Jüdischer Einspruch X: Nochmals linker Antisemitismus

Geschrieben vor Schließung der Wahllokale in Israel am 9.4.2019; bevor wir also wissen kann, ob Benjamin Netanjahu oder Benny Gantz die stärkste Fraktion führen werden, und bevor wir wissen welche Koalition ansteht.

Update 10.4.: es sieht so aus, als ob Netanjahu mit seinen rechten Koalitionären die Politik weiterhin bestimmen wird. Das ist ziemlich schrecklich, man kann eigentlich nur auf einen ISRAELISCHEN FRÜHLING hoffen, der demokratische säkulare und nicht nationalistisch gesinnte israelische Bürger_innen aller Ethnien zusammenschließt. Ich behaupte, dass eine solche Bewegung durchaus wahrscheinlicher ist als in nicht demokratischen Staaten der Umgebung,und vielleicht sogar erfolgreicher werden kann. Allerdings stelle ich auch fest, dass Netanjahus und seiner Verbündeten Wahlsieg nicht zuletzt das Resultat von sozial „Abgehängten“ ist, deren Zurückschlagen aufgrund ethnischer und kultureller Differenzen vorhersehbar war (Großer Unterschied zu unseren „deutschen“ Populistenund Identitären).

Bevor ich das Wahlergebnis, wenn überhaupt, kommentiere. Ich bin in letzter Zeit in heftiger Kontroverse mit einigen Parteikollegen, nicht -freunden, über den linken Antisemitismus (den es angeblich nicht gibt, und der in der Israelkritik der Linken nicht vorhanden sei). Eigentlich lohnt es nicht, gerade heute darauf einzugehen, aber mich regt diese Sturheit der Geschichtsverbiegung schon auf. Ich habe im Jüdischen Einspruch mehrfach darauf hingewiesen. Muss also hier nichts wiederholen – einfach zurückblättern im Blog.

Nun will Netanjahu die Siedlungen auf der Westbank dem Staatsgebiet Israels eingliedern, ermutigt durch Trumps Anerkennung des Golan als solches. Das ist natürlich nicht richtig. ABER: genau das hatte ich seit Jahren vorhergesagt, nicht wegen der Koalition von Likud mit rechtsnationalen und ultra-orthodoxen Parteien (Gott hat da aber auch gar nichts verloren), sondern wegen der logischen Weiterentwicklung eines Staatskonzepts, das gar nicht anders kann als die Bedrohung von Außen (also die meisten arabischen Länder und einen palästinensischen Staat) in eine palästinensische Bedrohung von Innen zu verwandeln, wenn man dafür einigermaßen Ruhe mit den arabischen oder islamischen Nachbarn hat (Kommt darauf an, auf welche Interpretation man sich einlässt). Dass es die Westbank gibt, dass es den Gazastreifen gibt, dass die Konflikte so sind, wie sie sind und nicht anders, liegt in der Vergangenheit insofern, als man das Jahr 1947 nicht genutzt hat, die Kolonialgeschichte der ganzen Region (Osmanisches Reich, England, Frankreich) ganz aufzuheben und die Region mit einem Staat Israel neu zu ordnen. Dazu ist es bald zu spät gewesen. Die dauernden Legenden über die Schuld von Zionisten, religiösen wie säkularen, über die Schuld (an) der Nakba, am Islamismus usw. sind ebenso verkürzt wie eine Neubewertung der Rolle der USA  bei der Gründung des Staates Israel und später bei der einseitig taktischen Unterstützung des Staates im internationalen Geflecht, wie später auch die sowjetische und ganz anders die autokratische Rolle von Putin-Russland die Akzente verschoben haben.

