Universität findet statt. Republik auch.

Kaum zu glauben, wie sehr Worte und Begriffe gesellschaftliche Begebenheit überbauen.  1968 ist in vieler Munde, als Jubiläum (hä….?), als Anlass Geschichte zu korrigieren, auch die eigene, als Merkposten in der Gegenwartsdiagnose. Ein Wort hat sich eingegraben: „Studentenbewegung“. Weltweit, europäisch, vor Ort. Studenten haben sich bewegt, Ho-Ho-Ho-Chi Min skandiert oder andere rhytmische Chöre den Bewegungen ihrer studentischen Körper angepasst.

Das alles hat mit einem der Ausgangspunkte – Orten in meist urbanem Umfeld – zu tun: den Universitäten. Darüber wurde einiges geschrieben, geforscht und vergessen, und in diesem Jubiläumsjahr: 1918 steht da vorne, 1968 ist ein wichtiges Datum, es gibt ohnedies kein Jahr ohne Gedenken, in diesem Jubiläumsjahr wird also auch der Universität gedacht, die nach 1968 nie mehr so werden sollte wie sie davor war. Ein willkürliches Datum,  je nach Staat, Gesellschaft und Hochschulsystem variabel, aber dann zusammengefasst in einem Jahr, das scheinbare Gleichzeitigkeit und deshalb Wirkung anbot.

Studenten, das konnte man damals noch sagen, heute ist man korrekter bei Studierenden, Student*innen usw., auch das Gendern begann irgendwann im Nachzug der Studentenbewegung.

Nicht mein Thema heute. Sondern: gabs außer den Studis nicht noch andere – Assistenten, Professoren, Verwaltungsmenschen, Hochschulpolitiker, – und natürlich gab es Hochschulpolitik. Die Trennung von Bildungspolitik und Hochschulpolitik wurde weder systematisch noch logisch stringent gemacht, und Rollenwechsel im Kontext – man könnte von einem „Theater“ sprechen – waren an der Tagordnung. Auch bei mir.

Vor mir liegen zwei Bücher, die mich sozusagen einholen. In beiden setzen sich die Autoren als wichtioge Akteure – damals – und Interpreten – heute in Szene.  Ich kenne beide ziemlich gut, deshalb ist das Folgende weniger eine Rezension als eine Überlegung zu zwei Thesen, je einer von Jürgen Lüthje und Ulrich Teichler.

Lüthje nennt die Anthologie seiner Reden und Aufsätze „Die Universität als Republik“ (Berlin-Hamburg 2018, Reimer). Teichler holt aus: „Der studentische Protest der 1960er Jahre und die Entstehung der Hochschulforschung in der Bundesrepublik Deutschland“, in Hechler/Pasternack 2018, 179-203[1].

Ich bin parteilicher Leser. Lüthje wurde 1991 Präsident der Universität Hamburg, nachdem er 1986-1991 „mein“ Kanzler an der Universität Oldenburg gewesen war. Davor war er dort schon Kanzler gewesen, hatte mit meinem Vorgänger um die Unileitung konkurriert, und war noch früher ein wichtiger Hochschulpolitiker und Reformer im Umfeld der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Bundesassistentenkonferenz. Teichler, ein maßgeblicher und jahrzehntelang dominierender Hochschulforscher, hatte einen ähnlichen gewerkschaftlichen Hintergrund, war am MPI für Bildungsforschung in Berlin und später an der  Gesamthochschule Kassel tätig.

Teichler kommt selbst aus der Friedensbewegung und sein erster beruflicher Lebenslauf vom Studenten hin zum und im MPI für Bildungsforschung unter Dietrich Goldschmidt ist nicht untypisch. Goldschmidt war nun ein Professor und Präzeptor der Hochschulforschung. Teichlers Hauptthese ist, punktuell gut belegt, dass die spezielle Hochschulforschung aus der studentischen Politik hervorging – und die Verfasser von Hochschule in der Demokratie (1965) allesamt später Professuren erhielten. (am ehesten war noch Wolfgang Nitsch ein Hochschulforscher, UK Preuss und Claus Offe gewiss nicht, Uta Gerhardt in between).  Im Lauf der historisch differenzierten Darstellung verschiebt sich der Fokus: das protestgestützte Anvisieren der Hochschule durch die Studenten hatte schon früher begonnen, und begann nach 1968 zu dissoziieren, während der Hochschulforschung diesen Protest als Katalysator und nicht kausal nutzte. Ich empfinde die Darstellung als etwas einseitig, weil sie einerseits die Hochschuldidaktik zwar erwähnt, aber als ein Korrelat zur polit-ökonomischen Reformpolitik ab den 1960er Jahren die wichtige Differenzierung zwischen Hochschul- und Wissenschaftssystem nicht wahrnimmt: diese Differenz, die sich im etwas sinnarmen „Forschung und Lehre“ deutscher Tradition niederschlägt (anstatt Forschung und Studium  zu einander in Beziehung zu setzen). Teichler war ein großer Bildungsökonom und hat ein ganzes Forschungsfeld auch der vergleichenden Hochschulforschung und ihrer Schnittstelle mit der wissenschaftlich fundierten (Berufs)tätigkeit geöffnet. Teichler vermag weniger die kausale Linie von Studentenbewegung und Hochschulforschung zu präzisieren als er einen tiefen und wichtigen Einblick dazu gibt, wie die Hochschule als Problem zum Thema ihrer selbst wird und dort institutionell sich verankert, um Wahrnehmung, Anerkennung und Wirkung mit anderen konkurriert. Wenn man die meisten der hier erwähnten Akteur*innen kennt – und auch die nicht erwähnten in ihrem Handeln und ihrer Wirkung einbezieht – hat Teichler einen sozialen Raum geschaffen, in dem auch die Akteur*innen ihre Machtpositionen und ihre Marginalisierung erfahren. Liest man sehr genau, erkennt man, warum sich an deutschen Hochschulen einiges verändert hat, wir aber im Wissen um den Antagonismus von Wissenschaft, Forschung, Studium und Statuszuweisung eher nicht an der Spitze der marktgängigen Rankings sind.

