Achse der Unmenschlichkeit

Vorbemerkung: nur Unerfahrene oder Dumme merken nicht, dass die Pläne von Söder und Kurz oder die Drohungen Seehofers praktisch nicht zu verwirklichend – Gott (an den die glauben) sei Dank. es geht um die Umpolung der demorkatischen Bundesrepublik Deutschland in einen erneuerten Nationalstaat, oder wie ein bayrischer Oberdödel sagt: in ein Europa der Vaterländer. D a ich ohnedies dauernd dazu kommentiere und kritisiere, einmal eine kleine Zwischenbilanz.

Meine Prognose: der EU-Teilgipfel am 24.6. wird eine Kompromissformel zu den Fragen

  • Asyl
  • Grenzübertritt
  • Aussengrenzen
  • Verteilung

erbringen, die keinen Hinweis auf die WERTEGEMEINSCHAFT der Europäischen Union zulässt, sondern dem Sicherheitskonzept von Sebastian Kurz aus Österreich folgt, der selbst ja zwischen den Vishegrad-Ländern und den westeuropäischen Ländern „vermitteln“ will. Der Schaden für Deutschland wird so groß sein wie der für die EU, denn es ist klar, dass

  • Außengrenzen nicht abzudichten sind
  • Asylbeantragungslager und andere Entscheidungszentren außerhalb der EU, wenn überhaupt, nur ganz langfristig möglich und zugleich kolonial und unverhältnismäßig sind
  • Einwanderungspolitik und Flucht zwei zusammenhängende, aber nicht logisch und eindeutig verknüpfte politische Kontexte sind
  • Fluchtursachenbekämpfung in der Tat auf Werte und Politiken und nicht auf einer Versöhnung von Humanität und Herrschaftsinteressen beruhen kann.

Letzteres bedeutet, dass von der Agrarpolitik bis zu den Rüstungsexporten große Politikfelder wenigstens EU-weit geregelt werden, was Zeit und einen starken Druck aller Zivilgesellschaft in Europa auf ihre Regierungen bedeutet. Aber noch wichtiger ist, dass auch die EU und nicht nur fast alle nationalstaatlichen Mitglieder, die Errungenschaften des humanitären Völkerrechts, der Flüchtlingskonventionen und die aufgeklärten Grundlagen des empfindlich schwächen. Das ist eine Grundlage meiner Kriegserwartung.

*

Ganz pragmatisch kann man eine bessere europäische Flüchtlingspolitik in mittelfristigen und langfristigen Plänen dann umsetzen, wenn es zunächst nicht um die individuellen Flüchtlinge und die Fluchtursachen geht, sondern um eine Vorstellung, wie global, wenigstens transnational, friedlichere Konfliktregulierung sein kann.

Mich beruhigt und schützt vor Panik ein wenig, dass die Medien in vielen der betroffenen Staaten ihren Regierungen Kritik und Analyse entgegensetzen. Jetzt ist keine Zeit, die Hysterie der Extremisten in einer praxislosen Verbalopposition widerzuspiegeln.

(Hinweis: die konservative und liberale Österreichische Presse – Standard, Presse, Salzburger Nachrichten – geben ganz gute Hinweise, wie die Situation in Österreich durch die unklug verengte Politik des Österreich-Kanzlers Kurz und seiner Kumpanen Orban und Söder zu dekonstruieren ist: kein Gedanke an konsistente nationale Politik, die auch umsetzbar wäre, nur eine Drohung gegen eine liberale europäische Einigung; der österreichische Boulevard ist noch schlimmer als Bild, das ist möglich: Kronenzeitung,  Österreich, Heute). Auch die Kritik der deutschen Medien muss ich hier nicht ausdifferenzieren.

Ich mache einen anderen Vorschlag:

  • Um festen Boden unter den Füßen zu bekommen, sollte man sich darauf einigen, worum es geht. Es geht nicht um einen kleinen Teilausschnitt der weltweiten Migration – vergleichsweise wenige Flüchtlinge haben sich auf den Weg nach Europa gemacht. Weltweit sind die Fluchtursachen mehrheitlich klimatisch und wirtschaftlich bedingt, die Bürgerkriege und diktatorischen Bedrohung stellen eine wichtige, aber nicht mehrheitliche Bedrohung für diese Menschen dar.
  • Globale Flucht- und Migrationsursachen sollen beschrieben und bewertet werden und dazu dienen, ebenso global Konzepte zur ihrer Bekämpfung und lokale Aktionen zur Umsetzung einer solchen Politik zu erarbeiten; dazu sind nötig Legitimation durch Institutionen (VN, EU, Regierungen) und gesellschaftliche Triebkräfte aus der Zivilgesellschaft.
  • Die Reform der UNO, die Kompetenzerweiterung der EU gegenüber den Mitgliedstaaten, die Einbindung aller EU Mitglieder unter Androhung von Sanktionen gehören hier dazu.
  • Die aktuelle Situation ist keine Flüchtlingskrise, sondern eine Krise der demokratischen Grundverfassung der EU und anderer Staaten, voran der USA. Für Russland, die Türkei und China ist diese Krise nicht so relevant, weil diese Staaten keine Demokratien sind. Für sie hat Migration einen anderen systematischen und politischen Stellenwert.
  • Es stimmt, dass die deutsche Regierungskrise auch eine Krise der EU ist, und damit global destabilisiert. Die Antriebskräfte für CSU, AfD und andere kleinere Gruppierungen sind teilweise nur lokal erklärbar und für sich so gefährlich oder irrelevant, wie es diktatorische Bewegungen vor ihrem Machtantritt eben waren/sind. Aber man kann sie nicht einfach nur rational auskontern, weil sie immer einen kritischen Kern von richtiger Gegenwartsdiagnose in sich tragen müssen, um so weit gekommen zu sein.
  • Es geht nicht darum, den überwiegend rechten, aber auch linken „Populisten“ genauer oder empathischer zuzuhören, sondern die Ursachen ihrer Diagnosen und die Anlässe zur Politik auseinander zu halten, um sie zu verstehen. Das bedeutet gerade nicht, dass wir auf ihre (irrealen) Ängste und verzerrten Sorgen eingehen sollen, sondern deren Inhalt einmal verstehen – der zeigt oft genug auf uns selbst.
  • Das beste Beispiel war die Konzentration auf eine Wirtschaftsunion als EU und die Ablehnung einer politischen Union über die bisherigen Ansätze hinaus: damit hat man Vishegrad und die Türkeipolitik geradezu programmiert. Kleinere Beispiele sind die falsche Toleranz zu polnischer, österreichischer, ungarischer Fremdenfeindlichkeit der Regierungen, die von den Gesellschaften dort unterschiedlich stark mitgetragen werden.  Und die Angst vor spürbaren finanziellen und kommunikativen Sanktionen gegenüber Regelverstößen dieser Länder. Aus Angst, Gegner zu verlieren?
  • Bei einer Ausarbeitung der bisherigen Punkte kommt den nächsten wichtigen und erwartbaren Ergebnissen der EU Politik zu Migration, Flüchtlingen und Asyl eine zwar wichtige, aber – siehe Pkt. 1 – noch nicht globale Bedeutung und Wirkung zu. Dabei kann man jetzt schon sagen:
  • Bayerns Rückweisungsrezept schadet zunächst nur Söders Milchbruder Kurz, weil die meisten Flüchtlinge dann nach Österreich gehen müssten. Also hat die Kanzlerin Recht: Dublin muss in diesem Punkt, auch rechtlich, bleiben und überarbeitet werden;
  • Italien, Griechenland und Malta dürfen, so unsympathische ihre Regierungen sich auch gebärden, darauf pochen, unterlassene Hilfeleistung in der Vergangenheit kompensiert zu bekommen. Dafür müssen sie als Aufnahmeländer der meisten Flüchtlinge massiv und großzügig unterstützt werden. Wenn wir Außenstellen des Bamf (bitte nicht mit dem Rechtsausleger Sommer) dort einrichten – was realistischer ist als in Tunesien oder Lybien – dann müssen vorher Verteilung, Sanktionsmechanismen bei Nichterfüllung der Normen und vor allem die positive Kompensation für jeden Einzelfall geregelt werden.
  • Es muss so bald wie möglich ein EU Einwanderungsgesetz geben. Das setzt auch Grenzen und Beschränkungen für die Migranten voraus, und neben den internationalen Konventionen zu Asyl und Flüchtlingen sollte es hier sehr bald einen humanitären Mindestrahmen geben. Das wird der CSU, der AFD, dem Lindnerflügel der FDP, Frau Wagenknecht und anderen nicht passen. Na und? So ist Politik.
  • Das Ganze wird sehr teuer. Erheblich teurer als alle Konstruktionen, die wir bisher ausgehandelt haben, auch unter ökonomischem Druck. Aber wie ich oben sagte: erstens haben wir erhebliche Versäumnisse, die nicht abstrakt, sondern konkret nachzuweisen sind, und zweitens: wir haben die Kapazitäten und die Vernunft, Millionen Menschen – nicht allen Migranten, aber vielen besonders Bedürftigen -zu helfen, durch Aufnahme, Ansiedlung und Integration oder durch Vorbereitung auf eine friedliche Rückkehr (gehört auch dazu).
  • Viele NROs, viele Expertinnen und Experten, ja sogar eine Menge Politiker*innen, können dazu beitragen, da zeitnah umzusetzen: also muss die Politik, müssen die Parteien sie mobilisieren.