Der Umweg des linken Antisemitismus, der ja ganz massiv auf die Verbindung von Judentum und Kapital(ismus) und auf die Konfrontation mit einer (angeblich nicht kapitalistischen, sondern ???) Umgebung von Israel aufbaut, erfolgt über das Völkerrecht oder über eine Umkehrung von Beweislasten durch eine Parteinahme für „die Palästinenser“, die weder humanitär noch demokratisch, sondern ethnopolitisch – und anti-israelisch ist. Die Wurzeln dieses Amalgams aus Antisemitismen sind vielfältig und können hier nicht ausgebreitet werden. Was die Ressentiments anheizt ist, dass nun Netanjahu wahrlich weder besonders demokratisch noch besonders friedensfreundlich noch besonders rechtstreu ist – er ist ein Reaktionär, der sich einer seltsamen Mischung von Nationalisten, oft faschistoiden, und religiösen Sektierern bedient, was aber im Rechtsstaat Israel bislang noch, mit einigen Schrammen, eingehegt werden konnte. Trumps Sprengung von Schutzräumen dieser Demokratie und die Unterstützung von arabischen Ländern für Netanjahu im Kampf gegen den Iran sind da viel bedrohlicher.

Was linke Argumente betrifft, so ist die Hamas kein legitimer Gegner Israels, so sind die staatlichen Sicherheitsbedürfnisse Israels nicht schlechter als die anderer souveräner Staaten, so sind die Araber nicht die prädestinierten „ewigen“ Verlierer eines epochalen Zweikampfs.  Dass Israel heute sehr vielweiter rechts steht (innenpolitisch) als in den 50er-80er Jahren, hat ganz andere Gründe als die gegenwärtige Konstellation, die die Folge von massiven Verschiebungen in der Position dieses Staates sind. (Ich kann nur darauf verweisen, wie hellsichtig Tony Judt das schon sehr früh gesehen hat, und wenn man sich die religiöse Landschaft ansieht, dann muss man wohl Jeshajahu Leibovitz lesen (schon 1953), bevor man sich zu Recht auf Amos Oz „Judas“ (2014)einlässt, um dann zu seinen früheren  Werken des Friedens zurückzukehren). Dass es einen jüdischen Staat gibt, ist auch eine Folge von Antisemitismus seit 1700 Jahren, nicht nur eine Folge der Shoah; und dass der Zionismus, des stalinistischen Ostblocks liebster Feind, nur eine Variante genau des Antisemitismus ist, der im christlichen und faschistischen Westen auch als Kapitalismus daher kam in Verbindung mit dem Christusmord und der unsympathischen Einwanderung, das  liegt ja tausendfach belegt vor. 1947 war ein Glück, und hätte eins für alle werden können, auch für alle Araber in der Region. Die Konstruktion des Palästinensischen Volkes wird demgegenüber überhaupt nicht dekonstruiert, d.h. man meint zu wissen, was und wer die Juden sind, aber man ist ziemlich unklar darüber, was und wer die Palästinenser sind. (Das gilt nicht für interne Analysen, die eine bestimmte ableitbare Definition vorgeben, sondern für die Verallgemeinerung des Begriffs im politischen Alltagsdiskurs, und da changieren die P. sehr viel mehr als jüdische Israelis bei der Hauptvariable: Muslime, Araber, eine eigene Ethnie, territorialdefiniert oder Teil eines größeren Zusammenhangs…). Jüdische Israelis werden oft entweder durch die Religionszugehörigkeit oder durch ethnische Ableitung (jüdische Mutter) definiert, und z.B. Binnendifferenzierung entlang von religiösen Praktiken oder aber der wichtigen Trennung ashkenasischer versus sephardischer Herkunft).

Was hat das mit meinem Aspekt des linken Antisemitismus zu tun? und was mit der Trivialität, dass jüdische Menschen wie alle anderen auch Populisten, Faschisten und politische Idioten sein können, und die jüdische Geschichte keine Immuntherapie gegen all das war. NUR: Israel ist weder ein faschistischer noch ein imperialistischer noch ein populistischer Staat, noch ist die israelische Gesellschaft durchweg populistisch. Und indem dies übersehen wird, nutzen die linken Antisemiten, unter dem Deckmantel der Solidarität mit den Palästinensern, die Israelkritik als ihre Argumentationsbasis.