Der Diskurs, das verästelte Reden über die Universität, in allen Fasern der Gesellschaft, kommt hier zu wenig vor: aber er bringt ja auch eine Generation nach der nächsten von Studierenden und ihren Lehrenden hervor, und hält sich unheimlich starr am Leben. In meiner Zeit in Oldenburg gabs einmal eine Studiliste, die sich „Links und unbelehrbar“ nannte, naja, nicht erfolgreich, das waren aber die andern Listen auch nicht. Und die Lebensbedingungen mit der Wissenschaft, an und um die Hochschulen herum, also die Kultur und den gesellschaftlichen Austausch, hatte Teichler früher einprägsam mit dem „Eigentlichen“ und dem „Uneigentlichen“ der Hochschule beschrieben.

Hier setzt der Titel von Lüthje an, die Universität als Republik. In dem Jahr, als Lüthjes Textsammlung einsetzte, erschien bei der Heinrich Böll Stiftung ein kleiner Band: Mein Beitrag im Titel lautete: „Entstaatlichung und Veröffentlichung. Die Hochschule als republikanischer Ort“, Jürgen Lüthje und Henning Schrimpf steuerten das Programm bei: „Eine neue Hochschulpolitik: ökologisch, demokratisch, sozial“ (Daxner 1991). Von daher, nicht zufällig,  Lüthjes Titel zur Republik. Mich hatte das Thema nie verlassen, und in meinem wichtigsten Buch zur Hochschulreform heißt ein Kapitel Programmatik: republikanisch, ökologisch, sozial (Daxner 1993). Das Motto meint ein republikanisches Prinzip, formuliert von Alfred Grosser, bei einem Vortrag in Oldenburg: „Der Bürger muss sich regierend denken, um zu wissen, was er von der Regierung fordern kann“ (S. 54). Dies ist auch ein Motiv für Lüthje, der ja immer an der Schnittstelle von Politik, Verwaltung und Wissenschaft nicht aus der letzteren kam, sondern in sie hineinwirkte. Es ist sehr schade, dass Lüthjes Texte mit einer Ausnahme (Wissenschaftsfreiheit durch Mitbestimmung 1970) alle erst im Vorfeld von und mit seiner Präsidentschaft in Hamburg beginnen. Seine Hochschulreformvorstellungen sind in einem komplizierten Vermittlungsprozess eingebettet, in dem er der Stadt Hamburg  klar machen will und muss, was sie an der Universität hat und was sie von ihr wollen soll. Angesichts der seit 100 Jahren vorherrschenden Skepsis des gehobenen Wirtschaftsbürgertums gegenüber einer Universität kein leichtes Unterfangen. Lüthje kommt zugute, dass er nicht aus der Wissenschaft, sondern in sie hinein politisiert, ihr eine „Form“ geben will, die demokratische, partizipative, republikanische – und dazu eben dieses Bürgertum braucht. In seinem Buch steht ein Katalog von Forderungen an Staat und Gesellschaft, aus dem Teichlers Hochschulforschung ihre Themen und Aufträge nur zum Teil erhält. Der andere Teil geht in die Wissenschaften, für die die Hochschule ein Objekt, aber nicht ihre lebensweltliche Wirklichkeit ist. Was mir an diesem Buch fehlt ist die Geschichte, wie Jürgen Lüthje Präsident einer Universität werden wollte und konnte. Denn da steht ja der Anspruch des politischen Bürgers, dorthinein regieren zu wollen, wo sich Elfenbeinturm oder professionelle Wissensvermarktung ihre Domänen so gerne sichern.

