenne sie die Freiheit von Tel Aviv, so unter Druck von blasphemischen Siedlern und religiösen Extremisten (jüdische Ultras sind nicht besser als islamische und christliche) kommen konnte; und – aus gegebenem Anlass, fragt euch: wie konnten die USA, die bisher Juden, Schwarze und Katholiken ausgegrenzt hatten – White Anglosaxon Protestants – , wie konnten die plötzlich Israel adoptieren.
Lest dazu z.B. Arthur Hertzberg: The Jews in America. New York 1989. Eine schreckliche Geschichte, deren Ausgang paradox war und ist. Die USA adoptieren Israel förmlich, innenpolitisch, weil sie wenig Interesse an der weiteren Aufnahme von Überlebenden der Shoah und anderen Einwanderern aus dem „Osten“ hatten, außenpolitisch natürlich, um in einer Gegend noch mehr Fuß zu fassen, in der die europäischen Mächte, UK und Frankreich, aber auch zunehmend die Sowjetunion stark engagiert waren. Wir reden von einem Aspekt des Kalten Kriegs. (Wer schnell lesen will, Kapitel 17-19).
Ich bin in diesen Tagen nicht zerrissen. Israel ist ein Land, das mir schon deshalb nahestehen muss, weil ohne Israel die jüdischen Menschen noch viel stärker und weiterhin dem antijüdischen Ressentiment weltweit ausgesetzt wären, und schließlich ist es in diesem Sinn auch „mein“ Land, keineswegs Heimat. Aber ich denke an Gustav Heinemanns Antwort auf die Frage, ob er Deutschland liebe: „Ich liebe meine Frau“. Kein Problem, die grauenvolle Politik des Netanjahu und der Siedler und der Ultra-Rabbiner zu kritisieren, aber ebenfalls kein Problem, die Schuld und nicht einfach Mitschuld der Araber seit dem Krieg von 1948, ihre Unfähigkeit zur Politik, und ihre Vision der Region ohne Israel zu kritisieren und zu bekämpfen.
Wenn wir aber Trump nicht gewähren lassen in seinem Furor – er argumentiert ja wie früher einige Nazis: ich oder die andern – dann machen wir uns mitschuldig gegenüber beiden Seiten.
Noch ein gewichtiger politischer Nachsatz: ich war immer schon und später immer mehr skeptisch gegenüber Oslo und der Zweistaatenlösung (angetrieben von Tony Judt und Aron Bodenheimer, auch von klugen Religiösen, wie Leibowitz, und langfristig am Frieden in der Region Interessierten). Israel wird, in kurzer Zeit, ein paar Jahre?, die Westbank annektieren. Und dann lernen, wie viel mühsamer eine interne Opposition ist als ein Kalter Frieden mit einem Gegner/Unfreund außen. Die USA werden, hoffentlich, zu Obama zurückkehren. Aber für uns, in Europa, und in den USA wird es weiterhin wichtig sein, Israel zu schützen. Es gibt keinen Ersatz. (Und all das hat mit Entwicklungszusammenarbeit fast nichts zu tun, mehr schon mit Waffenexportpolitik, und ganz viel mit der Aufrichtigkeit unserer Interessen. Die sind teilweise im Argen, und undeutlich. Wir stehen nämlich vor innenpolitischen Dilemmata, die durchaus vergleichbar den amerikanischen in den 1950er Jahren sind…)