Seehofers Kinder sind nicht dabei…wenn man Kinder aus Moria und anderen Flüchtlingsghettos rettet. Habecks Vorschlag, 4000 zu uns zu holen, ist richtig und praktikabel. Die eigentliche Frechheit des fremden Blindgängers Seehofers ist es, diesen Vorschlag als unredlich zu bezeichnen und jetzt plötzlich auf Europa zu verweisen. Dass sein Innenministerium eher eine recht feste rechte Burg ist, und nichts für andere Menschen tun möchte, kann man erklären, aber dass sich die Kanzlerin das gefallen lässt, ist nicht verständlich. Christlich sozial, mit neoliberaler Unterstützung von der FDP, gegen arme Kinder kämpfen, das ist so, wie Charles Dickens Bettler bezahlt hatte, die am Weihnachtsabend vor seiner Tür gejammert haben, das macht das wohlige gute Gewissen umso saftiger. Naja, Seehofer glaubt ja noch an ein ewiges Leben, und dann wird er vielleicht auf einer Insel ohne Nektar & Ambrosia verdämmern; zu gönnen wärs ihm.
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Weg vom erbärmlichen Innenminister und seiner Gefolgschaft im Ministerium und in den christlichen Parteien. Der Widerspruch ist so absurd, dass man ihn zerlegen muss, um zu begreifen, wie Unmenschlichkeit zur Politik wird. Gegenargument gegen Habeck ist nicht, dass wir uns 4000 Flüchtlingskinder nicht leisten können – eine lächerlich kleine Zahl angesichts der bedrohten Arbeitsplätze in manchen Branchen, angesichts von Arbeitskräftemangel in anderen etc. Das alles kostet auch Geld, und die wohlstandsverwahrloste Klasse des aufwärts immer, abwärts nimmer meint noch heute, dass wir die gesellschaftlichen Umbrüche ohne persönliche Reduzierung von Wohlstand und Annehmlichkeiten überbrücken können – ins Nichts oder einen Neuanfang (welch letzteren sich niemand auszumalen getraut außer einige Visionäre der Ökodiktatur als Überlebens-Minimum.
Wenn Habeck Recht hat, das hat er, dann müssen wir jetzt und schnell handeln und nicht das Schicksal der 4000 Kinder ver-handeln, bis das Problem oder die Kinder weg sind. Manche Bundesländer und Städte tun das schon, schließt euch an, spendet, betreut und – seht das mindestens so politisch wie moralisch.
Flüchtlinge nach ihrem ökonomischen Wert zu sortieren, ist gute liberale Tradition. Krankenpflegerinnen in Mexiko rekrutieren oder auf den Philippinen oder in Osteuropa, aber die bei uns wartenden Asylbewerber drangsalieren und oft abschieben, ist keine Frage von Recht und Menschenrechten allein, sondern eben eine der politischen Ökonomie einer Regierung, die nur mehr in Monaten rechnet, wenn es um ihr Überleben geht (das nachher in die üppige Pension von Lobbyisten übergehen wird – wetten, dass Olaf Scholz und Scheuer und Maas auch Beraterverträge dort bekommen, wo sie nun wirklich nichts verstehen). So, jetzt könnte ein Jahresendrundumschlag erfolgen. Erfolgt aber nicht. Es geht um Kinder. Genauer: meist um unbegleitete Kinder oder solche, die im Lager geboren sind oder auf der Flucht in diese christlich soziale Welt einsteigen mussten. Diese Kinder werden als Coupons im Casino der Unverbindlichkeiten ans Roulette geworfen, damit endlich Mitleid in Osteuropa einzieht. Die Polen wollen ja auch nicht, die Slowaken auch nicht, nicht einmal die Österreicher, nur wir, wir dummen draufzahlenden Deutschen, wir sollen wieder aus Mitleid (Empathie), nicht Sympathie (mit brauchbaren Arbeitskräften), nur wir sollen wieder gut sein. Das verdirbt den Charakter im restlichen Europa. Nein, das ist