Die Wallfahrtskirche zum preußischen Militarismus, also auch zu Adolf Hitler und Paul von Hindenburg, heißt im Volksmund „Garnisonkirche“ und wird in Potsdam gerade wieder errichtet. Ein Neubau des Turms entsteht, gerade sind die Fundamente betoniert. Für die Ewigkeit, also die nächsten tausend Jahre. Ich habe dazu geschrieben, auch in den Blogs; ich bereite einen Buchbeitrag dazu vor und diskutiere mit anderen Gegnern des Neubaus. Es ist interessant, wie scheinbar festgefügte Positionen, z.B. christliche Gemeinden, politische Parteien und weltanschauliche „Lager“ Sprünge zeigen, sich ihrer dogmatischen Position unsicher werden. Bei Befürwortern ist der Ton etwas leiser geworden, das Lager reicht ja von Bischöfen mit recht deutscher Sozialisation über nostalgische Architekturdenkmalschützer bis zur AfD, da muss man sich abgrenzen, bevor man seine Haltung vertreten kann. Der wissenschaftliche Beirat des Vorhabens verzichtet auf Klasse und kann deshalb ohnedies nicht ernst genommen werden. Aber diese Befürworter interessieren mich weniger als die Argumente, die wir Gegner ins Treffen führen und wohl ordnen und werten müssen.
Mein Ziel ist es, unter anderem zu erreichen, dass Besucher Potsdams, dieser kultivierten und herrlich widersprüchlichen Stadt, diesen Wallfahrtsort des historisch und politisch Bösen meiden oder, wenn sie ihn denn besuchen oder da hin geführt werden, entsprechend kommentieren und ablehnen. Dazu müssen sie einiges wissen, denn bloß ein Bauwerk gut gelungen oder schlecht platziert zu sehen, reicht nicht. Wie überall, ist der Kontext entscheidend. Mir reicht es, wenn der Turm, wie fertig und umnebelt er werden mag, als Zeichen der Spaltung, des Widerspruchs und der offenen Wunde aktiv am Bewusstsein der Besucher und der Stadt arbeitet. Dazu muss man die von den Heuchlern angebotene Versöhnung ablehnen.
Bitte lest an dieser Stelle meinen alten Blog: Tag von Potsdam, Garnison der Unbelehrbaren – und Widerstand 23.3.2018
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Die Spaltung der Stadt existiert, mit oder ohne Garnisonkirche. Sie kann nur durch einen ausgetragenen politischen Konflikt in eine lebendige demokratische Auseinandersetzung umgewandelt werden. Ohne einen solchen Konflikt wird sie sich vertiefen und zur Feindschaft werden. Keine ernst zu nehmende Konflikttheorie würde dies anders sehen, bis auf ein wenig Literatur werde ich diese Theorie hier nicht vertiefen. Klar aber ist, dass der Konflikt eines nicht verträgt: Lösung durch Harmonisierung (alle haben irgendwie Recht) oder Kompromiss (beide Seiten gehören „dazu“, d.h. zum nicht weiter konkretisierten friedlichen Zusammenleben). Konflikte kann man überhaupt nicht lösen, sondern nur regeln (im Englischen ist das besser: resolution, d.h. auflösen). Die Regelung hebt den Konflikt jedenfalls auf eine neue Ebene, in der die alten Mächte nicht mehr agieren können. In unserem Fall: Versöhnung wird dann möglich, wenn sich alle Konfliktparteien zur Anerkennung der eingetreten Realität bereit finden. Worin besteht diese?
Real ist eine heftige Auseinandersetzung um gültige und anerkannte Geschichtsdeutung. Deutungshoheit heißt u.a. Beeinflussung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung (als scheinbare Grundlage, von der aus sich ein Diskurs entwickelt, d.h. die Herstellung eines „Man“, das nicht mehr an Personen festgemacht werden kann und muss). Das heißt nicht, dass ich streiten will, sondern dass ich streiten werde, bis der Konflikt geregelt ist. In diesem Prozess kann auch die Spaltung ein Stück weit reduziert werden, wobei es nicht darauf ankommt, wie groß oder nachhaltig mein Beitrag dazu ist, sondern wie richtig und wirksam er den Konflikt aufgreift.
Ich habe hinreichend genau über die Illegitimität der Ansinnen der Turmbauer geschrieben. Im Folgenden werde ich die Argumente in Richtung auf Konfliktaustragung und Konfliktregelung drehen, also politisieren. Dieses „Also“ ist wichtig. Neue Argumente finde ich jenseits der Dekonstruktion des falschen Versöhnungsansatzes nicht, aber sie geben nicht hinreichend Antwort auf die Frage: was tun? Und was jetzt zu tun ist.
