Advenzkranzkerzenreiz

…Also rief in langen Nächten

einst die Welt, ein weites Grab.

(Aus einem Kirchenlied)

Ich möchte den Religionsgemeinschaften fluchen, die in einer Gesellschaft das Sagen haben. Sie sind menschenfeindlich schon aus ihrer Struktur. Die Hindus in Indien sind eine barbarische Gewalt der v.a. muslimfeindlichen Anmaßung. Die Buddhisten in Myanmar genauso. Die Muslime in der Türkei oder im Iran verfolgen die Christen. Die Christen sind islamophob und in weiten Teilen antisemitisch.

Gegeneinwände?

Es sei nicht die Religion, sondern ihre Integration in ein gewaltsames System.

Es sei nicht die Intention, andere zu verfolgen.

Die Religion muss sich gegenüber anderen Religionen behaupten.

Es gibt ja auch immer Gegenbewegungen und Befreiungstheologie.

Aber das ist ja alles Unsinn, denn diese Stufe voraufgeklärter Zivilisation sollten wir stark hinter uns haben. Haben wir aber nicht, da gibt es den polnischen Klerus, die jüdischen Ultras, die Muslimbrüder und anderes Gesocks, die die Menschen nicht frei sein lassen wollen.

Nun könnte man, könnte ich in die säkulare, anti- religiöse Haltung vieler aus dem 18. Und 19. zurückfallen. Die hatte den Vorteil fast unbedingter Klarheit. Sie führte aber auch, wie man am Kommunismus und anderen autoritären Systemen sieht, zur spiegelbildlichen Vergesellschaftung ebendieser Haltung. Eben darin liegt ein Problem. Haltung ist nicht schon Habitus, und der Habitus trägt die Schlacken und Stabilisatoren früherer Ordnungssysteme in sich, also auch,  auch!, religiöser.

Religion ist ein soziales Ordnungselement, das mit anderen, Familie,  Militär, Finanzamt, Schule….konkurriert und kommuniziert.  Religion ist nicht „das Andere“, das geschützt werden muss. Weil aber fast alle Religion mit dem Glauben an Gott verwechseln (wollen, müssen), ist der Religion im Alltag schwer beizukommen.

(Liebe LeserInnen, ich  weiß schon, dass und wie die Religionswissenschaft, die kritische zumal, diese einfache Gedanken  zerlegt und differenziert aufgreift. Die Bücher stehen in Sichtweite, aber ein wenig ärgern sie mich, weil ihre Argumente erst greifen können, wenn die Einfachheit der Grundlagen zu einem durchgedrungen ist).

Religion hat fast immer mit Gott zu tun (wie wenig, sieht man an Scientology: die Freiheit der Religion ist immer ein Mittel zur Machterhaltung). Nebbich. Missionierung und Bekehrung unterscheiden in der Praxis die Inquisition von der Nazidiktatur, vom Stalinismus, von der Islamistischen Mission kaum.

Man kann Menschen mit vorgehaltener AK 47 zum Glauben zwingen. Sagt man. Und daraus alles ableiten, was eine Diktatur ausmacht.

*

Der Anlass zu dieser grolligen Predigt ist ein Interview mit einer hochgefeierten indischen Pop-Sängerin, die die Vernichtung der Muslime als Programm in ihren Beat umsetzt und die Charts bereichert. Der Anlass ist auch die jüngste Anschmiegung unserer Regierung an Saudi-Arabien, trotz Kashoggi-Mord (war ja nur ein Zeichen), weil man sich mit dieser Ökonomie noch etwas erhofft (lest bitte Finis terrae: die meisten Ergebnisse dieser Politik wird niemand erleben, der heute noch auf der Erde wandelt, schlafwandelt). Anlass ist auch, nicht erst ganz aktuell, dass und wie die USA ihre Gesellschaft klerikalisieren, auch mithilfe der Evangelikalen.

Es ist wie ein Selbstgespräch, das mich zur politischen, zur kulturellen, zur sozialen Handlung motivieren soll angesichts einer Welt zunehmender Diktaturen und Gewaltherrschaft. Und dass das die Religionen und das lächerliche Bekenntnis zu ihnen nicht ausschließen darf, versteht sich.

*

Ich habe nicht nur den aktuellen Anlass. Ich überlege auch, warum wir – fast alle – den Kompromiss machen, aus einer nicht gläubigen Position heraus die religiösen Rituale und Traditionen selbst dort befolgen, sarkastisch oft, und den kleinen Gott des Einzelhandels zu ertragen, um die Versprechungen dieser Tradition nicht einfach zu blasphemisieren. Das mag die Erkenntnis sein, dass sich alte Mythen nur ersetzen, aber nicht ersatzlos abschaffen lassen; vielleicht – und das wäre schon blasphemisch – liegt es daran, dass bestimmte Traditionen, Kerzen z.B. oder Tannenzweige, „jenseits“ der Religion ihre eigene Ästhetik entfalten. Das hat etwas mit den Freiheiten einer Kultur zu tun, nicht mit dem Glauben. Aber da soll man auch nicht gespielten nüchternen Asketismus vorgeben, der sucht sich dann seine Kompensation in den SM Kellern der Zivilisation.

Zurück zum Thema. So  wichtig Religion bei uns war, und anderswo noch stärker ist: sie war und ist immer politisch und wird es bleiben. Das ist ihre Funktion: die Menschen über die Kämpfe dieser Welt hinwegzutragen: Klassen, Geschlechter, Geschmäcker, Lebenswelt halt. Hinwegzutragen zum Irrsinn der Jenseitshoffnung, weil diese den Herrschenden freiere Hand läßt. Damit sind Religionen im übrigen auch Antagonisten,  Gegner einer lebenspraktischen Erinnerung. (Und die Widerstände in den Religionen, Revolutionstheologie, Kirche von unten, etc. sind nichts anderes als auch die Wahrheit des Gedächtnisses gegen Dogma und Verkündigung zu stellen). 

Die Kunstfertigkeit der heimatlichen Weihnachtskrippen in Oberösterreich, wo ich aufgewachsen bin, kann ohne das Narrativ nicht erklärt werden, aber du musst der Geschichte nicht glauben, um die Darstellung schön und interessant oder eben nicht schön und interessant zu finden. Was da drin liegt, ist der Krippenbau, nicht die Idee der Erlösung.

Ähnlich geht’s mir in so genannten Gottesdiensten, in denen mich die Geschichte der festgelegten Wortfolgen und Körperbewegungen so fasziniert, dass ich dem Geratsche nicht inhaltlich folgen muss, obwohl ich den Eindruck habe, dass es nicht nur mir so geht.

Kein Wort über Glauben, bitte. Glaube ist unverfügbar, gehört jedem einzelnen Menschen und darf nicht ausgerichtet werden durch Eltern, Priester und Herrscher. Aber Glaube muss frei sein, und wer meint, er oder sie soll ihn an die Religion binden oder an die Partei, mags tun. Nur bitte nicht als Rechtfertigung für Folter, Gewalt, Ungleichheit und ein schweres Sterben. 

*

Ich gehe durch die Fußgängerzone und verfolge diesen Gedanken weiter. Verflucht, legt sich auf meine Lippen, und zugleich: wenns den Menschen dabei gut geht, ist das Teil des Lebens, der Immanenz, wie man sagt. Da brauchts kein Teleskop ins Jenseits.

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