Sagt es nur, weil ihr es ja schon wisst!

Das Aussprechen der unangenehmen Wahrheiten hat etwas Beschwörendes und etwas Konspiratives an sich: als würde man das Unglück geradezu herbeizitieren – die Nazis kommen wirklich – und als würden wir Verrat übern an den Unwissenden und Ungewissen.

Chemnitz hat die Nerven zum Flattern gebracht, obwohl wir wissen,  dass sich die Nazis und andere rechtsextreme Gruppen in Bayern und Sachsen konzentrieren. Das kann und soll man  so sagen, und dann analysieren: Sachsen ist das reichste Land im Osten, Bayern das Zweitreichste im Westen. Aus Not und sozialer Abhängungsfurcht wählen die Menschen nicht AfD, demonstrieren sie nicht mit Pegida und NPD, lassen sie das sektiererische Kreuz nicht in ihre Amtsstuben. Das kann man auch sagen.

Die Sicherheitsorgane – Polizei, Verfassungsschutz, LKA und BKA, sind teilweise Vorfeldorganisationen der Rechtsextremen. Wir wissen das, die Misshandlung der Journalisten in Sachsen, der V Mann von BVS Mann Maassen, die Veröffentlichung von Haftbefehlen, die öffentlich beschützten Treibjagden, und länger schon her, die Devianz beim Schutz des NSU (anstatt ihn zu verfolgen), all das verstärkt unsere Gewissheit. Die kann man auch aussprechen.

Dass der Jargon der Unions-Extremisten, meist aus der CSU, sich sprachlich nicht wesentlich von der AfD unterscheidet, kann man jeden Tag hören. Wenn sich die bayrischen Wahlkämpfer von der AfD absetzen, ist das so, wie in Weimar die DNVP von der NSDAP in den späten 20er und frühen 30er Jahren abgesetzt hatte. Seehofer, Dobrindt, Söder, Hermann, aber auch Reul aus NRW sprechen diesen Jargon. Also sagen wir es.

Dazu gehört kein Mut, wenigstens bei uns. Bei den von unserer Regierung notwendig hofierten Diktatoren könnte man das nicht gefahrlos genau so sagen, bei Puti-n, Erdögan und wirkungslos bleibt es bei den Aftermietern der neuen Diktaturen, bei Kaczinsky, Orban, Strache und Salvini … Aber es ist schon schwieriger, sich öffentlich über diese Begriffe auseinanderzusetzen, und Nazi zu sagen und nicht Rechtspopulist. Und kriminell zu sagen anstatt nur extremistisch.

Noch schwieriger ist es zu sagen, dass wir vermutlich in ein neues, faschistisches oder nationalsozialistisches (also mehr staats- oder mehr volks-orientiertes) Gesamteuropa steuern, mit Avantgarden und  Nachzüglern, auch beschränkt sich diese globale Situation nicht mehr auf Europa. Man kann auch sagen: solange man dies auszusprechen keinen Mut braucht, soll man es sagen.

Man muss geradezu Wahlen fürchten, die zum Grundbestandteil von Demokratie gehören. Man muss fürchten, mit all denen zusammenarbeiten zu müssen, die sich gegen diese braune Bewegung stemmen, auch wenn man mit ihnen wenig Konsens hat. (z.B. ich mit der Linkspartei oder der heutigen FDP). Aber darum darf man ja (noch) differenziert Politik machen. Oder man kann hoffen, dass sich aus solcher Kooperation eine neue, demokratische Dynamik ergeben wird. Darüber muss man öffentlich sprechen und verhandeln. Damit auch an den Rändern, z.B. bei sehr Linken, sich nicht der Kreis zu den ganz Rechten sofort schließt. Das ist eben nicht Volksfront, die nicht zugunsten der offenen Demokratie sich entwickelt hat. Und auch keine „Bewegung“, mag sie nun Aufstehen oder Sitzenbleiben heißen. Parteien in der Demokratie brauchen immer Bewegungen als Input. Aber sie dürfen sich nicht zurückentwickeln zu Bewegungen.

Ist das alles nicht selbstverständlich? Offenbar nicht,  sonst würden nicht manche wache Mahner davor warnen, dass sich die autoritären und undemokratischen Habitus „schleichend“ entwickelten. Wieso schleichend? Wenn ein CDU Innenminister an das Volksempfinden appelliert, um die Justiz zu desavouieren, dann ist das Nazisprech und kein „Missverständnis“. Auch wenn Reul kein Nazi ist, was ich annehme, so muss er sich nicht für das Missverständnis entschuldigen, sondern für die Dekontextualisierung, in der er einen Zusammenhang aus dem Unbewussten heraufholt, um einen neuen Kontext zu konstituieren – schleichend, sozusagen.