Dazu ist es wichtig, die gesellschaftlichen Ebenen der Argumente zu präparieren, von denen aus die Befürworter arbeiten. Ich wähle von noch weiteren vier aus: Religion, Geschmack, nationale Identität, Geschichte. Auch wenn diese auch irgendwie zusammengehörig gemacht werden können, wird erst ihre Isolierung deutlich machen, wie fatal sie eingesetzt werden.
Religion: sind religiöse Argumente auf einer höheren Ebene anzusiedeln als politische, ästhetische, ökonomische oder ideologische? Die Frage ist insofern von großer Wichtigkeit, weil ja viele und wichtige Gegner religiöse Gemeinschaften, Kirchen, Gemeinden, repräsentieren, und mit ihren Argumenten gegen die GK ja Recht haben. Aber nicht, weil sie als Vertreter*innen dieser Gemeinden sprechen. Religion ist ein gesellschaftliches Ordnungssystem neben anderen und kann nur beanspruchen, neben diesen anderen anerkannt zu werden und im Wettbewerb zwischen Machtansprüchen zu. (Ganz anders sind Argumente aus dem Glauben heraus, aber da Glauben für soziale Interaktionen unverfügbar ist, kann es hier nicht um Konfliktregelungen, sondern nur um Selbstbestätigung oder Zweifel gehen). Religion wird oft mit besonderer Empfindsamkeit geschützt (als wäre eine Kirche vor Kritik eher geschützt, weil in ihr ein Gott angebetet wurde/wird, als jedes andere öffentlich Gebäude). Das ist kein trivialer Punkt: denn wir wissen aus der Geschichte, dass jedes Bauwerk (Schloss, Schaftstall, Denkmal, …), jeder Gegenstand (Reliquie, Waffe, Brief,…) und jede repräsentierende Person solchen Schutz erfahren, je nach gesellschaftlicher Werteordnung. Damit wird der Religionsbezug zu einem Element der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Religionsausübung gemacht und braucht sich um Kritik nicht so sehr zu kümmern wie andere Gemeinschaften. Ich argumentiere hier ähnlich wie in Fällen, wo Ärzte oder Verwaltungspersonal von Kliniken nicht nach ihrer humanitären Qualifikation, sondern ihrer Religionszugehörigkeit Arbeitsverträge erhalten. Also: nur weil die GK eine Kirche, eine Staatskirche übrigens, genießt sie kein Meinungsprivileg. Und manche müssen sich die Frage gefallen lassen, welcher von den vielen Göttern darin angebetet wurde. Da ich kein Christ bin, und diese Form der Idolatrie mir fern liegt, muss ich jetzt meine Freunde und Verbündeten in den Kirchen in Schutz nehmen, sofern nämlich ihre Kritik am Turmbau sich mit mehr Recht auf die Verfassung ihrer Kongregation berufen kann als die Blasphemie der Befürworter. Anders gesagt: aus Sicht der Theologie, nicht der Wissenschaft, ist die Berufung auf einen Gott kontrafaktisch, blasphemisch, wenn sich darin bloß die Interessenbekundung verbirgt, die durch den Namen Gottes unangreifbar gemacht werden soll. Es ist meine fundamentale Kritik am Deus lo vult der Kreuzzüge, am Inshallah und an der Behauptung, Gott hätte die Shoah gewollt, sonst hätte er sie ja nicht geschehen lassen brauchen. Aus Sicht der Wissenschaft könnte man hinzufügen, dass ein Bezug zu Gott jedenfalls in dieser Form ohnedies sich nicht aus dem Zweiten Gebot vom Sinai ergibt. (Und Religion als Brücke zu andern Rechtfertigungen braucht man nun wahrlich nicht, um die eigenen Interessen zu stärken).
