Vorschau des Bösen?

Als hätte alles Übel mit der Tat angefangen; mit einer von vielen.

Als hätte der Nationalsozialismus im Januar 1933 begonnen.

Als wäre die Pest beim ersten Toten ausgebrochen.

Als wäre die AfD aus dem Nichts entstanden.

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So, wie es ein „antizipierendes Bewusstsein“ (Ernst Bloch) gibt, so gibt es auch vorbereitende Praktiken, die von einem Bewusstsein eingeholt werden, das erste seine Begriffe formulieren muss.

Es war die Praxis des Verfassungsschutzes (auch teilweise seines damaligen Chefs Maassen), die den NSU geschützt hatte; ich bezeichne sie als Vorfeld-Organisation der Rechten.

Dazu aber bedurfte es der Mitarbeiter, V-Leute, Schreibtischtäter, die wiederum in langen Traditionen furchtbarer Juristen, Legenden und Ermutigungen durch die randständigen Extremen standen, einschließlich der autoritären Erziehung, die keineswegs nur ein deutsches Erbe ist.

Das alles entlastet keine Person und keine Institution, es erklärt sie.

Nehmen wir das Beispiel des fremden Blindgängers Seehofer. Jahrelang hat er ein Feuer geschürt, an dem er sich jetzt nicht mehr wärmen möchte, aus Todesangst vielleicht, oder weil er sich als Hexenmeister außerstande sieht, die Zauberlehrlinge noch einzufangen. Nun ja, er war und ist nicht allein. Glaubwürdigkeit entsteht zwar aus Praxis, aber selten spontan.

(Ich sage jetzt selbst polemisch und ungerecht: das Zeitalter der Globkes ist keineswegs ganz vorbei, aber es gibt auch Gegenbewegungen, etwa die Zeiten von Heinemann, Brandt und …mir fallen da noch welche ein, aber strengt euch selbst an, Vorbilder und Widerständigkeit gegen totalitäres Denken und Handeln zu benennen).

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Das Unverständnis darüber, wie ein politisches Unglück zustande kommt, ist fast so schlimm wie das Unglück selbst. Falsche Bildung, könnte man sagen; falscher Lebensstil; falsche Umstände … naja, wie haben wir es denn bis jetzt bis dahin daher gebracht? Das wäre zu einfach. Die Macht der anderen, das ist schon richtiger. Auch die Unsicherheit über die eigene Macht, die Widerständigkeit, die Immunisierung gegen die Blödheit. Aber immer lese ich auch über das Unverhältnis der Forderung nach Freiheit für alle und die Auswirkungen der Freiheit auf einzelne, bzw. einen selbst, und dann sollen die andern plötzlich nicht mehr frei sein.

Angeregt werden diese Gedanken durch die verlogene, nur scheinbare Streitsituation um die Grundrente zwischen CDU und SPD. Es geht gar nicht um die Vermögensprüfung für die besser gestellten Kleinstrentner, es geht auch nicht um die lebenslang geleistete Arbeit. Es geht darum, dass durch das gesamte Arbeitsleben die Sozialabgaben für die spätere Alterssicherung immer zu selektiv und zu niedrig waren und sind, und man überhaupt nachbessern muss (ob man will oder nicht). Das privilegierte Gesindel, zu dem leider ich auch statistisch gehöre, profitiert von diesem Zustand, Beamte, Selbstständige, Unternehmer. Und die relativ Armen begehren nicht auf und die relativ Reichen sprühen vor Gerechtigkeitsfloskeln und dann wundert man sich, wenn endlich an die Oberfläche tritt, was lange sich vorbereitet hat.

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Der Diskurs der Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist etwas anderes als ungerechte, ungleiche Lebensverhältnisse. Aber er heizt an, was diese lange zurückhalten können. Zusammengehalten wird das durch einen zähen, unappetitlichen Kleister aus Treue zur Vergangenheit und Flucht vor der Gegenwart.

Das wird mir so deutlich, wenn es um die PrimärSekundärTertiärQuartär Analyse geht, warum die Ostdeutschen angeblich noch unzufriedener, noch abgehängter, noch unfreier bis heute sind als die ehemaligen Westdeutschen. Mehr Freiheit, sich darüber öffentlich auszutauschen hatten wir im Westen schon, aber wir sind zu spät draufgekommen, dass das nur ein Teil der Freiheit war, den die andern später erfahren sollten. Ich habe zwei Tage in verschiedenen Tagungen zu 1989  verbracht, und genau dies bestätigt gefunden. Es bleibt dabei, die Freiheit kann dir niemand bringen, du musst sie dir nehmen, und das geht meist nicht ohne Konflikt, meist nicht ohne Gewalt, und meist nicht ohne sich selbst etwas zu verändern ab.

(Als wir, keineswegs ich allein, 1989 den Nationalismus als notwendig und unerfreulich in Osteuropa vorhergesagt hatten, weil das kommunistische System, selbst auch nationalistisch, das Gegenteil als Glaubensbekenntnis verbreitet hatte, wurden wir ausgelacht, weil man meinte, das Geld und der Markt aus dem Westen würden den Menschen schon ihre Ideologien austreiben. Dann kam der Nationalismus, und hierzulande kam das Wort „Undankbar“ zu oft aus den Gesprächen hervor, bis man sich selbst im gleichen Fahrwasser entdeckte und leider nicht verstummte). Verstehen heißt nicht verzeihen, das macht den Nationalismus so wenig erträglich wie die Herablassung, aber hinterher wird man klüger sein).

 

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