Es war ein beeindruckender Film mit einem seltsam anziehenden Titel: There will be Blood (2007; mit Daniel Day Lewis). Anziehend, weil in dieser Voraussicht etwas liegt, das nicht einfach Prophezeiung ist, sondern Wissen.
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“There will be bloodshed, and the blood will be on Boris Johnson’s hands. No matter how many lies he tells, or Latin tags he quotes, or studpid jokes hecracks, that blood will not wash of”.
So beschließt Nick Laird seinen Artikel Blood and Brexit in der NYRB, 16.1.2020. Am besten, ihr lest ihn ganz. Selten sind Analyse und Konsequenzen einer grauenvollen gesellschaftlichen Wirklichkeit und eines ebensolchen Ausblicks so klar, unprätentiös und eindringlich ausgesprochen worden. Nordirland nach dem Brexit. Die irrsinnige rassistische Attitüde der Engländer der Oberschicht (Oxford, Cambridge) gegen die Iren, die Unverantwortlichkeit der Angehörigen dieser Schicht nach Besuch ihrer Haltungsschmieden, z.B. Eton, konkret von David Cameron und Boris Johnson; die Leichtfertigkeit, mit der das Karfreitagsabkommen von 1998 aufs Spiel gesetzt wird (Trump lässt grüßen…). Es wird plötzlich klar, was der Bürgerkrieg dort angerichtet hatte, vor dem Abkommen: 3500 Tote und 50.000 Verwundete, unglaubliche Grausamkeiten von beiden Seiten. Die Folgen: Nordirland hat die höchste Rate von mentalen Krankheiten in Großbritannien, den höchsten Verbrauch von Antidepressiva, die höchste Alkoholikerquote…Laird personifiziert und fixiert Verantwortung bei den Führern der englischen – nicht der britischen, bitte – Konservativen, er begründet dies mit dem Schulwesen und „a boundless self-confidence often only loosely connected to their talents and intelligence“. Zwar können wir das von einigen unserer Politiker in Deutschland oder anderen Ländern auch sagen, aber nicht mit diesem Resultat und nicht ohne den Widerstand aus manchen Teilen der Bevölkerung, die nicht unbedingt dem Lager der Regierenden angehören.
Laird: „The Good Friday Agreement took many years to bring about, but like all truces it can be undone in an instant” (Trump läßt grüßen). An einer zentralen Stelle des Artikels bringt Laird die USA, Cambridge Analytica, den Brexit-Vorreiter Nigel Farage und Moskau ins Spiel – Verschwörung? Mag sein, dass die realen Zusammenhänge, die es nachweislich gibt, übertrieben werden. Aber britische Konservative (Partei und Elektorat) und amerikanische Republicans (Partei und Wähler) sind sich in ihrer Politik ähnlich. Die Briten unter Johnson wollen die Verfassung ändern, um die Demokratie wiederherzustellen.
Dass die englische Gossenpresse noch schlimmer als unsere hier Öl ins Feuer gießt kommt dazu; dass Labour-Chef Corbyn die unglaubwürdigste Opposition gegen Cameron und Johnson verkörpert, die man sich vorstellen kann – gegessen;
Wo ich Laird bedingungslos folge ist seine Kritik daran, dass „Every evil act I’ve seen committed was done in the name of identity“. Identitätspolitik ist bei uns in Deutschland nicht nur ein Reservat für die faschistischen Identitären. „Identität“ wird ausgespielt gegen Pluralismus, Multikultur und unsichere „Zugehörigkeit“.
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Nordirland ist mehr als nur ein aktiver Stein im Puzzle der Brexitfolgen. There will be Blood…ist auch eine Metapher. Für die Politik vieler Mächtiger, die durchaus auch demokratisch gewählt sein können, – ihre nachträgliche Entlegitimierung ändert nichts an ihrer Verworfenheit und – unserer Ohnmacht. Es ist sehr schwierig, aus dem ethisch gerechtfertigten Bewusstsein des Widerstands Praxis zu machen, ohne gleich in Attentaten und Regime-Change Kategorien zu denken.
Wir können ja bei uns anfangen. Gegen den frühdementen Sicherheitsblödsinn des Seehofer regt sich heute Spott: bei einer privaten Sicherheitskonferenz der Polizei – keine staatliche Veranstaltung, nein, private Lobbyisten machen so etwas – hat er wieder seine gewaltverheißenden Sprüche losgelassen. Er erntet Spott und Herablassung, aber keinen Widerstand. Wenn ich nach seinen Aussagen zu Grenzkontrollen und Schleierfahndung nun sagte „There will be Blood“…würde das politisch aufgenommen? Immerhinnwollte auch die Veranstaltung die „Demokratie wiederherstellen“, das ist aber einigen Teilnehmer doch schräg aufgefallen…
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Wer meint, einen Grenzkonflikt wie den in Nordirland können wir nicht auch in Europa, in Mitteleuropa, haben, der denkt nicht weit. Die Klasse der Camerons, Johnsons und die Nebengruppe der Seehofers und Maassens sind nahe benachbart im Periodensystem der zerstörerischen Elemente.