Hühner im Fuchsgehege

Hühner gackern im Fuchsgehege

Die armen Tiere … sie müssen immer für Metaphern herhalten, die nicht stimmen oder beleidigend sind, für die Tiere sowieso, aber oft auch für die verglichenen Menschen.

Die politische Erde bebt. Trumps Angriff auf die Synagoge (die Hinterlist der indirekten Gewalt), die Proteste gegen den Freispruch der angeblichen Prophetenlästerin unter pakistanischen Muslimen, die Wahl des Verbrechers Bolsonaro in Brasilien und die damit verbundene Freude der auch deutschen Wirtschaftsvorstände, die unbeugsame Versorgung der saudischen Verbrecher mit deutschen und anderen EU Waffen, der Ausstieg Österreichs aus der VN-Migrationsplattform (die machen sich mit den andern Nazis gemein, und Polen, Ungarn, Trump sowieso), … all das in den letzten 48 Stunden verdichtet, das und viel mehr.

Ach ja, und Merkel. Ihre Rückzugsrede war offenbar gut vorbereitet und sehr präzise. Stunden später gackern die Hühner. Der nicht-kluge Spahn möchte konservativ werden (FAZ 1.11. durch Inhaltslosigkeit), der nicht-demokratische Merz möchte mehr Frauen politisieren, als ob das sein Hauptthema wäre, der Laschet kommt und geht wie ein Drehtürfabrikant. AKK reibt sich die Augen. Obwohl sie alles gewusst hatte.  Und?

Die Normalität der Verdichtung von Ereignissen ist nicht außergewöhnlich; dass es fast nur unerfreuliche und zugleich folgenreiche Ereignisse sind, verstärkt den Verdacht bei vielen, die historische Konspiration hätte einen neuen Höhepunkt erreicht. Man kann auf dem Vulkan tanzen, wie 1913, man kann in Schockstarre abwarten wie die Schildkröte, die nur wenige Panzerbrecher fürchten musste, man kann Konfusion durch konfuses Verhalten steigern (die Macht der gewalttätigen Diskurse und die Bequemlichkeit der eigenen Lebensführung) oder gar legitimieren (das Volk wählt Verbrecher und beruft sich dabei auch noch auf die Demokratie).

EU ohne Merkel? Jetzt schauen wir einmal, ob die demokratischen Institutionen nicht nur auf Personalisierung beruhen. Das wäre im besten Fall die Umkehrung des Befundes, dass die neuen Diktatoren diese Institutionen durch ihre Person ersetzen, auch durch ihre Persona=Masken. Die Phänomene der Demokratiemüdigkeit, der fatigue de democracie, sind bis zum Überdruss beschrieben; aber deren Ursachen, deren langanhaltendes Untergraben des gut Gelungenen an der Nachkriegsordnung muss uns doch unruhig machen. Weil es bei uns relativ friedlich war, weil wir die Demokratie gefestigt hatten, weil wir den öffentlichen Raum teilweise besetzen und nutzen konnten, haben wir übersehen (wollen), dass es anderswo nie oder selten keineswegs dieser Glücksfall war. Wir haben geschwiegen, oder wohlfeil vom Sofa aus pazifistische Erklärungen abgegeben, gelegentlich gespendet usw. Wir waren, im Großen und Ganzen, und keineswegs „unpolitisch“, die Kippfiguren der Autokraten, deren Liberalität darin bestand, keine unrechtmäßige Gewalt auszuüben und die Meinung zwischen das Beobachten der Unmenschlichkeit und der Teilhabe an ihr einzuklemmen, die Meinung war durchdacht und kritisch. Nicht aufgewärmt, sondern erneuert, ist die repressive Toleranz eine Lieblingswaffe der Autokraten: es gibt doch oppositionelle Presse, es gibt doch kritisches Theater und doppeldeutige Musik etc., ja-ha, aber…

