Menschlein und Göttchen – Nix da „Homo Deus“

Als ich ein Kind war, hörte ich deutsche Touristen oft ausrufen „Ach, du mein liebes Gottchen…“. Dacht mir nichts dabei, fand es nur komisch. Später machte mir der Homunculus schon mehr Gedanken, auch Frankenstein, Golem und alle Auferstandenen dieser Geisterwelt.

VORSICHT. Dies wird keine Rezension, kann keine sein, dazu ist das Buch umfangreich. Ich habe Harari mehrfach zitiert:  HOMO DEUS (Vintag 2016). Ohnedies ein Bestseller, zu Recht, und  erfreulicherweise zunächst nicht auf Deutsch geschrieben,  also lesbar.

Gegenwartsdiagnosen, die den technischen Fortschritt und die damit verbundenen Bewusstseins-zustände verbinden, gibt es eine Menge. Das Körper/Geistproblem verfolgt unsere Kulturgeschichte schon lange und wird immer wieder aufgewärmt, mit moralischen, theologischen und vor allem politischen Subtexten.

Aber aus dem sehr lesenswerten Buch von Harari sind mir einige Punkte wichtig, auch für Finis terrae, aber vor allem für die gegenwärtige Politik. Der Mensch als Gott[1]: Im Zuge der Moderne, der Aufklärung tritt der Mensch anstelle der alten Götter, auch der monotheistischen Varianten, Götter=Gottheiten im Austauschverhältnis zu den Menschen, das Irrationale überbrückend. Wir selbst sind es, die die Funktionen der Gottheiten zunehmend ausüben. (Und der Glaube an einen „Gott den Herrn“, wie das die Religionswissenschaft im Gegensatz zu Polytheismen formuliert, verschwindet hier). Wenn  das so ist, dann umso bedenklicher, wenn wir aufgelöst werden in zwei Typen von Algorithmen, „biologische“ und von uns konstruierte. Daraus macht Harari, was wir teilweise eben schon lange kennen und wissen, nämlich dass uns die Produkte unserer Entwicklung überholen, dass wir ihren manipulativen und stabilisierenden Imperativen uns unterwerfen.

(Jetzt muss ich einmal loben – wie viele dieser Produkte Harari zutreffend  und klug beschreibt – und kritisieren, dass er die beiden Sorten von Algorithmen nicht auseinanderhält. Was tatsächlich heute schon möglich ist, und was vernünftige Prognosen erwarten lassen, ist meistens gut belegt und nicht nur erschreckend. Was Harari fehlt, sind präzisere Überlegungen zur Ungleichzeitigkeit: wenn wir in X Jahren tatsächlich durchschnittlich 120 oder 150 Jahre alt werden, aber erst  in 150 oder 200 Jahren Demenz frühzeitig behandelt werden kann…und es gibt komplexere Fragen).

Was aber fasziniert  und durchdacht werden muss, ist das Infragestellen von freiem Willen, Individualität und einer Verbindung von Bewusstsein und Sinngebung. Die säkulare Religion des Humanismus (der Aufklärung) hat den Theismus und Glauben ersetzt, nicht aber diesen Widerspruch.

Wieviele Probleme daraus entstehen, weiß der Autor: wenn es nur mehr die „Data religion“ gibt, wäre die Bestimmung der menschlichen Spezies erfüllt. Bleibt die Frage, wer sich wie nach einer neuen Bestimmung umschaut. Und: wenn unsere Rolle als homo sapiens erfüllt ist, wie schauen wir uns um, damit „Technologie“ den Homo deus schafft, ein menschliches Modell höherer Ordnung. Um damit den besten unbewussten/bewusstlosen (non-conscious) Algorithmen die Stirn bieten zu können. Kaum zu übersetzen, aber spät im Text elektrisierend:

Since intelligence is decoupling from consciousness, and since non-conscious intelligence is developing at breakneck speed, humans must actively upgrade their minds if they want to stay in the game” (410). Also können wir es doch?!?!

Im Grunde kehrt Harari zu den  bekannten Fragen zurück – nur wissen wir jetzt etwas mehr über die Begrenztheit der Antworten: sind es wirklich „nur“ die Algorithmen, die uns steuern und die mehr über uns wissen lassen als wir selbst über uns wissen?  Ist das Wissen mehr als das Bewusstsein?

So, jetzt lest das Buch,  nicht meine Aufgabe, das weiter zu zerlegen. Mich interessiert das „Deus“ in Homo Deus. Schon Schubert lässt die herrlichen Müller-Verse singen: … Will kein Gott auf Erden sein / Sind wir selber Götter! (Winterreise, „Mut“). Das ist nicht neu, aber aufregend, wenn das Verschwinden der Götter mit dem Willen zum Gottsein verbunden wird: wollten die alten Götter, die olympischen, die äygptischen und gar die Großen, die Eingottgötter (Gott, der Herr, wie das manche nennen: Jack Miles u.a.) gar nicht herrschen wollen, weil sie es nicht können. Kein Gott konnte in Auschwitz sein wollen, keiner über Hiroshima, keiner schickt mehr Epidemien, aber gegen die angefressene Fettleibigkeit sind sie machtlos (ein ganz wichtiges Beispiel, das bei Harari oft wiederkehrt: Hunger verschwindet, Infektionen verschwinden, selbst der Krieg mit Waffen kann verschwinden, aber Zivilisationsübel bis hin zum terminalen Klimawandel können wir nicht mehr beherrschen, auch wenn wir sie kennen). Euer Blogschreiber mit Finis terrae.

Ich verknüpfe das mit der Gottesfrage, nicht um den Agnostizismus oder Atheismus zu unterstützen, schon gar nicht das empirische Substrat irgendeines Glaubens zu retten. Wir haben nur mehr uns, und trotz Schuberts einmaligem Auf-Hoffen bleibt die Reise hoffnungslos…nur, wenn wir selber Götter sind,  dann siegt das Bewusstsein über die Algorithmen. Das wäre eine Rechtfertigung nicht des Seins wie Gott (Mi cha El), sondern des Seins als Gott, weil uns nichts anderes übrigbleibt. (Weil wir nämlich nichts wissen können, wenn uns nichts übrig bleibt als uns von unserer selbst erzeugten Zerstörung überwältigen zu lassen, was dann den Algorithmen und unseren Produkten in ihrer Macht über uns Recht gäbe.

(Bitte, liebe Leser*innen, sucht jetzt nicht die Nähe zu Schopenhauer oder zur Philosophie des als ob, das meine ich nicht, auch wenn es ein wenig so klingt.. Einfacher: Sysiphos ist bei Camus noch glücklich vorstellbar. Ich denke, angesichts von Finis terrae muss man nicht glücklich sein, um weiter zu machen und damit die Götter etwas zu diskreditieren…das hilft schon).

*

Das schreibe ich angesichts des Krieges, der Verrohung unserer Gesellschaft und des Auseinanderfalls unserer Bindungskräfte. Hararis Gegenwartsdiagnose liest sich die Prophezeiung der Kassandra, due ja auch die Zukunft in die Gegenwart hereinnimmt, und nicht umgekehrt. Dem kann man nur mit der Freiheit begegnen, sich über die Genese des Freien Willens hinwegzusetzen, auch wenn es ihn objektiv gar nicht gäbe: wirken tut er trotzdem.

 

[1] Gott…dass ich nicht lache, wenn der Bierzeltdumpfel Söder durch Aufhängen von Kreuzen seine Vorstellungen sichtbar machen möchte (lesen kann er nicht mehr, wie seine Bibelexegese zeigt, aber sich bekreuzigen kann er).

 

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