Normale Nazis und ein Ausweg?

Die Angriffe sind begründet, aber taktisch und strategisch falsch. Die Parteispenden-Affaire der AfD ist natürlich wichtig und ein Angriffspunkt, aber die Kampflinie verläuft doch ganz woanders. Alle Parteien hatten in unterschiedlichem Ausmaß ihre Spendenaffairen, manche größer, manche lokal und kleiner. Wenn man hier in der Kritik an der AfD über die Stränge schlägt, hilft man der Partei, normal zu werden – und das ist politisch falsch. Taktisch, weil es sicher auch bei anderen Parteien wieder zu Unregelmäßigkeiten kommen wird, – das ist nicht gut, aber wir sind im Antikorruptionsindex nicht außerhalb der Maßstäbe. Und strategisch – haben wir nicht besseres zu tun? Überlassen wir den Fall der Bundestagsverwaltung.

Gaulands „Vogelschiss“-Bemerkung ist auch in ein Debattenendstadium getreten. Die Staatsanwaltschaft hat die Frage nach Volksverhetzung u.ä., verneint, weil im Kontext der Rede so ein Begriff durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei (kann man so sehen), auch wenn Begriff und Rede in der Wahrnehmung der Kritiker beleidigend und strafwürdig empfunden wurden.  Recht basiert eben nicht auf Empfindungen (muss man so sehen). Man kann und soll die Rede weiter kritisieren, sich aber nicht an dem aufhängen, was Sache der Nazis, aber nicht unsere ist.

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Nazis haben vor 1933 auf mehreren Instrumenten gleichzeitig gespielt und so viele Milieus und Gefolgsleute angesprochen. So entstehen auch Volksparteien. Es gibt immer mehr Vergleiche zwischen Weimar und der Berliner Republik, viele von ihnen Kenntnis- und Analogie-reich. Nur wer vergleicht, kann Unterschiede ausmachen. Das ist wichtig, weil ja die Nazis von heute in ihrer Erscheinung nur teilweise den Nazis von damals ähneln.

Ein wichtiger Unterschied wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt: Nicht nur in der Bundesrepublik, auch weithin in Europa und vielen Ländern anderer Kontinente sind die Grundlagen demokratischer Republik einem großen Teil der Bevölkerung durchaus bewusst, weshalb die Kritik gegen das völkische und rassistische Empfinden auch substanzieller ist als in Weimar, der „Republik ohne Republikaner“ (Ossietzky). Der Populismus ist ein Sammelbegriff für viele politische Extremismen, auch die der „Mitte“. Er setzt die Rechts-Links-Koordinate außer Kraft. Und – wichtiger – er eint Nazis (AfD, FPÖ, Fidesz, PIS etc.) mit glaubwürdigen Nazigegnern, weshalb es so schwierig ist, zu vermitteln, dass im Kern die Nazis tatsächlich und ohne „Neo-„ Präfix vorhanden sind. Wir waren vielleicht in den 60er Jahren, vor und zu 1968 hin, etwas zu naiv zu glauben, dass Demokratie als Struktur bereits gegen die Ideologie immunisiert, die sich im Nazismus und im Stalinismus und etlichen anderen System, nennen wir sie autokratisch oder faschistisch oder schlicht diktatorisch). Der Republikanismus war damals noch nicht weit genug entwickelt, und die heute auch bei uns breite Abwehr gegen Demokratie als Grundlage von Regierung und Entscheidungsprozessen hat auch hier ihre Wurzeln. Wenn man das alles nur auf den globalen Kapitalismus schiebt, dann hat man wahrscheinlich grosso modo Recht, nur ist es unsinnig, die Kritik daran bereits als Ausweg zu sehen. Da sehe ich ein gefährliches Einfallstor geschwächten Widerstands, wenn man das rechte Muster in ein linkes verwandelt. Die Rechten sind gegen das System. (Das waren die radikalen Linken immer). Die Systemkritik möchte a) die Demokratie austauschen gegen die Unmittelbarkeit von Volksempfinden, und bei den Nazis, von völkischem Empfinden, auszutauschen  (Betonung auf unmittelbar und repräsentiert durch ein Führersystem: Trump,  Orban, Erdögan); b) die Menschen unter der neuen Leitkultur ständig gegen den Feind positionieren (da ist natürlich Carl Schmitt ideologisch präsent, wie übrigens früher auch bei manchen Linken). Darum taugt „Rechts-Links“ hier nicht, und der Ersatz von repräsentativer durch plebiszitäre Demokratie auch nicht.