Das ist nun kein Katzenjammer der versäumten Aktionen, kein nachträgliches Rechtfertigen kindischen Terrorismus (mit furchtbaren Opfern) und kein konstruiertes schlechtes Gewissen. Aber die These stimmt schon, dass die kritische Beobachtung und Bewertung all der Ereignisse zwar die Kritik bereichert hat, aber so wenig bewirkt, wie das Münchner Abkommen von 1938.  Ich mache immer meine Witze über Marxens Sprachspiel von der Kritik der kritischen Kritik. Weil sich soviel darin abbildet: zum Beispiel der Blödsinn vieler hochdekorierter Volkswirtschaftler, die contra Wirklichkeit ihre Markt- und Wachstumstheorien verbreiten; zum Beispiel der Versöhnungsansatz von Ökonomie und Ökologie; zum Beispiel pazifistische Illusionen darüber, wie man Entwaffnung durch negative Gewalt befördern könnte; zum Beispiel in der gesinnungsethischen Blase, die die Verantwortungsethik marginalisiert; zum Beispiel in der fast biedermeierlichen Verlegung der Proteste in die diskursive Auseinandersetzung….nein, jetzt folgt kein Aufruf zu Kampf und Gewalt, und kein  Abstreiten der Tatsache, dass alle diese Beispiele ja nur die eine Seite einer durchaus für uns großartigen Friedens- und Demokratieperiode sind, die andere Seite zeigt unser Glück. Unseres.

Das müsste eine Periode der demokratischen Stärke, eine Plattform für demokratischen Widerstand, eine Chance für Exposition bieten, und ein wenig weniger Angst davor, dass ein  aus Hamburg freigestellter Polizist[1] uns sagt: zeigen Sie mal Ihren Ausweis oder kommen Sie mit.

Wir sind die Hühner. Und weil es so viele Füchse gibt, versäumen wir die Zeit unserer Verteidigung mit seltsamen Fragen: wer von diesen Füchsen wohl der böseste, der bestechlichste, der vorübergehendste oder gar der harmloseste ist.

Man kann sich auch nicht in kindischen Attentatsplänen trösten, weil es zu viele wären und mit ihrem Verschwinden kein Problem gelöst würde – außer vielleicht, dass ein Unsympath durch einen anderen, mit Hoffnung oder gar noch größerer Enttäuschung, ersetzt werden müsste. Was nämlich das Unangenehme ist: Das Volk bleibt, und die Herrschaft regiert nicht. Selten in der Nachkriegszeit hat es in so vielen Gesellschaften derart führerbedürftige wohlstandsverwahrloste Selbstunterwerfer gegeben. Die wollen unterworfen werden und erhoffen sich dafür Ruhe. Opposition stört. (Solche Stimmung gab es natürlich früher auch und immer, aber nicht so flächendeckend zeitgleich). Es ist nicht der Endkampf, sondern die Resignation vor den ungenutzten Möglichkeiten. So lange Demokratie, und so wenig genutzt? Das wäre falsch. Ich rede ja nicht vom ganzen Volk.  Aber von relativen Mehrheiten, ubiquitär, überall. Die uneinige Opposition wird ebenfalls überall zitiert, weil sie über den Anlass und die Ursache ihrer Gegnerschaft uneins ist. Es geht nicht um Dieselfahrverbote, Datenschutz, Wohnungsnot etc., sondern um den öffentlichen Raum, in dem diese Probleme verhandelt und zur Regierung gebracht werden können, mithilfe der Institutionen, in denen wir uns regelsetzend einbringen. Und nicht als befreite Individuen an die Stelle derer denken und träumen, die sich von ihnen freigemacht haben und nur mehr zerstören.

(Darüber kann man jetzt denken, schreiben, lehren, studieren etc. Weil ichs schon zweimal abgedruckt habe: lest Ingeborg Bachmanns „Alle Tage“, und Terezia Moras Büchnerpreisrede dazu).

Mir geht es seit Anbeginn der Finis-terrae-Diskurse darum, die Hybris anzugreifen, mit der die Menschen sich und ihre Lebenswelt ausliefern den Barrieren,  die man weiterer Zivilisation durch Gewalt, Herrschaft und Abstraktion von den möglichen Bedürfnissen setzt. Das „intelligente Design“ etwas schmalhirniger Schöpfergötter könnte so eine Verblödung gar nicht vorhersehen, mit der die Völker sich restringieren in den Hühnerstellen, hoffend, sie seien die letzten, die der Fuchs holt.

[1] Saufen, schlechtes Benehmen, Sex vor dem G20 Gipfel, dann wieder hoheitliche Verhöhnung der Menschen dabei und danach.

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