Es gab auch beim Verfassungsschutz und NSU keine Missverständnisse oder bei der Journalistenabfuhr in Sachsen oder bei der Ausländerjagd…es ist das wohl verstandene Verständnis der Täter für ihre Tat – auch wenn sie die nicht als Missetat verstehen. Aber sie sind Täter und wir müssen den Rechtsstaat gegen sie einsetzen. Und ihn nicht mit ihnen versöhnen.

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Und nu?  Zuerst einmal wieder die Sprache finden. Nicht, was einen andern beleidigen könnte, ist zu vermeiden – sondern was einen selbst beleidigt, wenn man es anwendet. Und da gibt es ein Repertoire von sprachlichen Möglichkeiten, das dieselbe Wahrheit ganz unterschiedlich ausdrücken kann. Ob und wie jemand diplomatisch oder sachlich oder sarkastisch oder … etwas sagt, kommt auf den Kontext an und die Absicht, etwas Bestimmtes zu sagen. Darauf kommt es an: etwas zu sagen, das man zu sagen hat, nicht einfach zu reden, „damit wir miteinander und nicht übereinander reden“. (Billige, letztlich hohle Formel).

Ich sage etwas, um die Flüchtlinge und andere Menschen vor Seehofers Beschimpfungen in Schutz zu nehmen. Ich verwende Seehofers Terminologie, um ihn z.B. aus der Reserve zu locken. Aber ich muss mich fragen, ob es dafür steht, wofür es überhaupt steht. Die Antworten dürfen wir schon sagen.

Ich variiere hier ein Thema von à Aron R. Bodenheimer. Der hat diese Trias von reden Sprechen Sagen psychoanalytisch gedreht und gewendet. Das etwas zu sagen haben bedarf keines Mutes; erst einmal muss einer nachdenken, bevor er/sie etwas zu sagen hat.

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Ich verwende bewusst oft Ausdrücke, die MAN nicht so ohne weiteres gebraucht. Zugleich wende ICH mich dagegen, einfach zu schimpfen. Wie geht das zusammen? Das ist die politische Wendung im Repertoire verschiedener Ausdrucksweisen – nicht um die Kritisierten zu provozieren, sondern diejenigen, die mit ihnen einverstanden sind. Einwand: aber die lesen ja deinen Blog nicht. Nein, aber siekönnte ihn lesen, und oft bekomme ich Reaktionen von unerwarteter Seite.

Da schleicht sich die Apologetik des guten Benehmens ein, genau dessen, was die Gaulands, Dobrindts, von Storchs, etc. bewusst vermissen lassen, um dem An-Schleichen der Verrohung Vorschub zu leisten. Aber das ist politisch nicht unerheblich. Nahles‘ Pöbelei „in die Fresse“ hat sich zum Beispiel eingegraben als ein Ausruf plebejischer Fehleinschätzung der Umgebung. Nein, die ist gar nicht rechtsradikal, aber gut war der Spruch trotzdem nicht.  Vor allem war sein Kontext ein anderer als der der „Vogelschiss“-Behauptung von Gauland zur Nazizeit. Natürlich ist schlechtes Benehmen kein Privileg der Rechten, oft ist es ein falsches Signal auch von Links. Aber es kommt in allen Fällen darauf an, welche Folgen ein solches Benehmen hat, und deshalb kann ich jede Schimpfaktion nach dem positiven oder negativen Provokationseffekt dekonstruieren. Muss ich? Ja, meistens.

Nur: im Alltag ist das Problem sprachlicher Sensibilität und Deutungskonsequenzen nicht unmittelbar präsent. Deshalb könnte man Regeln entwerfen, in deren Rahmen jeweils die roten Linien (inflationärer Wortgebrauch) festgelegt werden. Demokraten müssen mehr ertragen als ihre Feinde. Aber die können sich natürlich nicht in allem, was sie sagen, auf die Meinungsfreiheit berufen. Wenn wir uns darauf berufen, dann ist es sehr wohl selbstverständlich, solange wir uns auch an die andern Regeln der Demokratie halten.

Deshalb müssen wir sagen, was ist. Daran misst sich jedes Benehmen.

 

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