Und was Seehofer, Dobrindt und Söder, die blasphemische BluBO-Dreifaltigkeit nächste Woche dazu sagt, kann das nur bedeuten, dass Merkel den BMI entlässt, dass die andern Ministerpräsidenten dem Söder bedeuten, dass mit Bayern first! Nichts geht, und dass Herr Dobrindt einmal, einmal in einer wichtigen Sache seinen Mund hält. Oder die Dorfspezis geben fürts erste nach, dann missachtet sie. So wenig, wie man Trump dauernd auf der Titelseite haben muss, braucht man ständig die Gesichter der bayrischen Spezies von Politrockern. Da kommen von dort bessere Politiker und andere Menschen.

Aber: vergesst nicht. Ich habe von den Versäumnissen der liberalen, wohlstandssatten, es geht weiter so Vertreter, also von uns, gesprochen. Geht bitte an den Anfang dieses Blogs: sagt, welche Werte und Tugenden wir tatsächlich vertreten wollen und dafür auch Einbußen, Verluste und Risiken auf uns nehmen wollen (keine Autos in den Innenstädten, keine Kohle, höhere Steuern, Umweltpolitik…das wäre nur die Innenpolitik). Hilft aber dem Migrationsthema nicht: Für Deutschland und Bevölkerungs-degressive EU Länder schlage ich vor:

*Ansiedlungsprojekte, einschließlich der sofortigen Berechtigung, Arbeit aufzunehmen

*Ausbildungsprojekte, einschließlich Beschäftigungsgarantien als Pflege- und Lehrkräfte

*Rückführungsprojekte, einschließlich geförderter kultureller und wirtschaftlicher Kommunikation mit den Herkunftsländern

*Familiennachzug, wo immer das möglich ist

*und selbstverständlich unterschiedslose Geltung aller Gesetze, incl. des Strafrechts. D.h. auch keine Privilegierung durch oder Diskriminierung von Religionsfreiheit

Und zwar unter EU Aufsicht.

 

2 Gedanken zu “Achse der Unmenschlichkeit

  1. heute muss ich mal widersprechen:
    1. allgemein: schritt für schritt können diese pläne umgesetzt werden und werden es bereits. wenn das eine nicht heute, dann möglicherweise morgen. ausgehöhlt ist das asylrecht ja sowieso schon lange. und die idee der „lager“ für asylsuchende – ob als ANKER, in EU-oder nicht-EU ländern wie albanien oder gleich libyen – scheint sich tatsächlich durchzusetzen. steht laut medienberichten auch im EU-papier für den bevorstehenden gipfel (siehe auch macrons und suarez‘ letzter vorschlag dazu). wir werden auch sehen, zu welchen alleingängen die CSU noch fähig ist.
    2. rückführungsprogramme: erstmal hierbelibe-programme! unterbringung, sprachförderung, berufliche qualifikation. dann rückKEHR-programme, freiwillig – so wie viele bosnier und kosovaren zurückgekehrt sind. die derzeitigen rückführungsprogramme sind viel zu klein, bürokratisch, z.t. korrupt – letzteres wird anekdotisch z.b. in kabul langsam klar.
    ps: auch nichtqualifizierte haben ein recht auf asyl

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    • An den Kommentar zu Thomas Ruttig: Danke. Zu 1.: ich habe nicht gesagt, dass die EU Vorschläge in summa besser oder kurzfristig hilfreicher sein werden, eher das Gegenteil befürchtet (war ja nicht so falsch, der Ausblick). nur: ein „Ankerlager“ in Italien kann ich anders mit sozialen Hilfsprogrammen für Ankommende kompensieren als eines in Libyen…siehe heutige Verhandlungen IT-LY. Und so gehts bei fast allen Überlegungen. Ich plädiere für ein anderes AUFNAHMEVERFAHREN und quantitativ für mehr Ansiedlung und Bleiberecht.
      Zu 2.: ja, alles richtig. ausnahmslos. Mein „Aber“ ist die Zeitachse und die, die wirklich zurückwollen, und zwar nicht, weil es keinen Familiennachzug gegeben hat. die derzeitigen Programme muss man innenpolitisch kritisieren.
      Und generell: ich komme mit Vorschlägen kaum nach, weil sich vieles überschlägt. Der Ansiedlungsaspekt erscheint mir wichtiger als vieles, und als zweites die globale Perspektive, dass es nicht um die Kriegs/Bürgerkriegsmigrant*innen allein geht, sondern um die sehr viel zahlreicheren Klima/Wirtschafts/Lebensumstandsflüchtlinge.

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