*

Das liest man beides mit dem etwas grantigen Interesse, nach 45 Jahren Wissenschaft und Universität die Veränderungen des Systems Hochschule sich so wenig verändern zu sehen; sie ist halt ein langsames System, in dessen Fugen und Brüchen unentwegt interveniert wird – von Politik, von Partikularinteressen, von Verlagen, studentenfreien Forschungsinstituten, Think Tanks, der Presse, aber auch Eltern, Berufsverbänden, Fachgesellschaften und einer unglaublich zählebigen Verwaltung, die ihren Habitus so langsam ändert wie der Homo Academicus (Bourdieu 1988). Dass der noch immer gültige Grundlagenliteratur zum Verständnis der Universität ist, stimmt so wenig fröhlich wie die Tatsache, dass die Wissenschaftsfreiheit und die Autonomie der Hochschule zwei Seiten einer Medaille sind, die im nationalen und supranationalen Verständnis noch immer an staatliche Regeln gebunden sind, die zu wenig Republik und zu viel Machterhalt zeigen.

Lüthje hatte in seiner Amtszeit den Vorteil, dass er die Sozio-Ökonomie und die Politökonomie einer Universität besser verstand als viele seiner Professor*innen. Das hatte er in den langen Jahren des studentischen Protests, der parteipolitischen Wissenschaftspolitik, der Arbeit in der Verwaltung von Wissenschaft gelernt und vor allem praktiziert.  In den hanseatischen Habitus und den einer großen und erfolgreichen Universität einzusteigen, war sicher schwierig und durfte in den seltensten Fällen gezeigt werden. Die Stadt-Republik ist noch etwas anderes als die Uni-Republik, und die Osmose habe ich oft selbst miterlebt.

Die Reformschwäche der deutschen Universität ist nicht nur teilweise selbst verschuldet, sie geht systemisch auf den großen Humboldt zurück, dessen Reformen ja auch darauf gerichtet waren, in der preußischen Monarchie eine französische Revolution zu verhindern, ohne auf die Aufklärung verzichten zu müssen. Das war über lange Zeit ganz erfolgreich, hat aber das Unsichere, das Risikoreiche, und zugleich das fundamental Widerspenstige des wissenschaftlichen Denkens nie aus der staatlichen Kontrolle entlassen, bis heute gilt der Artikel 5 (3) des Grundgesetzes als Garant eben dieses Verhältnisses. Lüthje und Teichler haben auf ihre Art dazu beigetragen, dass sich der Klammergriff etwas lockert, aber bei Haushalt und Berufungen sitzt der Staat noch immer im Wächterhäuschen. Heute sehe ich viel gefährlicher an, dass die außeruniversitäre Forschung die Hochschulen zunehmend austrocknet, dass die Studienbedingungen den erwachsenen Student*innen von heute in Deutschland schlechter gerecht werden, als anderswo, dass die bibliometrische Hysterie und der Kontrollzwang der Reviews  jede Eventualität marktgerecht reduzieren, und dass alles in formalisierten Verfahren aufgelöst wird, die nicht mehr, sondern weniger legitimieren. Dazu kommt der Klassenkampf, dass nichtstudierte Bevölkerungsmehrheiten durch ihre Steuern ein kostenloses (und auch deshalb schlechteres) Studium finanzieren, dessen Ergebnisse sich oft gegen sie wenden…Mit einer bloßen Steigerung der Immatrikulationen kann man dem nicht begegnen.

Die Republik in der Republik. Mehr Beteiligung der Bürger*innen an der Wissenschaft, mehr Autorität der Wissenschaft gegenüber den Regierenden (Klimawandel!), weniger restaurative Professorenabschottung gegenüber denen, die ihnen folgen müssen und doch kein Nachwuchs sind, sondern Wissenschaftler*innen wie sie selbst…Go back to square one. Viele verlorene Jahre und wenig stabile Erfolge…naja, ein paar Sachen sind schon gelungen: die Genderfrage ist offenbar, das Nichteigentliche der Hochschule, also das lebensweltliche Umfeld, ist bedeutsamer geworden, und der Legitimationsdruck auf die Wissenschaft wächst – zu Recht. Schade nur, dass vieles erkauft wurde, statt gut republikanisch im öffentlichen Raumausgehandelt worden zu sein.

 

 

Bourdieu, P. (1988). Homo academicus. Frankfurt am Main, Suhrkamp.

Daxner, M. (1991). Entstaatlichung und Veröffentlichung: die Hochschule als republikanischer Ort. Köln, Heinrich-Böll-Stiftung.

Daxner, M. (1993). Die Wiederherstellung der Hochschule: Plädoyer für eine Rückkehr der Hochschulen in die Politik und die Gesellschaft. Köln, Heinrich-Böll-Stiftung.

 

[1] Die Zeitschrift „die hochschule“ erscheint im 27. Jahrgang,Heft1-2/2018 befasst sich mit dem Verhältnis von „Innen“ und „Außen“ der Hochschule  unter dem Titel „Arbeit an den Grenzen“. Herausgeber Peer Pasternack kommt aus der ostdeutschen Studentenpolitik und hat u.a. bei mir promoviert. Das HoF (=Institut für Hochschulforschung) Halle-Wittenberg hat eine von der westdeutschen stark abweichende Geschichte, die von Pasternack nachdrücklich geprägt wurde und ein seltsames Produkt der Vereinigung ist.

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