Wissen vom Untergang II: Universitäten in der Pflicht?

 

Am 21.1. fand in Hamburg ein Kolloquium zur Hochschulpolitik aus der Sicht von überwiegend altgedienten Hochschulreformern der 70er, 80er und 90er Jahre statt – also meine Kolleginnen und Kollegen aus den Zeiten, da wir noch meinten, Hochschulen wirklich für die Gesellschaft umgestalten zu können. Manche glauben das noch immer. Die Initiative geht von Jürgen Lüthje aus, mit dem ich viele Jahre in vielen Hochschulzusammenhängen zusammengearbeitet hatte.  Ich sehe, dass viele europäische Länder uns längst den Rang abgelaufen haben und Deutschland nur noch immer so gut ist, weil es eben ein so großes System ist, das durch Unterfinanzierung nur langsam abstirbt.

Bei diesem Kolloquium hielt ich einen von 5 Impulsvorträgen, dementsprechend kurz. Ich gebe ihn hier teilweise wieder und habe dazu einige Ergänzungen eingefügt. Kommentare willkommen, und lest bitte das Wissen vom Untergang im Blog vom 12.1.2019 zuvor.

Die Universität in der Wissensgesellschaft

„Das Wissen vom Untergang – Wissenschaft braucht Macht und muß sie wollen“. (VAS 1990)

So hieß eines meiner ersten Bücher[1]. Das Finis terrae Motiv ist damals im Vorwort präzis beschrieben, noch vor dem Klimathema, und ich verbinde es mit dem Problem, woher denn und wie das richtige Wissen kommen und angewendet werden soll. Der Zustand der Welt für die Menschen ist in der Tat „eine Zeit abnehmenden Lichts“. Ich bin über mich selbst erstaunt, wie langsam ich seitdem vorwärts gekommen bin. Aber auch: wie richtig ich ohne Prophetie und Kassandrismus in vielem gelegen habe. Und warum die Universitätsreform kein Politikfeld neben anderen ist, sondern ihre eigenen Gesetze hat.

Wissensgesellschaft. Scheinbar wird mit diesem Begriff die Arbeitsgesellschaft oder die Industriegesellschaft abgelöst. Scheinbar, weil die beiden ja nicht in einem linearen, chronologischen Verhältnis zu einander stehen; ähnliche Begriffe wie Informationsgesellschaft drängen auf den Markt. Nicht nur der Markt prägt solche Begriffe, auch die Tatsache, dass Politiker oft hinter diesen „Wieselworten“ verbergen, dass auch sie nicht wissen,  worum es sich handelt, wenn sie z.B. „Industrie 5.0“ sagen. Der Begriff wieselt weg, wenn man ihn fassen möchte. Das ist ernster als man meinen könnte. Ich komme gleich dazu, wenn es ums gefährliche Wissen geht.

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Viele Gegenwartsdiagnosen sind eng geführt, um den Fokus auf etwas Wichtiges, Relevantes und Nachhaltiges zu lenken. Sie beruhen auf einem Wissen, dass globalisiert auch zu Differenzierungen führt, die früher – noch nicht so lange her, weniger deutlich waren. Zum Beispiel gibt es Dichotomien wie Klima vs. Wetter, Gefahr vs. Risiko, Realität vs. Diskurs etc.; die waren natürlich vor 30 Jahren so bekannt wie heute, aber nicht in der massenhaften Verbreitung präsent; das Vertrauen in positive Befunde der Forschung, empirische zumal, war tatsächlich früher größer; Fake-news und subjektive, individuelle Meinungen spielten zwar immer eine Rolle, aber heute sind sie wirkungsvoller und v.a. schneller am Tatort.  Und das Wissen ist viel weniger an traditionelle Institutionen gebunden als noch damals: da etwa die Universität als Ort, wo relevantes Wissen generiert wurde, noch viel wichtiger war als heute; als der Prozess der Kommunikation über neues Wissen nicht in sekundenschneller Echtzeit vor sich ging wie der elektronische Börsenhandel. Heute ist der Zugang zu Wissen und seine rasche Umsetzung ein Kriterium für weltweite Märkte und Arbeitsteilung, auch nichts wirklich Neues, und doch – durch die Digitalisierung, künstliche Intelligenz und neuartige Prozesse der Ordnung von Wissen ziemlich relevant (ich verweise, wie öfter schon auf Yuval Harari, Homo Deus). Oft schaffen es auch große Universitäten nicht mehr, alle an einem Problem zu beteiligenden Wissenschaften adäquat zu versammeln – Probleme wie HIV oder das Klima oder die globale Migration müssen in der Synergie der Forschung selbst die globale Kommunikation suchen. Hier ist ein wichtiger Einschub zu machen: nie können alle Disziplinen in einer Universität vorhanden sein, aber es sollten schon so viele wie möglich sein, und nicht alle müssen „exzellent“ oder erstklassig sein, aber wenigstens sollten sie Zugang zu ihrem Wissensbestand haben. Die Verschlankung nach Ranking-Kriterien ist eine Verarmung. Und die globale Wissenskommunikation wiederum wird nach wie vor durch Macht und eine spezielle Governance gesteuert und strukturiert. Universitäten werden zunehmend ortlos.