Dass die dauernde Ablehnung durch die Umgebung, die  dauernden Angriffe auf israelisches Territorium, die dauernde Isolierung des Staates im internationalen Kontext den sozialen und den kulturellen Kontext verdecken, macht die Sache nicht leichter. Aber man könnte sich die Mühe machen, das einmal differenziert aufzublättern, das würde übrigens den Palästinensern mehr als gute Worte helfen, ihnen, die ja so wenig alle Hamas sind wie die Israelis Anhänger der gewaltsamen Ultrareligiösen. Dass das Land innenpolitisch nicht mehr „links“ ist, mag man bedauern – ich bedaure es – aber es im sozialen Durchschnitt nicht markant „rechter“ als viele EU Staaten. Nur hat das alles im regionalen Kontext sehr viel mehr Brisanz als zwischen Wien und München und Budapest.

Am 30.11.2018 habe ich einen Blog gepostet: Jüdischer Einspruch VI: zur Kritik muss man nicht Antisemit sein, zur Migration kein Nationalist. Er fand damals viel Zuspruch, aber die Kontroverse, unter ich durchaus leide, weil sie untergriffig ist, ist damit nicht erledigt. Der Augenschein, ausgelöst u.a. durch Trump, durch die amerikanische rechte Israel-Lobby (im Gegensatz zu anderen) und die Iran-Kontroverse sind eine Sache. Die andere Sache aber ist, dass eine unterschwellig antisemitische Kritik an Israel ja den Palästinensern, die nun wahrlich bedürftig der Solidarität sind, nicht hilft.

Ich wiederhole hier keine Literaturempfehlungen mehr, die warne schon das letzte Mal gut. Ich füge zwei hinzu: Thomas Assheuer: Sie können es einfach nicht lassen. ZEIT #12, 14.3.2019; Und die Chimäre des jüdischen Bolschewismus verbunden mit dem Kapitalismus: Christopher R. Browning: The Fake Threat of Jewish Communism NYRB  21.2.2019, (Rezension von Hanebrink „A Specter Haunting Europe – The Myth of Judeo-Bolshevism“. Harvard). Dass dieser Mythos die Shoah überlebt hat, ist eines der Probleme, mit dem linker Antisemitismus bis heute zu kämpfen hat). Update 10.4. II: Und generell eine Beobachtung, die mich sehr beunruhigt. Viele linke „Freunde“ der Palästinenser beteiligen sich an einem politisch und moralisch gerahmten „Boycott“ von Israel unter der Flagge BDS. Divest and Sanctions Movement. Dazu sollte man eine wichtige Stimme aus den  USA lesen: Deborah Lipstadt (die die Holocaust-Leugner folgreich bei Gericht bekämpft hat): Der neue Antisemitismus, Berlin Verlag 2019, v.a. ab Seite 189 bis zum  Ende. Nun, die USA sinnd nicht deutschland, und die akademische Meinungsfreiheit ist bei uns (noch) weniger in  Korsette gepresst als in Amerika, aber die Analogien und der Verweis auf linke Antisemitismen im Rahmen dieser Israelkritik ist notwendig. Ich weiß, jetzt kommen wieder die einseitgen Vorwürfe, gegenüber Israel weniger strenge Maßstäbe anzulegen als gegenüber den …ja, wem gegenüber? das ist und bleibt ein Problem, dass man mit den Feinden Israels so leicht Positionen changieren kann, und natürlich recht hat, wenn man den angeblichen Freund Trump immer ins Treffen führt. Aber der hat ja mit dem Problem weniger zu tun als die wirklich im Nahen Osten Beteiligten (ohne Trump wäre Frieden eher möglich,aber noch nicht automatisch auf der richtigen Spur. Da sind die Netanjahus, Bennetts, Shakeds etc. vor – und Hams, Fatah, und wie sie alle heißen: Bitte beantwortet: welche Maßstäbe legen an wen an?)

Jüdische Menschen dürfen offenbar vieles sein, nur nicht normal. Und zur Normalität gehört, dass sie auch nicht so sein müssen, wie sich viele die Überlebenden und die, die von der Shoah nicht betroffen waren, wünschen. Es sagt mehr über die Antisemiten als über die jüdischen Menschen. (Wenn sie rechts,  nationalistisch, faschistisch, enghirnig sind, muss man sie bekämpfen wie alle andern, die diese Merkmale tragen, aber doch nicht, weil sie jüdisch sind und das deshalb nicht dürfen).

 

 

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