Die Älteren werden bei der Überschrift vielleicht sofort an den RAD denken: REICHARBEITSDIENST. Man kann sich da schnell informieren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsarbeitsdienst
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns…/reichsarbeitsdienst.html
http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/lebensstationen/ns_8.htm
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/der-reichsarbeitsdienst-rad/
www.bundesarchiv.de/…Reichsarbeitsdienst/vom-braunen-in-den-grauen-rock-der-rei…
Als integraler Bestandteil des nationalsozialistischen Sozialisations- und Arbeitssystems, aber auch der Jugendpolitik und nicht zuletzt der Reproduktionsideologie wurde der RAD zu einem Merkmal des NS-Regimes.
Die Arbeitspflicht hatte eindeutig auch ökonomische Zielrichtungen, aber sie war mit der Zwangsarbeit der Konzentrationslager und der Gefangenen bzw. der Organisation derselben in den eroberten Gebieten nicht identisch.
Was die subjektiven Narrative derer, die im RAD gearbeitet hatten, betrifft, so sind die Botschaften gemischt: Ältere Jahrgänge berichten voller Abscheu oder aber voller Begeisterung von diesem Jahr, es hing stark von den Umständen im den Folgen nach dem Pflichtjahr ab. Verallgemeinerungen entlang einer Rechts-links-Achse lassen sich nicht machen (Begeisterte RAD Leistende treffe ich auch auf der äußersten Linken und in der Mitte, und Abscheu bei traditionell oder neuerdings ganz rechts Stehenden).
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Die Jüngeren werden diese Assoziation nicht automatisch haben, wenn es heute wieder um die Erwägung von Dienstpflichten im sozialen Raum unserer Gesellschaft geht. Da wird einerseits das Zwangsarbeitsverbot des Grundgesetzes, auch die freie Berufswahl angeführt, andererseits sind die Stimmen zur Verpflichtung auf gemeinnützige Arbeit nicht einer bestimmten politischen Position zuzuordnen.
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Zivildienst als Ersatz für die Wehrpflicht, Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges soziales oder kulturelles Jahr…das alles sind Elemente einer polit-ökonomischen + kulturpolitischen + ideologischen Verbindung von Argumenten, die untereinander nicht zur Deckung zu bringen sind.
Dass jetzt, nicht nur aus der CDU, Vorschläge zu einer „Dienstpflicht“ auf den Tisch kommen, überrascht nicht.
Dass dabei an beide Geschlechter – pardon: an 2+n Geschlechter – gedacht wird, ist folgerichtig, die Zeiten haben sich gewandelt.
Dass Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge da integriert werden sollen, unterstützt die Einwanderungsgesetzgebung und steht gegen die Deportationspolitik der deutschen Rechten.
Auch dass ein Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert wird, ist folgerichtig.
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Mich treibt das Thema seit Jahren um. Dabei waren für mich zwei Aspekte, zunächst unverbunden, leitend. Der eine ist einfach, der andere allerdings gar nicht.
Der eine ist die Wehrpflicht: ich war einer der wenigen, die in meinem Umfeld gegen die Aussetzung der Wehrpflicht argumentiert hatten, und dies bis heute so halte: meine Befürchtung ist, dass die freiwillige professionelle Armee der Private Security und der weiteren Abkehr des Militärs von der Gesellschaft Vorschub leisten. Leider sollte ich Recht behalten. Leider, weil wir noch nicht bei einer europäischen, EU-getragenen Verteidigung und der Ablösung der NATO sind, und weil sich die Re-Nationalisierung in ganz Europa eindeutig gegen die Staatsbürger in Uniform richtet. Abgesehen davon war mir wichtig, dass auch Frauen in vollem Umfang in die Wehrpflicht einbezogen werden, und die Verweigerung nicht deutlich (auch) klassen- und habitusmäßige Diskriminierung zur Grundlage hatte.
Derm andere Aspekt ist die Gemeinschaftsargumentation. (Ich bin Soziologe, bitte belhrt mich nicht über den Unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft). Es geht dabei um eine Form der Gemeinschaftsbildung, die der Gesellschaft etwas gibt (nicht unbedingt „zurück-„gibt als Dankesschuld für gelungene Sozialisation und staatlich organisierte Bildung).
In den verschiedenen Zivildiensten, Bufdi etc. findet sich diese Vergemeinschaftung, von der ich spreche.
Es gibt eine Menge von Aufgaben, die die meisten für sinnvoll, notwendig und machbar halten. Es findet sich nur niemand, der sie macht.
