Aufhellung

Erster Teil eines mehrteiligen Blogs.

Menschen, die behaupten sie wären dem Nahtod ganz nahe gewesen und eher zufällig wieder ins Leben zurückgekehrt, erzählen von der strahlenden Helligkeit der zum Greifen nahen Ewigkeit. Auch soll der Atomblitz, Sekunden bevor es heiß und tödlich wird,  ein atemberaubendes Licht verbreiten. Und die Sprichwörter wenden sich dem Licht mit Freude zu: Licht ins Dunkel bringen, einem andern ein Licht aufstecken, ein Licht sich aufgehen lassen usw. Selbst das Potsdamer Jahresereignis, 30.6./1.7., die Stadt für eine Nacht, hat dieses Jahr das Licht zum Mittelpunkt des Programms gewählt: www.stadtfuereinenacht.de Licht an! Weil wir grad dabei sind: aus meinen Tagen in den USA und in Afghanistan bedeutete „Licht an! Auch „Kakerlaken, Cockroaches weg!“.

Genug assoziiert. Ich suche Aufhellung, das bedeutet mehr Licht, aber nicht unbedingt sehr helles oder gleißendes Licht. Man will nur etwas sehen, vielleicht etwas besser sehen als in völliger Dunkelheit. Um die ganze Entblößung unserer Politiker, die Nacktheit der Kaiserinnen und Kaiser, wahrnehmen zu können, muss man hinschauen. Die EU Regierungschefs haben gestern wahrgemacht, was vorauszusehen war: die europäische Lösung ist so schlecht wie 28 nationale Lösung im Durchschnitt wären, sie ist wenigstens ehrlich: die Lagermentalität, ein urig-bayrisches Phänomen, hat sich durchgesetzt, ganz ohne die CSU, der neokoloniale Zug nach Außen hat sich in Bewegung gesetzt. Die schlimmste Variante: Lager, das schmeckt nach KZ, GULag, aber auch nach Ablage, Warehouse: wir stapeln die Menschen in der Fremde, warum verrecken sie denn nicht dort, wo sie herkommen? Die am wenigsten schlimme Variante: UNHCR und IOM organisieren die Lager, dorthin werden Behörden und Gerichte verlagert, um in einem ordentlichen Verfahren Asylanträge zu bearbeiten. Wenn man die neue rechtsstaatsferne rechtslastige Leitung des BAMF anschaut, wird das keine deutsche Variante werden. Der gesamteuropäische Durchmarsch der jeweiligen AFD, CSU, FN, FPÖ etc. mithilfe der von ihnen als Systemparteien bekämpften Regierungen mag denen eine gewisse Entlastung in der Innenpolitik verheißen. Aber es löst kein Problem. Das Problem sind nicht die Flüchtlinge, weder die Asylberechtigten noch die Konventionsflüchtlinge, auch nicht die Angeschleppten, und auch nicht die Angehörigen aller drei Gruppen. Das Problem sind die im Nationalstaat gefangenen identitätssuchenden Lokalextremisten. Georg Kreisler warnte schon davor: der Ausländer entpuppt sich dann als Besucher aus der Nachbarstadt. Und noch einen kleinen Schritt weiter, die Blockwartmentalität wird weiter genährt: der Nachbar auf dem Hausflur, die Kinder im nächsten Garten, das fremde Auto auf dem Parkplatz.

Im Dunkel des gelebten Augenblicks (Ernst Bloch), also: jetzt, sind die Umrisse von Europa nicht wahrnehmbar. Sonst sähe man, dass es kein Europa in dieser Hinsicht gibt. In den USA bereitet sich eine faschistoide Diktatur durch einen Mann vor, der ungerührt und noch gestützt durch den Pöbel die Institutionen aushebelt. Bald wird man dort auf die Gerichte auch nicht mehr zählen können, als Widerlage zum wahnsinnigen Sexisten. In Osteuropa trotzen und rotzen die Autokraten gegen ein Europa, das ihnen noch die Teller füllt (und die man, nach Sebastian Kurz) nicht vernachlässigen sollte, sonst schlagen sie Europa die Tür vor der Nase zu. Von wegen: die übernehmen die EU und plündern sie bis zum letzten aus, unter dem Gejohle der Bevölkerung. Aber während der Beratungen tafelt man mit den Orbans und Kurzens und anderen Brandstiftern und füttert auch den Erdögan weiter, vielleicht noch am wenigsten falsch unter so vielen Unsinnigkeiten?

Herr Daxner, sie übertreiben wieder einmal maßlos.

Na gut. Was noch nicht wirklich eingetreten ist, kann ich leugnen oder verdrängen. Kassandra ist nicht mieselsüchtig, sie schaut auch nicht wundersam in die Zukunft, sondern sagt, was sie sieht. Sie kann nur jetzt sehen, und ich stelle mich lieber auf ihre Seite als auf die Seite der Verdränger, die auf Hilfe im letzten Moment hoffen, weil sie nicht wirklich etwas zu erwarten haben (kein blöder Aphorismus, sondern, beispielsweise die Kohlekommission, die ja auch mit Klimawandel nichts zu tun hat; oder die Erwartung, man könne afrikanische Länder so einfach kaufen, dass sie der Errichtung von Lagern in ihren Ländern zustimmen). Dann schon lieber Protest gegen die zu erwartende Ausdehnung des Gewaltmonopols über die Grenzen der EU hinaus, interventions American style sozusagen, ohne Anspruch auf völkerrechtliche Verbindlichkeit.

Kassandra braucht Licht, nicht einfach Intuition. Hinschauen heißt hinschauen können.

Das Licht zeigt die scheinbaren Sieger dieser Tage: Trump, der den Rechtsstaat abschafft; die Industrie, die sich dem Iran-Boycott beugt (in erster Linie den Aktionären verpflichtet), und damit dort die Guerilla und hier den Wohlstand vermehrt (und sich hündisch dem Trumpschen Embargo unterwirft, pardon, mein Hund…aber das verstehen die Leute, und ich weiß kein anderes Unterwerfungstier im Metaphernreich). Seehofer, der glaubt, er kann Bayern als Nation zur Unmenschlichkeit zwingen (nicht nur wie), Kickl, der den Menschen zeigt, dass Österreich nicht zufällig mit die grausamsten Gewalttäter des Dritten Reichs produziert hatte, Orban, der sich wie ein pubertierender Rotzbengel traut, im Beisein von Politikern zu pöbeln…Die Russen, die durch die Fussball-WM ihrer Folter- und Armutspraktiken entkommen sind, auch ihrer Doping-Realität, die kriminelle FIFA, die alles mit ihrem Namen besudeln darf, lauter Sieger; die Sieger dürfen sich schlecht benehmen und die Diplomaten dürfen nichts sagen.  Das alles im grellen Licht.

Aber gemach: es gibt das Dunkel – politisch heißt dies in der sehr wichtigen Autobiographie von Peter Brückner: Das Abseits als sicherer Ort. Es gibt den Schatten, mit dem man verschmilzt und so unsichtbar wird. Und es gibt die Aufhellung, die erlaubt, gerade einen Text zu lesen und sich wieder zu verabschieden. Ich nehme die Hoffnung der ungleich größeren Menge von Menschen,  derer, die wirklich das Volk sind, von dem das Recht ausgeht. Sie ist hell.

 

 

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