Wie  also mit den Nazis umgehen? Im ersten Ansatz gar nicht.  Wie wir mit uns umgehen und wie wir uns im öffentlichen Raum verhalten, den wir immer wieder, täglich, neu schaffen müssen. (andere, auch konservative Geister, die aber den Nazis nicht sich anmuten, haben dieses Motiv „Du musst dein Leben ändern“ schon ebenso früh aufgegriffen wie frühe Flügel der Grünen. Sloterdijk nimmt das Motiv von Rilke und stellt unsere Gesellschaft in den Status ständiger Einübung und Selbstbeschäftigung. Rilkes Gedicht endet „…denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht/ du musst dein Leben ändern“.  (Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009), Das ist verführerisch, weil es auch zur hamsterradartigen Selbstbeschäftigung unter Außerachtlassung von sozialer Struktur, Macht, Herrschaft und Ungleichheit führen kann, formuliert durch die (selbst)bewusste Elite. Aber das Öffnen der hermetischen Gewissheiten über unsere menschliche Verfassung (Condition humaine) um derer Willen, die dieser Herrschaft unterworfen – das alte aufgeklärte, humanistische, oft revolutionäre Widerstandsargument, das auch einmal „links“ hieß, kann natürlich einen Ausweg bezeichnen, von dem wir nicht wissen, wohin er führt, weil er fast nur mehr im Verhindern besteht: eben der Klimakatastrophe, eben der milliardenfachen Hungersnot, eben der zivilisatorischen Retroaktion, eben des finis terrae – auch wenn es absurd wäre, dieses Ende aufhalten zu wollen, weil man es nicht kann.

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Lohnt es, sich mit den Nazis auseinanderzusetzen. Ja, wenn es um die politische Besetzung von Positionen im sozialen Raum geht. Nein, wenn wir selbst nicht verstanden haben, dass wir die „Einzigen“ sind, die Demokratie weiter und die Republik stabiler entwickeln können. Anstatt diesen Trotteln die Meinungsfreiht zu bestreiten, müssen wir uns darum bemühen, in diesem „Wir“ erkennbar zu werden und zu bleiben. Auch dazu kann jede( r) das Leben ändern, seins und seiner Gesellschaft.

Dann kann man Gauland und Weidel und die 130.000 €  vergessen.

Zurück in die Politik. Rechts ist nicht unwidersprochen, gerade in Österreich, wo ja die Nazis maßgeblich mitregieren, ist auch der Widerstand artikuliert: Lest doch

Globaler Rechtsruck: „Etwas geht gerade weltweit schief“

Interview Bert Rebhandl 7. November 2018, 06:25 https://derstandard.at/2000090755265/Globaler-Rechtsruck-Etwas-geht-gerade-weltweit-schief

Wenn, wie in der Folge ausgeführt wird, die Mehrheit die „illiberale Demokratie“ ablehnt, aber die Mitte sich selbst nach rechts verschiebt, was hat das mit „UNS“ zu tun, dem lebenden Widerstandspotenzial, das sich nur nicht als politischer und kultureller Widerstand positioniert, sondern meist nur mitreden will?

Wir können uns nicht passiv gegen die Übernahme der Macht durch die unaufgeklärten Endprodukte einer Entwicklung wehren, die ja nicht aufgehört zu existieren, als die Aufklärung angetreten war. Aktiv heißt aber auch, nicht nur das eigene Leben städnig überprüfen, sondern die Umstände des Lebens der Anderen abhängig machen davon, wie wir Politik machen.

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