Das Unglück der Republik hängt mit dem Glück des Grünen Aufschwungs unmittelbar zusammen. Weil die Partei Hoffnung für die Demokratie ausstrahlt, erscheint sie vielen Bürger*innen als Alternative zur alternativlosen Realität von Politik und Gesellschaft.
(wenn jetzt jemand sagt, aber bei den Grünen gibt’s doch auch Korruption, Intrigen, Opportunismus etc., die sind wie alle andern, so verkennt der, dass es darum nicht geht, selbst wenn es solche Erscheinungen natürlich bei uns auch gibt, wenn auch in folgenreich geringerem Maß als bei den anderen Parteien; es geht darum, dass die Grünen verkörpern, worauf jeder zivilisierte Mensch in einer offenen Gesellschaft hoffen kann: den öffentlichen Raum, das Verhandeln dessen, was sich erst herausstellt, wenn die Bedürfnisse auf den Prüfstand der Interessen gestellt werden).
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Keine Analyse der Bayernwahl. Da gibt es genug zu wissen und zu lernen, am besten von Robert Habeck und Annalena Baerbock, den Vorsitzenden der Partei und von den bayrischen Wahlkämpfern. Einmal noch in der Opposition, dann wird es klappen.
Ich will etwas anderes sagen: GRÜN ist die Hoffnung auch auf Widerstand. Gegen die kriminellen Vorstände der deutschen Autoindustrie (aller Vorstände), die kriminellen Vorstände der großen Banken und der Hausbanken der Aktienbesitzer, gegen die kriminellen Vorstände der Energiekonzerne und ihrer gewerkschaftlichen Gefolgsleute…Geht’s nicht ein wenig sanfter? Isoliert man die Grünen nicht gerade dadurch, dass man sie in eine Widerstandsposition drängt, wo sie doch in der Mitte vermitteln sollen.
Ich weiß schon, warum ich „kriminell“ sage, und es dreimal sage, und in den Kontext grüner Politik setze. Kriminelles Verhalten ist nicht politisch, auch wenn es die Politik beeinflusst. Politik kann keine Bündnisse mit den Kriminellen eingehen. Macht das aber natürlich tagtäglich, oft in kleinsten Dosen, und häufig ist die Wirkung ziemlich unbemerkt, im Einzelfall. Aber kriminelles Verhalten ist, wenn schon „Politik“, dann für die einzelnen Nutznießer des illegalen und illegitimen Verhaltens.
(Wenn ich jetzt sage, da seien die GRÜNEN „anders“, dann muss sich das beweisen lassen. Anders entzieht sich der Normalisierung, dieser scheinbar naturgesetzlichen Abnutzung aller Avantgarde in den Höfen und Vorhöfen der Macht, wenn sie zur Herrschaft, zum Regime wird). Anders sein, nicht einfach eine Differenz aufbauen, nein, anders, aus der Selbstähnlichkeit der einander abwechselnden Machtverteiler ausbrechen. Woran man das erkennt?).
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Darauf will ich hinaus. In diesem Ausbruch die Hoffnung erwecken, die Aktiven in dieser Partei können die selbstauferlegten Beschränkungen der repräsentativen Demokratie durchbrechen und dennoch im Sinne der politischen Interessen der Menschen handeln – s.o. der ausgehandelten Interessen aus den eingebrachten Bedürfnissen – ohne deshalb dauernd an die Basis zu appellieren, jedem und allem ihren Segen zu geben, wobei man sich dann bei der Legitimation darauf beruft.