Die Suchmaschine hat sich in die Prozesse des gefährlichen Wissens eingeschoben, sie ist das relevante Dazwischen. In ihr manifestiert sich, was ich 1990 das gefährliche Wissen genannt habe[1]. Ein Wissen, dessen sich die Herrschaft bedienen muss, das sie aber in ihrer Aneignung und schon gar nicht in den Erkenntnisprozessen und in der Wissensgeneration nicht mehr übersehen und kontrollieren kann. Das ist in der Wissenssoziologie nicht besonders originell, aber in der alltäglichen Politik, Wirtschaft und Kultur schon wichtig, weil es ja auch darum geht, ein bestimmtes Wissen anzuwenden, wenn es notwendig ist – und was notwendig ist, bestimmen verschiedene Herrschaften…und nicht nur eine. (Man könnte das in die Diskurse des Davoser Forums projizieren. Dort wird auch mit Wissen in großem Maßstab gehandelt, und der Unterschied wird sofort deutlich, wenn man sich die Milliardäre ansieht, die Hofnarren=eingeladenen Philosophen, und die besänftigungsbereiten Kritiker).

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Es ist naheliegend, dieses Thema mit der Situation von Daten(un)sicherheit und der ungeschützteren Verbreitung des Wissens über einander zu verbinden. Was wissen Eltern schon von ihren Kindern, was wissen Menschen über ihre Nachbarn, was wissen Laien über Experten und die Bevölkerung über ihre Politiker? Und was müssen sie wissen, und was brauchen sie nicht zu wissen? Und wer bestimmt über die Grenze zwischen beidem?

Bei diesen Fragen und ihren Antworten geht es immer um Macht im sozialen Raum. Relevante ökonomische Theorien argumentieren mit asymmetrischem Wissen über Prozesse und den Markt, Naturwissenschaften haben lange über das Anwachsen des Nichtwissens mit dem zunehmenden Wissen gespielt (Hubert Markl war darin prominent), und das Aushebeln von evidenten Befunden durch die herrschenden Autokraten – eben die Fake-News als empirische Größe der Herrschaft – erzeugt das fundamentale Misstrauen gegenüber allem, was man weiß oder zu wissen meint. Die „Alternative facts“ sind nicht nur Anlass zu Misstrauen, sondern, wenn sie las Fakten angesehen werden, auch berechtigte Ursache dafür, dass allen Fakten misstraut wird. Es herrscht nicht nur Stimmungs- sondern auch Eindruckskonvention.

Antworten auf diese Fragen sollte man lernen, und dazu wäre meine Antwort früher gewesen: dazu sind Universitäten da, oder – weiter – dazu ist ja die öffentliche, gleiche, zugängliche Bildung da. Ich bin mir heute nicht mehr sicher. Universitäten sind in immer geringerem Maße die Orte, an denen die Schnittstelle zwischen dem relevanten und dem nicht wichtigen Wissen und Nichtwissen ausgedeutet wird, an denen Wissen gespeichert, geordnet, bewahrt oder auch abgelegt wird.

