Was sind Menschenfeinde? Menschen, denen andere Menschen nichts gelten. Es gibt sie in mehreren politischen Gewichtsklassen: Superschwergewichte sind z.B. Trump und Putin und Xi Ping, Mittelgewicht Erdögan, Modi oder Bolsonaro, weltergewichtig präsentieren sich die Orbans, Salvinis und Seehofers, und im Fliegengewicht tummeln sich alle die Gefolgschaften, die ja die eigentlichen Wähler, Antreiber, und sonstiges Potenzial der genannten Menschenfeinde sind, eine Bevölkerung aus „Edeldomestiken“, wie es im Radsport heißt.
Man sagt, es sei wichtig, den Menschenfeinden nicht mit ihren Methoden zu begegnen. Das kommt darauf an: oft ist ein deutliches Wort, das auch beleidigt oder einen irreversiblen Tatbestand bezeichnet (Nazi, Mörder, Verbrecher, Rassist etc.), notwendig. Und zwar nicht deshalb, weil auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, sondern weil diese Bezeichnungen Wahrheiten ausdrücken, die in der nach Redesekunden abgewogenen Talkshow nicht vorkommen; oft kann man sich solche Wahrheiten auch sparen, weil die so bezeichneten nicht in der Lage sind, das zu begreifen – Dummheit oder Verblendung immer einkalkulieren! – oder weil sie immun sind, das ist häufiger der Fall.
Damit renne ich gemeinplätzliche Türen ein; vielleicht auch damit, dass wir in unterschiedlichem Maß selbst menschenfeindliche Anteile, Einschlüsse, Metastasen und Verführungen erfahren, die uns nicht über, sondern gegen die Menschenfeinde positionieren und uns schwächen. Eine solche Fastenpredigt braucht ihr, meine LeserInnen, nicht. Ich will auf etwas anderes heraus:
Die Menschenfeinde der verschiedenen Klassen um uns beeinflussen ja die Politik – im Umfeld, in der Stadt, im Land. Und die Frage, wie mit ihnen umzugehen ist, hat schon etwas mit den verschiedenen Gewichtsklassen zu tun. Treffen kann man sie alle, und jeweils über ihre Gefolgschaften. Ich verwende diesen Begriff aus der Nazizeit, weil er die passive Unterstützung größerer Menschenmengen für eine autoritäre oder diktatorische Führung verdeutlicht; das Führerwirfolgendir ist ja nicht tot. Und wenn man dem Führer die Gefolgschaft abgräbt, dann kann er schwanken (oder schon so mächtig sein, dass er sich von der eigenen Gefolgschaft abstößt. Das hatten wir auch schon). Oben sagte ich, wie ambivalent der Gebrauch bestimmter Begriffe ist. Man kann in einzelnen Fällen auch die Methode von des Kaisers neuen Kleidern anwenden: den Gefolgschaften ihre Nacktheit vor Augen führen (das hat meines Wissens schon einige der ursprünglichen AfDler zur Einsicht gebracht, nicht bei diesem Nazihaufen bleiben zu wollen). Das geht nie ohne Risiko. Der Politik von Fakenews können ambige Wahrheiten entgegen gesetzt werden, d.h. Wahrheiten, die nicht nur auf einer Plattform von Wahrnehmung und Nachdenken aufbauen, sondern mehreren Wirklichkeiten zugehören: (Ich will da nicht in die Systemtheorie abschweifen, aber die Wahrheiten in unterschiedlichen Systemen sind ja auch nicht deckungsgleich – nur, sie sind nie „alternative Wahrheiten“, die die Diktatur so gerne sagt).
Es ist dies eine Übung. Eine, Übung, die Öffentlichkeit und die Sprechfähigkeit gegenüber den dominanten Zerstörern von Kultur und Kommunikation wieder zu gewinnen. Wir haben beides (ziemlich massiv, nicht nur marginal) verloren in der falschen Erwartung, das dauernde Hinhalten der zweiten Backe würde die Menschenfeinde beruhigen. Schon in der politischen Soziologie ist die sog. Mässigungstheorie ziemlich wertlos. (Dazu schon früher: finis terrae XVII u.a.). Aber allmählich wird es eng.
Also muss man sagen: Seehofer schiebt aus Menschenfeindlichkeit nach Afghanistan ab. Es gibt andere Länder, da haben die Abschiebungen politischen Fehlcharakter. Aber nach Afghanistan sind sie potenzielle Tötungsaktionen, die nur mit Menschenfeindlichkeit (oder mit Demenz) erklärt werden können. Dass dieser Menschenfeind darauf nicht reagiert, muss uns nicht stören; wir müssen uns hier gegen ihn positionieren. Wenn man sich die Attentate und Todesstatistiken von Afghanistan anschaut, dann darf man auch dem Innenminister entgegenhalten, dass wir die Wahrheit auf unserer Seite haben (was immer gegen Menschenfeindlichkeit hilft.
In der obersten politischen Gewichtsklasse hat das Sagen allein weniger Wirkung. Auch das muss uns klar sein, und kurz darunter – Modi im Kaschmirkonflikt – wird sich auch nicht beeindrucken lassen. Trump aber erfährt bereits einen Widerstand, den er nach mehreren Massakern meinte, wie früher wegwischen zu können. Und hier ist Deutschland nicht so schwach, dass es gar nicht agieren kann. Im Indischen Fall aber, wo es auch um die Anmaßung einer Religion gegen die andere (Hindu gegen Islam) geht, müssen wir in den Religionsdiskursen lernen, wie ambig Toleranz und Glaubensfreiheit in der Politik sind: auch hier bleibt es nicht bei einer Wahrheit. Das Risiko, von den Amerikanern eine geschmiert zu bekommen, ist größer als eine aus Indien hineingewürgt zu erhalten. Aber an beiden kann man die Politik aus ihrer Schweigeminute heraushalten, weil es bei den Anschlägen in Texas und Ohio um erkannte Ursachen geht (Führer UND Gefolgschaft) und in Kaschmir eben um den Nationalismus, der ja bei uns auch meint, Freiheiten beanspruchen zu dürfen.
Menschenfeinde sind auch nur Menschen.