Die Debatte kocht hoch: wer verwendet welche Worte und Begriffe? Heizen sie den Hass, die Verachtung, die Absenkung des Kulturniveaus an – oder sind sie notwendig, um sich Gehör zu verschaffen, um zu provozieren, oder, wie ich manchmal finde, einfach um die Wahrheit wahrhaftig auszudrücken? Manchmal, nicht immer.
Was nützt es, Trump als sexistischen, rassistischen, halbirren Verbrecher zu bezeichnen? Ja, der Kontext, rufen jetzt die (Halb)gebildeten; aber der Nutzen einer sprachlichen Wendung ist nicht nur kontextabhängig, er schafft auch Kontext.
Warum bezieht man alle halbirren, sexistischen, kriminellen, mafiösen, … Politiker nicht ständig mit ein, nur um nicht einseitig zu erscheinen? Aber müssen wir nicht so parteilich sein, dass wir uns immer denen am ehesten zuwenden, die mit uns am meisten zu tun haben?
Das Problem ist, dass es Kontexte zwar „gibt“, dass sie aber im Diskurs ständig und neu organisiert, gruppiert und konstruiert werden.
Beispiel aus gegebenem Anlass: es gibt eine Kontroverse um die Grenzen der Toleranz gegenüber dem Islamismus. Dabei spielt eine Rolle, den Islam gegenüber dem Islamismus abzugrenzen und die Grenze haltbar zu definieren. Was einfacher ist, wenn es nur um den Islam geht, aber fast unmöglich, wenn es um Religion geht (Christianismus für extreme Strömungen existiert als Begriff nicht, Judaismus bedeutet etwas anderes, und der Kontext aus dem heraus der Islam angegriffen wird, heisst christlich-jüdisch, selten umgekehrt.
Alice Schwarzer, die ich aus verschiedenen Zusammenhängen eher nicht mag, argumentiert zu den Grenzen der Toleranz gegenüber dem Islamismus mit guten Argumenten, geht aber a) auf die Grenzlinie nicht ein, obwohl sie sie fordert, und b) hinterfragt sie nicht die Toleranz als untaugliches Konstrukt für angemessene Kommunikation (weil geforderte Toleranz ja ein Kontext der Macht ist). („Im Namen einer falschen Toleranz“, ZEIT 31/2019, S. 35): ihre Argumente und die Interpretation ihrer Beobachtungen sind aber zutreffend.
Unternehmen haben mittlerweile gelernt, Produzenten ihrer Märkte auszugrenzen oder gar zum Regress zu zwingen, wenn deren Wahrnehmung dem Stammhaus schadet: noch mehr Einschüchterung geht nicht, fernab jeder nachweisbaren Zensur. Und allenthalben, nicht nur in den seriösen Medien und ausführlich, wird die politische und moralische Korrektheit der Begriffsbildung, des noch-sagen-Dürfens und nicht-sagen-Könnens selbst thematisiert – was bei schwächeren Gemütern Angst erzeugt, und bei anderen Vorsicht an genau der falschen Stelle: wo nämlich Vorsicht nicht Risikoabschätzung, sondern Gefahren-Imagination ist.
Wenn ich also verbal „draufhaue“, muss das schon mehr Gründe als spontane Erregung oder Zorn oder Abwehr haben. Und das Ziel ist entweder eine entlarvende Reaktion oder das Setting für eine Auseinandersetzung, das Problem wird zum Konflikt, und bevor der geregelt werden kann, muss man sich darüber im Klaren sein, wer welche Position darin hat…Schimpfen um sich abzureagieren gilt nicht, obwohl…
Meine Faustregel ist, umso schärfer die Worte zu wählen, je relevanter der Kontext für mich/uns ist, in dem wir dem Attackierten oder der Situation gegenüberstehen. Und auch über die Relevanz sollte man streiten können.
Zurück zu Trump, dem Sexisten, Rassisten, Kriegshetzer, Halbirren. Er ist nicht die Inkarnation „des Bösen“, sondern dessen apokalyptischer Reiter: der Bote dafür, dass man sich nicht auf die Nachhaltigkeit der Demokratie und des republikanischen Selbstbewusstseins verlassen kann. Den Obersten Gerichtshof mit einem oder zwei Marionetten auffüllen, ein paar inszenierte Townhall-Meetings zum Kochen bringen, sich demonstrativ in der Kloake der Begrifflichkeit suhlen – und immer noch POTUS (The President oft he United States)? Den Begriff Verbrecher brauche ich nicht bei Diktatoren, die diese Kennzeichnung schon internalisiert repräsentieren und „mehr“ sind in einem gewissen Sinn, der in den USA noch nicht so weit ist: der Verbrecher Trump versucht mit Macht und einer seltsamen Missachtung aus legitimer und illegitimer Herrschaftsattitüde diese demokratische Republik zu transformieren. (Teile der Methode konnte man an Erdögan studieren, aber nicht an Putin oder Xi). Trump hat es einfacher als Diktatoren, die den Dreisprung nicht gestalten können: Angreifen und Regeln verletzen, Nachhaken, und den Spieß umdrehen, d.h. die Kritiker genau mit ihren Kritikpunkten selbst isolieren (Vgl. Martin Ganslmeyer, SZ 29.7.2019). Die etablierten Diktatoren können Tabus außer Kraft setzen, müssen sie nicht brechen, und haben eine exekutive Justiz zur Verfügung, die alles Unrecht absegnet. Das ist in den USA noch nicht so, und das Land ist wenigstens gespalten und nicht einseitig formiert.
Uns bleiben, erfreulicherweise, oft nur die Worte.
Mein Dilemma ist aber oft ein unerwartet anderes: manches sage ich „als“ Wissenschaftler, z.B. wenn es um die Ergebnisse von Konfliktanalyse geht, und dann ist die Wahlfreiheit der Begriffe eingeschränkt, denn auf bestimmte Sachverhalte muss ich den sachgemäßen, d.h. kontextgemäßen Begriff anwenden – z.B. Verbrecher, wenn es denn sein soll. „Als“ kritischer Bürger, von Beobachtungen ausgehend, würde ich eher statt des Begriffs ein Schimpfwort – oder eine ad hoc Analyse „in einfacher Sprache“ wählen, um mich mit jemandem über den gleichen Sachverhalt auseinanderzusetzen, und wenn der Sachverhalt selbst in die Ambiguität läuft, wird es schwierig: wenn z.B. Jemand einer verfolgten Minderheit angehört und etwas nicht hinnehmbares tut, dann ist die Frage nicht, wie sieht dieser Widerspruch aus, sondern wie wird er kommuniziert. (Das gestrige Beispiel des Jungen am Frankfurter Hbf ist ein Beispiel dafür). Und hier wird eine Verzögerung der Meinungskundgebung, also der Öffentlichkeit nötig, weil sie mit einer Aussage auch den Kontext erklären muss, aus dem heraus sie getroffen wird. Was geht mich eine Sache an? Wen geht es an, was ich dazu sage?
Das Klingt nach Didaktik und ist es nicht. Damit kann ich niemanden erziehen oder sein Verhalten ändern, meine Absicht ist eine andere: naheliegende diskursive Praktiken und Kommunikationsübungen in die Erinnerung zu rufen, die da nicht sagt: früher war alles besser. War es nicht, heute aber ist einiges anders. Und die neuen Medien, die neuen Geschwindigkeiten und die Aufnahmefähigkeit eines Gegenüber brauchen neben Zivilcourage auch eine standhafte Verwendung der eigenen Sprache.
Trump ist ein Verbrecher. Darüber können wir sprechen, wenn wir etwas zu sagen haben.