Eine Kritik an uns alle, die wir Hochschulreformer*innen waren und sind: viel mehr als um Wissens- und Wissenschaftssysteme ging es uns immer um das Hochschulsystem. Dieses ist ein gesellschaftliches Macht- und Statusverteilungssystem, sozusagen die Feinsteuerung für die, denen das Bildungssystem einen gewissen Aufstieg ermöglicht hat. (einen „gewissen“, denn Aufstieg durch Bildung insgesamt hat sich als Trugschluss erwiesen…Statuszuweisung bewirkt weniger als Wissen: das wäre ein wichtiges Thema).

Deutlich wird der Systemwandel nicht nur an der Verschiebung von Wissen zur Kompetenz. Deutlich wird er an einem ständig härteren Druck auf die Universitäten, anwendbares Wissen & Fertigkeiten & kommunikative Eigenschaften in Tätigkeiten einzubringen, die oft nur mehr am Rande etwas mit den früheren Berufen zu haben – oder gerade erst recht diese Form beibehalten. Über das Verhältnis von Wissen zu Tätigkeit und von Tätigkeit zu Beruf ist die Bildungspolitik längst hinweggeschritten oder noch nicht dort angekommen. Die Diskussion um die Berufsvorbereitungsfunktion der Universitäten (§ 2 des alten Hochschulrahmengesetzes) wurde vorschnell abgebrochen.

Ich habe die Universitätspolitik resigniert verlassen, weil die Marginalisierung der Institution, ihre Entpolitisierung und ihre mangelnde Bedeutung für die Wissensgesellschaft mich ermüdet, ja frustriert hatte.

Studiert man an der Universität, um zu überleben, genauer: um das Überleben der Gattung und der zivilisierten Beziehung von Mensch und Natur zu lernen? Kann man das lernen?

Man kann, und das heißt Politik machen, um das Wissen richtig einzusetzen, um das richtige Wissen –  d.i. ist immer kritisch, dazu hier kein Exkurs, – und das bedeutet, den Kreislauf des gefährlichen Wissens zu unterbrechen. Mit den studentischen Forderungen nach Verstärkung ihrer Privilegien geht das nicht[2]. Mit der Isolation des Professoriats vom Studium der ihnen anvertrauten Studierenden auch nicht[3]. Mit der Digitalisierung und Individualisierung des Studierens, wie es HRK-Präsident Alt vorschlägt, erst recht nicht.

Die Disziplinen brauchen die Universitäten immer weniger, und ihre Wissensverknüpfungen sind in dem noch immer herrschenden Organisations- und Strukturkonservatismus der Universitäten nicht mehr unterzubringen (was früher anders war). Das Wissen in und um die Universität konkurriert zunehmend mit dem Wissen außerhalb ihrer Sphäre und – kann vielleicht sogar die Spaltung in eine wissende Elite und eine abgehängte Bevölkerung reduzieren. Die wird mit Ergebnissen abgespeist, aber nicht mit dem Wissen. (das können ganz kluge, phantasiebegabte, denkwendige Menschen sein – wenn sie von den Tresoren des Wissens ferngehalten[2] werden, damit andere diese Zugänge behalten können, werden sie so behandelt als wären sie nichts als dummer Pöbel. Wen es trifft, dürfen Sie raten).

Und jetzt zu Finis terrae. Was muss man wissen, um dagegen anzuleben? Zunächst, dass das gefährliche Wissen Gegenstand der politischen Arbeit werden muss, um die Herrschaft der Herrschenden (und die Macht der Mächtigen)  über die Wissensgeneratoren ebenso in Frage zu stellen wie die Tatsache, dass nur kritisches Wissen diese Herrschaft in Frage stellen kann.

Warum wissen wir mehr über die Rückseite des Mondes als … (setzt doch selbst ein, worüber wir nichts oder zu wenig wissen)? Warum wissen wir nicht genug darüber, warum sich Menschen willig den Besitzern des gefährlichen Wissens überantworten, durch Wahlen, Loyalitätsübungen, Unterwerfung? Wir dürfen nicht immer erst lernen, was es zu wissen gilt, wenn es zu spät ist.

