Der Streit zwischen den so genannten „christlichen“ Volksparteien hat eine böse Dimension, nicht nur die CSU betreffend: wie weit „rechts“ darf eine Partei sein, um (noch) legitim weiter nach rechts driftende Parteien und Bewegungen auszugrenzen? Dabei sollte man „rechts“ nicht so stehen lassen, denn die rechts-links Koordinate funktioniert ohnedies nicht sehr gut, wenn es nicht um Grundsätze der Sozialpolitik geht, und selbst dort ist sie brüchig. Wenn wir rechts hilfsweise mit nationalistisch fremdenfeindlich europaskeptisch und im Kern undemokratisch bezeichnen, reicht das nicht aus: es kommen dazu die Qualitäten des Ersatzes von Institutionen durch Personen (Führerprinzip, klassisch „links“ auch angewandte, nämlich links der traditionellen Sozialdemokratie) und der Primatsetzung von Sicherheit vor Grundrechten.
Dann ist der Schritt von der CSU zur AfD klein, aber auch zu einigen Links-Politikern und zu ziemlichen vielen, die ansonsten richtigerweise eher in der Mitte anzusiedeln sind.
Diese Einleitung ist mir wichtig, weil ich mich von der Nazi-Analogie nicht abbringen lasse.
Gauland, vielleicht persönlich weniger Nazi als Höcke, hat mit seinen 12 Jahren Vogelschiss-Zeit (1933-1945) einen Punkt getroffen, der für viele, auch souverän demokratische Menschen ebenfalls eine offene Wunde ist. Wie viele Historiker, Journalisten, öffentliche Kommentatoren reduziert Gauland die Nazizeit auf die Herrschaftszeit 1933 bis 1945. Ja, und was war davor? Wie entstanden die Millionengefolgschaft für das autoritäre, dann diktatorische „System“?
Wenn ich behaupte, die AfD in ihrer Führungsmehrheit, aber auch viele C-Politiker und einige andere bemächtigen sich eines Diskurses wie die Nazis vor 1933, dann muss man das nachweisen, dann kann ich das nachweisen, dann sollte das die Kontroverse sein. Dass die verschiedenen Lagervisionen Konzentrationslager in der Breite der historischen und nicht nur deutschen Lagererfahrung sind, lässt sich lückenlos nachweisen.. Warum aber verbinden viele Menschen, vielleicht eine Mehrheit, den KZ-Terminus sogleich mit Auschwitz, mit den Vernichtungslagern? Weil sie eine folgerichtige Entwicklung der Todeslager aus den Konzentrationslagern (nach wie vor) für plausibel halten – oder weil sie die Entstehung dieser Lager, die es bei vielen Staaten ab dem 19. Jahrhundert gab, aus der Geschichte ausblenden und dann bei 1933 beginnen lassen. Dann wäre die NS-Führung, die Partei, das System Schuld an dem, was dann geschah. Und wer hatte dieses System an die Macht gebracht?
Ich werde nicht der Versuchung erliegen, einen Umschlag etwa von Seehofer, Söder und Konsorten in eine zeitgenössische DNVP oder gar NS-Führungsriege vorauszusagen oder zu imaginieren. Aber die sind aus dem Holt, das sich vor 1933 gegen die neue Herrschaft nicht nachhaltig aufgelehnt hatte oder schon entwaffnet war (was z.B. einer wirklich christlichen Partei nie geschehen dürfte…). Die europäische, vielleicht globale Hinwendung zum „rechten“ Autoritatismus ist keine Einbildung von mir, Trump Putin XI sind sich da so ähnlich wie die weltweiten Duodezzfürsten der Demokratiegegner. Auch das zivilgesellschaftliche Widerstandsbollwerk der USA zeigt Risse. Das braucht aber ausführliche politische Analyse, da ist ein Blog nicht wirklich angemessen.
Hingegen kann man auf die Schnelle schon sagen: Beachtet die Sätze, die Denk- und Machtfiguren, die von den neuen Demokratieskeptikern und Nationalisten ausgehen, dabei wären die Charaktermasken nur ein kleiner Ausschnitt eines Massenbewegung, weg von der Demokratie, weg von Europa.
Ich schreibe das heute schon im Vorausschatten dessen, was sich zwischen den Christlichen Parteien abspielt. Sich aufs Christentum zu berufen ist, im bayrischen wie allgemeinen Fall, ebenso fragwürdig wie auf jede andere Religion. Sich auf die säkulare Religionskritik zu beschränken, aber beinahe ebenso fragil. Dazu eine Leseempfehlung: der liberale kanadische Politiker rezensiert das Verhältnis liberaler Gesellschaftsordnungen zu Religion (anhand von Büchern von Laborde, Copson und Crane). Die Autoren müsst ihr nicht lesen, aber Ignatieffs Argumente über die Schwächen und Versuchungen der liberalen Demokratie sind bedenkenswert:
Michael Ignatieff: Making Room for God. New York Review of Books, June 28, 2018.
In dieser sehr wichtigen Ausgabe http://www.nybooks.com/issues/2018/06/28/
Findet sich auch ein ganz wichtiger Artikel über mein oben angedeutetes Argument, dass die Nazis nicht 1933 begonnen haben, sondern sich da schon vollendeten:
Cass. R Sunstein: It Can Happen Here. (zu Milton Mayer, Sebastian Haffner, Konrad Jarausch).
Für meinen politischen Blog hätte ich diese Unterstützung nicht gebraucht, sie ist aber hilfreich und anregend, weil sie auch zeigt, dass es neben typisch deutschen Erscheinungen auch die Einsicht gibt, dass sich „das alles“ immer und überall neu und wiederholt ereignen kann.