Ein ironischer, böser Einschub. Deutsche essen gern Spargel. Über lange Jahre haben Hilfsarbeiter*innen aus Polen und Rumänien den Spargel gestochen, Deutsche fanden sich dafür niicht, auch wenn sie von der Arbeitsverwaltung da hin geschickt wurden. Fragt einmal nach den Gründen…Jetzt gibt es ein Problem bei der Spargelernte, das sich nicht mit höheren Stundenlöhnen beheben lässt. (Auch hört man: Deutsche tun das nicht, sie können es nicht, und nach zwei Tagen sind sie krank geschrieben…) Das Thema „Harte Arbeit“ verfolgt mich seit 30 Jahren, seit Michael Walzer (Walzer 1984), der großartige Kommunitarist (obwohl ich den Kommunitarismus sonst nicht sehr mag) in seinem Buch „Sphären der Gerechtigkeit“ das gleichnamige sechste Kapitel diesem Thema gewidmet hat: „grob, unangenehm, widerwärtig und schwer erträglich“ (S.244). Walzer erkennt, wie stark die Zuteilung von Arbeit von Geschlecht, Herkunft (in den USA „Rasse“), Bildungsstand, Intelligenz etc. abhängig ist. Sklaverei gibt es bei uns nicht mehr, aber Staatssklaven, zB. Gefangene, gibt es in fast allen Ländern, und dann wäre Arbeit das, was sie „als Strafe verdient“ hätten…
Nun darum geht es hier nicht unmittelbar, aber es besteht ein Zusammenhang. Geht mal Spargel stechen und geht mal mit mir Spargel essen.
Wir müssen sehr klar fragen: was ist für die Gesellschaft sinnvoll, notwendig und machbar zu leisten, und nicht für die Gemeinschaften (Volks-, Glaubens-, Ideen-Gemeinschaften) oder den Staat (JF Kennedy).
Konkret sind das gemeinnützige Arbeiten, die öffentlich verhandelt werden müssen. Wir erkennen unschwer, dass es sich um Dienstleistungen in Bereichen wie Bildung, Sozialarbeit, Integration, Betreuung von Ausgegrenzten usw. handeln wird, und nicht um die Substitution von Regelarbeit (selbst wenn man für die nicht ohne weiteres Arbeitskräfte findet. Und dann soll jeder und jede Bürger*in, nicht nur Staatsbürger*innen, die hier dauerhaft leben, wählen, welche Tätigkeit er oder sie für ein Jahr macht:
- Hinreichend bezahlt
- Hinreichend (sozial, kranken-) versichert
- Hinreichend anerkannt
Hinreichend heißt: hier geht es nicht um die tariflichen und arbeitnehmer-orientierten Organisationsformen des Arbeitsmarktes. Hier geht es um die staatlich garantierten Bedingungen für gemeinnützige Tätigkeiten.
Für ein solches Konzept sprechen auch viele Veränderungen der letzten Jahrzehnte in den Bereichen von Familienstruktur, Adoleszenz (Wegfall und Änderung des „Moratoriums“, Hikikomori-Tendenz[1], stark gebrochene Aufstiegsgewissheit bzw. Zweifel an dem Erhalt von Status und Habitus etc.).
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Für mich persönlich gi-bt es zwei besonders starke Motive, dieses Thema offen, öffentlich und praktisch anzugehen:
- In meinem nächsten Umfeld erlebe ich, wie persönlichkeitsprägend und weltoffen Tätigkeiten, die die drei Bedingungen erfüllen und die drei Merkmale von Arbeit tragen, die oben beschrieben wurden;
- Füe Flüchtlinge aller Art ist dies der beste Weg nicht nur zu einer teilweisen Integration, sondern auch zu einer starken Motivation der „Ansässigen“, ihren Status gegenüber den Arbeitsformen zu überdenken.
Also: keine Assoziationen mit dem Reichsarbeitsdienst und der Zwangsarbeit, sondern mit Gendergerechtigkeit, Gleichverteilung gesellschaftlicher Lasten und der gemeinschaftlichen Bewältigung von Arbeiten, die gesellschaftlich sinnvoll, notwendig und machbar sind.
Damit das nicht sooo harmonisch klingt: es gibt das Phänomen der Wohlstandsverwahrlosung, und es gibt das Problem des „Verschwindens“ von Jugend in der ewigen Adoleszenz. Dazu ein andermal.
Walzer, M. (1984). Spheres of Justice, Basic Books.
[1] Vgl. nur ein Beispiel für Deutschland: https://www.br.de/…/1000-arten-regen-zu-beschreiben-neuer-kinofilm-von-isa-prahl-…(26.8.2018)