Dazu wird die Universität auch künftig gebraucht. Ohne sie wird Silicon Valley so austrocknen wie jeder Think Tank. Nur muss sich die Universität in den Konflikt über Aneignung und Verwertung von Wissen einschalten, politisch werden und eines herstellen: eine gescheite Gesellschaft. (Früher hieß das auch „Nachwuchs“). Die Antwort auf die Frage woher ich das weiß, woher wir wissen, was wir wissen, kann auch heißen: aus der Universität.

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Die dieses Impulses Diskussion war, ohne den Legitimationsdruck auf Politik einwirken zu müssen, aufschlussreich und entspannt. Ich nenne hier keine Namen, weil ich gar nicht erreichen konnte für diesen Blog, ist auch nicht so wichtig, solange die Themen brennen:

  1. Die Uni soll (weiterhin, verstärkt) Wissen generieren, Leadership entsteht durch Lehre aus Forschung. Dem kann ich hinzufügen, dass dann Lehre in den komplementären, beidseitigen Prozess des Studiums überführt werden sollte, und das Humboldtsche Missverständnis Lehre und Forschung ad acta gelegt werden kann.
  2. China ist der größte Produzent von neuem Wissen, hat aber keine demokratische Wissensgenerierung (haben wir eine?). KI + Digitalisierung konvergieren.
  3. Die neue U hat keine Fakultäten oder Studiengänge wie früher à neue Matrix setzt aber aktive Partizipation aller Beteiligten voraus, einschließlich der externen Akteure.
  4. In Deutschland werden seit mehr als zwei Jahrzehnten die Universitätshaushalte gekürzt zugunsten der außeruniversitären Forschung. Die Autonomie wird den Drittmittelmechanismen geopfert. Deshalb meine Forderung, dass jede einzelne Hochschule autonom als Akteur den anderen gegenübertreten soll, mit dem Risiko des Scheiterns.
  5. Die Geisteswissenschaften sind das Ergebnis dieser Kürzungspolitik und drohen zu verschwinden.
  6. Universität soll Wissen erzeugen und (sc. Drehung und Hebung bei Ernst Bloch). Unis sind in beiden überfordert und deshalb zunehmend defensiv.
  7. Ein Ziel ist Ent-Ranking und Entspezialisierung.

Ein Problem scheint mir zu sein, dass der staatliche operationale Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und die Hochschulgestaltung aufgrund der weitgehenden Steuerfinanzierung zu Unrecht und falsch legitimiert wird. Ein weiteres Problem bleibt, dass dem rechtswidrigen Numerus clausus eine unattraktive Studiensituation gegenübersteht, und dass die befristeten Verträge für Wissenschaftler*innen den professoralen zünftigen Positionen ebenso entgegenstehen – was demotiviert, die außeruniversitäre Forschung begünstigt, was wiederum die Universitäten schwächt.

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Warum mich das heute noch animiert?  weil man an anderen Hochschulsystemen durchaus lernen kann, wie man es besser macht, u.a. in England und Skandinavien. Wilhelm Humboldt wird vielleicht in dieser Hinsicht überschätzt (im Gegensatz zu Alexander).

[1] Erstmals ausgeführt in M.D. Der Verlust der Natur oder das Ende des gefährlichen Wissens in der Naturwissenschaft. In Daxner, Bloch, Schmidt (Hg.) Andere Ansichten der Natur, SZD 1981. Der Begriff erfuhr (leider) keine unmittelbare Konjunktur, verbreitete sich aber eher im Umfeld der Theoriearbeit nach Ernst Bloch. 1990 war seine Anwendung schon politischer und genauer geworden. Wobei sich meine Terminologie nur wenig ändern musste: häufig sollte statt Herrschaft Macht gesagt werden, und die Verfügung über die Blackbox der Wissensherstellung ist durch die Mächtigen zu wenig deutlich geworden. Aber bedenkt: 1981…

 

[2] Hier müsste dringend ein Seitenhieb auf Bibliometrie und die Zitierkartelle der reviewed papers eingebaut werden; auch die tragen zur Erosion der Universität bei.

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