nicht Seehofer allein. Das sind Millionen Wählerinnen und Wähler, die diesen nationalistischen Festungskurs unterstützen, nicht nur bei den Nazis der AfD. Die illiberale Demokratie braucht ihre Plattformen im so genannten Volk. Und unsere Überheblichkeit und moralische Vorbildrolle macht es einem antideutschen Ressentiment leicht. Vergessen ist, dass wir von der Griechenlandkrise profitiert haben, nicht etwa uns verausgabt hätten; vergessen ist, dass wir zum Flüchtlingsstrom aus Afghanistan beigetragen haben durch Fehler in unserer Interventionspolitik; vergessen ist, dass viele Flüchtlinge aus Syrien kommen, weil wir dort nicht eingegriffen haben, als es noch möglich war; vergessen ist, dass wir Afrika erst entdeckt haben als klar wurde, dass es sich um viele arme Länder handelt, die Opfer auch unserer Wirtschaftspolitik sind, und nicht um ein Land namens „A.“. (Und dabei kommt mir in Erinnerung, seit wie vielen Jahrzehnten sich die Fluchtkrise vorbereitet hat, sowohl was das Klima als auch was die Kriege und Zukunftslosigkeit betrifft, und welche Rolle wir immer dabei gespielt hatten (nie die eine Hauptrolle, aber immer wichtig). Und deshalb wäre es für die Empathie mit den Flüchtlingen, hier konkret mit den Kindern, die man innerhalb von Tagen und Wochen rausholen könnte, anzuraten, sich diese Geschichte wieder zu vergegenwärtigen. Wir sind nicht die gutherzigen Aufnehmer, sondern wir halten uns mehr oder manchmal weniger an die Menschenrechtskonventionen und sonstigen zivilisierten Regeln, und zu Recht kritisieren wir die Länder, die das nicht tun, aber zu Unrecht sehen wir uns in der moralischen Vorhand.
Anhang: Habeks Vorschlag und die Reaktion darauf: 23.12.2019
Union lehnt Forderung nach Aufnahme von Flüchtlingskindern ab: Innenstaatssekretär Günter Krings sagte der „Rheinischen Post“, einseitige Aufnahmeaktionen für bestimmte Gruppen seien keine Lösung und gingen an allen europäischen Rechtsregeln vorbei. Grünen-Chef Robert Habeck möchte Migranten aus Griechenland holen; er spricht von einem „Gebot der Humanität“. Holt als erstes die Kinder raus, sagte er in der FAZ. Ähnlich äußerte sich Staatssekretär Stephan Mayer. Er sagte, die Bundesregierung lehne einen Alleingang ab, auch weil sich sonst die anderen EU-Länder ihrer Verantwortung entzögen. Pro Asyl unterstützte Habecks Vorschlag dagegen; es sei unerträglich, dass tausende Flüchtlingskinder in griechischen Elendslagern ausharren müssten, während hier weihnachtliche Urlaubsstimmung einkehre.
tagesspiegel.de; faz.net (Habeck-Interview)
Menschenrechtsbeauftragte Kofler fordert Schutz für Flüchtlinge: Für die Flüchtlinge in den überfüllten griechischen Lagern müsse rasch Hilfe kommen. Nötig sei eine europäische Initiative, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die neue EU-Kommission sollte schnell für eine faire Verteilung der Geflüchteten auf die EU-Staaten sorgen. Bärbel Kofler betonte, es habe sich gezeigt, dass die katastrophalen Zustände in den Lagern die Menschen nicht von der Flucht abhielten. Der CSU-Europa-Politiker Manfred Weber forderte einen neuen Anlauf zur Schaffung eines europäischen Asylsystems. Er sagte den Funke-Zeitungen, man müsse direkt auf den griechischen Inseln entscheiden, ob jemand in Europa bleiben dürfe oder nicht. Die Lager unter anderem auf Lesbos, Samos und Chios sind seit langer Zeit überfüllt. Anfang November sprach der Europarat von einer explosiven Situation.
tagesschau.de