Geschmack: dass man über Geschmack nicht streiten kann, gehört in den Kanon des Spießbürgers oder Flachkopfes. Man kann, manchmal soll man, manchmal muss man streiten. Ob etwas schön ist, ob es gefällt, ob die GK an diesem Ort, in dieser Form sein soll, wieviel „Abstriche“ von einem Muster man machen muss…all das gehört in eine komplexe psychologische und soziale Komplexität von Habitus, Erziehung, Wissen, herrschender Meinung, politischer Korrektheit. Ein gutes Beispiel ist die Frage, ob denn der Turm zum Stadtbild gehöre, nur weil er auf alten Ansichten da war und man diese wieder vervollständigen möchte. Kann man wollen, ohne Zweifel. Wann sollte man barocke Altäre aus gotischen Kirchen verbannen, wann sind sie dort besonders schön? Wann ist eine Silhouette beindruckend, wann ist sie bombastisch? Antworten auf diese Fragen sind immer politisch – Entartete Kunst, Kulturschutzgesetz, Erziehung der nächsten Generation, sie formen immer den Habitus, v.a. im kulturellen Kapital, aber auch im sozialen, und greifen tief ins ökonomische ein – über Reiseführer, Ferienangebote, Orte, wo „man“ sich trifft oder die „man“ besser meidet. Sie zwingen die Individuen, Stellung zu beziehen, und sei es durch Nichtbeachtung oder Abwendung.
Nationale Identität: gefährlich wird die Geschmacksfrage, wenn sie zugleich aus dem kollektiven und kulturellen Gedächtnis auswählt und Objekte präsentiert – den Turm der Garnisonkirche – um unverzichtbare Bestandteile einer bestimmten Geschichte, einer bestimmten Identität vorzustellen. Ich karikiere das: Johann Sebastian Bach gehört zu uns, Goethe gehört zu uns, daran sollte niemand zweifeln; der Alte Fritz gehört zu uns, die preußischen Tugenden gehören zu uns, das Wirtschaftswunder gehört uns…Identitäten sind Konstruktionen, die über ein ausgesprochen tieferliegendes Moment – z.B. den Nationalismus – gebildet werden. „Uns“, bzw. „Wir“ sind unscharf genug, uum sogar in Maßen Kritik zuzulassen. Aber es kann wenig daran gezweifelt werden, dass die Identität dieser Art immer etwas „Deutsches“, „Türkisches“ „Italienisches“ zeigt – dem ohne dass es gesagt wird, etwas Undeutsches, Untürkisches, Unitalienisches entgegengestellt wird. Erdögan und Salvini spielen dieses Instrument auf staatlicher Ebene virtuos, bei uns eher die Politiker am rechten und linken Schmutzrand, gleichermaßen. Warum gehört dieser Turm eher zu uns als die Gefängniszellen der Nazis und der Stasi in der Lindenstraße? Weil ihm Zuschreibungen gewidmet sind, denen der Turm gleichgültig ist, nicht aber die Ideologie und das Bewusstsein seiner Betrachter und der Touristen und der Geschichtsbücher usw.
Geschichte: da erklären uns befugte und unbefugte, d.h. kenntnisreiche und wissensarme, Experten, warum die GK wichtig sein soll. Die Relevanzerklärung ist so kontextabhängig wie die Geschmacksfrage, schwieriger zu dekonstruieren allemal, weil hier auch die Komponenten der Heuchelei und der Ideologischen Verschiebung hineinkommen. Geheuchelt wird, wenn die GK Bauherrn im Namen der Versöhnung darauf verweisen, dass man ja (jetzt erst? Jetzt!) auch des Widerstands gedenken darf (dessen Bezug allerdings zur Kirche und ihrer Geschichte marginal bis nichtig ist). Und die ideologische Verschiebung kommt deutlich daher, dass man die Gräuel, die mit der GK verbunden sind, nicht leugnet (dazu liegt ja Grünzigs Buch und viel Material auf dem Tisch), aber so klein redet und marginalisiert, dass Preußens Gloria und die heroische Geschichte dieser Wehrburg des Militarismus umso strahlender erscheinen. Kolonialkirche, Propagandakirche, Unterdrückungskirche und alles im Gottesdienst der Herrn Hitler und Co., abgefedert von den Mittätern aus dem Haus Hohenzollern, und nicht einsichtig bis heute von den Erben der Gewalt.
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In den nächsten Tagen wird wiederum der Progromnacht, des Endes des 1. Weltkriegs, der Vereinigung gedacht. Für all das kann man auch die Garnisonkirche in Dienst nehmen. Es handelt sich um eine lästerliche Leibeigenschaft. In Beton wird gegossen, was im Bewusstsein des völkischen, aggressiven, versöhnungsfeindlichen und blasphemischen Ungeists nach wie vor besteht, das muss man gar nicht erst erfinden. Und wenn sich Kleriker dafür hergeben, dann müssen sie sich gefallen lassen, dass ihre Blasphemie auch von denen angegriffen wird, die mit ihrem Glauben ein anderes Religionsverständnis haben – oder gar keins, denn die Garnisonskirche war nie eine „Kirche“ und ist auch keine; sondern eine Wallfahrtsstätte deutschen Ungeists.