Jetzt reden viele, wohlmeinend, neidig oder verärgert, über den Höhenflug der Grünen, nicht nur in Meinungsumfragen, sondern auch in Wahlergebnissen. Vielleicht ist es ein Zufall, aber wahrscheinlich nicht: während die SPD sich ihrer Geschichtswerkstatt pöbelig entledigt, betreibt die Grüne Partei, auch in Hinblick auf 1968, aber nicht nur, Geschichtsarbeit. Das passt gut zu Aleida Assmann, die den Friedenspreis bekommen hat, und viel zur Erklärung und zum Verständnis von gesellschaftlicher Erinnerung getan hat (auch damit zur Erinnerungskultur). „Höhenflug“ heißt doch nur, in der Wahrnehmung eine bessere, „höhere“ Position im Organigramm von Macht und politischer Bedeutung zu haben, und zwar in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der eigenen, innerparteilichen. Dazu gehört auch die von Habeck geäußerte Hoffnung, dass anderswo, in Bayern z.B., Demokratie wieder hergestellt, d.h. verbessert, stärker wird; ganz weg war sie da ja nicht, das hat er schnell modifiziert (auch eine Tugend, sich korrigieren zu können). In diesem Höhenflug ist gesellschaftliche Hoffnung, die jenseits der statistischen Erwartung liegt. Die Erwartung würde immer den Kompromiss mit den oben genannten Auto, Kohle, Banken, und vielen anderen -Kriminellen bedeuten, mit Ansage. Die Hoffnung kann am Ende Kompromisse ertragen, aber die sind nicht vorhersehbar und voraussagbar. Da muss erst einmal Politik stattfinden.
Das ist keine Glorifizierung der Grünen, sondern eine Annäherung an den Grat, auf dem es zu balancieren gilt. Ich halte mich immer sehr zurück, um nicht Einwürfe in die gegenwärtige Programmdiskussion zu machen, die ich beobachte. Es geht nämlich nicht darum, Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei festzulegen, sondern sie an der Schnittstelle zur Öffentlichkeit sich profilieren zu lassen. Und dazu fehlen mir Zeit und Mandat. Aber für Analyse unverzichtbar: dass die Partei zur „Mitte rückt“, um „links“ von der Macht für Konservativen, für die Demokraten und die Reformer eine Perspektive zu bieten – und nicht immer den eigenen Jungen, Linken und Unzufriedenen ein Durchatmen zu ermöglichen….das freut. Wie lange es hält? Lest Kretschmann oder Habeck (Bücher, igittigitt) und schaut euch die Eingaben und Vorlagen an. Da geht es um uns (wer wir sein wollen) und um ein richtiges Bild vom Konservativen (also auch um uns).
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So ein spontaner und anti-depressiver Politikcheck rechtfertigt sich nicht aus einer tiefschürfenden theoretischen Überlegung, der er nicht ist (Theorie kann ich anderswo machen, und Analysen auch), sondern vielmehr aus meinem wiederholten Widerstandsargument, das sich auch gegen andere Parteien, Menschen und Positionen immer wieder neu formiert. Die „Rechten“ reden wie / als die Nazis von „Systemparteien“ und meinen Parteien, die sich in der Demokratie den eingeübten und ganz erfolgreichen Wettbewerben um befristete Herrschaftsoptionen bemühen. Natürlich sind wir eine Systempartei, müssen das sein(wollen), und das heißt, die Mitgliedschaft in der demokratischen Republik, Betonung auf beidem, ernst nehmen. Nicht, wie der NRW Innenminister, dem Volksempfinden Vorrang vor den Regeln des Rechtsstaats geben; nicht, wie Seehofer und Söder und viele, den ethnopluralistischen Identitätskult als authentisch verkaufen; nicht einer imaginierten Basis nachlaufen (eine Gefahr für jede Partei, vor allem bei den Grünen), wo diese sich erst als politisches Subjekt konstituieren muss – als Volk oder Interessenvertreter, bevor ihre Meinung zu Interessen führt….Das bedeutet übrigens, dass „rechts“/“links“ nicht die Achsen bestimmen sollte, an denen das System sich beweist. Denn einerseits ist der linke Populismus symmetrisch zum rechten, wenn die Institutionen, die in der Demokratie Regeln setzen, durch Befindlichkeiten ersetzt werden. Andererseits sind die Anti-Systemparteien ja keine Vereinigungen von dummen Unfähigen, sondern politisch durchaus ernstzunehmende Gegner. In der Sozialpolitik vertreten rechte und linke Systemgegner oft die gleichen Politiken, bei der nationalistischen Überbauung des Sozialen sind sie sich nahe (Wagenknecht und Petry sind austauschbar), und nicht jede Kritik ist so falsch wie die Konsequenzen daraus. Deshalb ist man gerne „Systempartei“, aber das System muss veränderbar, reformierbar, auch konfliktzugänglich sein und bleiben…womit wir beim eigentlichen Vorzug der Grünen vor den andern sind. Und darüber darf man sich doch freuen, bevor man wieder im Trübsal des bayrischen Überbaus befindet. Oder?