ÜBER-ECK Bauerbe DDR
Zum Umgang mit dem Mosaik am Potsdamer Rechenzentrum
Tagung am 28.Februar – 29.Februar 2020
Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch
Michael Daxner
Potsdam
BLOG VERSION 1. März 2020
Burghart Schmidt, der im Programm angekündigt war, konnte nicht kommen. Ich bin für ihn eingesprungen, ohne dass ich ihn ersetzen kann. Das ist wichtig zu sagen, weil er sich in den Kontext der Mosaik-Diskussion eingearbeitet hatte und sicherlich aus dem Bereich der Theorie und Kritik eines Kunstwerks der DDR im Kontext seines weiten Rahmens in der Nachfolge und Weiterentwicklung von Ernst Bloch ein ganz anderes Profil geprägt hätte. Er war Assistent, Begleiter, Herausgeber für Ernst Bloch und hat sich in den letzten 40 Jahren einen eigenen, unverwechselbaren Namen in der politischen Ästhetik und Philosophie gemacht Dass er hier nicht spricht, macht mich traurig, und ihn ersetzen kann ich nicht. Aber dass ich statt seiner etwas zum Fortschritt, zu Ernst Bloch etwas sagen kann, macht mir Freude, und mit dem Rechenzentrum und dem Mosaik bin ich ja seit längerer Zeit intensiv befasst.
Im Anhang findet sich ein Klappentext von Schmidts geplantem Vortrag und der Hinweis, dass die geneigten LeserInnen bei aktuellen Namen sehen können, auch auf welche TeilnehmerInnen ich anspiele. Weitere Beiträge der Tagung werden in den nächsten Tagen im Netz zugänglich sein. Vielleicht entwickelt sich ein Sammelband.
Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch
Ceci n’est pas eun chateau
Das hier ist kein Schloss. Anette Paul in ihrer Inschrift Kunstam Bau des nachgebauten ehemaligen Stadtschlosses, jetzt Landtag von Brandenburg.
(Vgl. den Vortrag von Birgit Seemann zur Kulissenstadt Potsdam)
Moi je ne suis pas Burghart Schmidt
Wie eingangs angedeutet, vertrete ich meinen Freund Burghart Schmidt, aber ich kann ihn nur anmutend einfügen und zitieren,
nicht nachahmen.
Hoffnung ist nicht Zuversicht
Einer der wichtigsten Sätze von Ernst Bloch, und Leitsatz für mein Leben und Denken.
(In ca. 20 Variationen immer wieder gebraucht)
Kunst und Kultur der DDR können heute, der Unmittelbarkeit ihrer Produktion und Rezeption entzogen, sich auch vor der gefährlichen Nähe der Betrachtung schützen, eine von Bloch gebrauchte Metapher: wenn du zu nahe bist, siehst du nichts oder zu wenig. Seit 15 Jahren lebe ich in Potsdam, und die Zeit hat mich der Wirklichkeit dieser Stadt und ihrer Geschichte umso nähergebracht, als ich ihre Erscheinungen nicht mehr aus der Differenz und Reibung der beiden Systeme aneinander verstehen wollte. Aber sie hat mir auch die nötige Distanz verschafft, den urbanen Raum, seine Sichtachsen und Strukturen ohne die erdrückenden Reibung aus der Zeit der deutschen Vereinigung in jedem Überrest der DDR zu sehen. Auch, und das ist mir seit Jahren wichtig, die Oppositionen und Analogien der sozialistischen Kunst und der vorgängigen nationalsozialistischen/faschistischen Kunst können aus der Distanz genauer und zugleich weniger personalisiert diskutiert werden. Diesen Diskursstrang zu beschweigen macht jedenfalls keinen Sinn, weil bei vielen rekonstruierten Fassaden der neuen Mitte und anderswo alle möglichen Elemente dieses Problems sichtbar werden[1].
Bloch (1885-1977) war 63 Jahre alt, als er, nach dem Exil in den USA, den Ruf auf den Leipziger Lehrstuhl annahm und bekam (1948), und 76, als er nach Tübingen im Westen ging (1961). Unser Thema, worüber wir heute und morgen sprechen, der Fortschritt, hat ihn wie kaum ein anderes ein Leben lang beschäftigt. Und ihn gegen jede vulgärmarxistische Fortschritts-Apotheose schon immun gemacht, als es die Fortschrittskritiker ausgeprägt noch gar nicht im Westen gab (das hieß bei mir noch Atome für den Frieden, wie bei den meisten Linken[2]). Bloch hat mich 50 Jahre lang begleitet, wissenschaftlich, aber auch politisch: dass es einen besseren und zukunftsorientieren Sozialismus als den der SED geben kann, hat mich über lange Zeit angetrieben, mit Bloch im Nacken. Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Erbschaft dieser Zeit 1935[3], jene grandiose Zeitdiagnose, die es uns erlaubt, Analogien zum Heute zu ziehen, auch zur Entschlüsselung der AfD, und zugleich Differenzen zum damaligen Jahrzehnt zu erkennen. Dann nehme ich die Tübinger Einleitung in die Philosophie 1 (1963), mit dem Fortschrittsvortrag von 1955/6[4] darin, und das Prinzip Hoffnung, v.a. die Kapitel 12,15,16, und im Hintergrund immer Burghart Schmidt[5].
Schon das Etikett des Mosaiks verweist auf seine dialektische Weiterentwicklung:
Der Mensch bezwingt den Kosmos, das kann Antagonismus bedeuten, also Sieg in einer Auseinandersetzung, gegen einen Feind, oder es bedeutet die Eroberung der Terra incognita, Ausdehnung des Macht- und Herrschaftsbereichs. In Blochs Fortschrittsidee ist beides enthalten, allerdings nicht parteikonform. Den Kosmos bezwingen würde ja ein Angriff auf die Natur sein, ohne deren Bezug für Bloch weder Sozialismus noch Utopie denkbar waren. Die offizielle DDR-Ideologie wich der Auseinandersetzung mit der Natur weitgehend aus[6]. Sabrow deutet die Eroberung des Kosmos als eine der Zukunft, zugunsten der Wissenschaft (deshalb wohl auch die Einstein Formel e=mc2(Hörz 1974) in der ersten Tafel).
Die Arbeit am Begriff erinnert an Adorno, der in dieser Hinsicht nicht so weit von Bloch entfernt war[7]. Die Differenzierungen im Begriff Fortschritt konnten nicht ins Konzept des Staates passen, in dem Bloch ja nicht selbstverständlich seine Rückkehr begann und den er zum gegebenen Zeitpunkt Richtung Westen verlassen sollte, dort nicht weniger kritisch, aber freier. Mit seiner Utopie war Bloch unserem 1968er Leitstern Marcuse aber sehr weit voraus[8] , und zugleich war Bloch nicht nur für die Studentenbewegung ein ständiger anregender Widerspruch, auch in der Freundschaft zu Rudi Dutschke.
In seinen Thesen am Ende der Fortschrittsabhandlung kommt die ganze Dialektik dieses Denkens zum Ausdruck: „3. Der Fortschrittsbegriff kann für die Produktivkräfte und Basis gültig, für den Überbau relativ ungültig sein, mindestens schwächer gültig und umgekehrt. Verwandtes gilt für zeitlich nacheinanderfolgende Überbauten (Kulturen), insbesondere für die Fortschrittskategorie in der Kunst“.[9] (Bloch 1963, 201). Wichtig auch: unmittelbar danach plädiert Bloch für die Multikulturalität „ohne europäisierende Vergewaltigung“, damals schon bemerkenswert (S.202). Ich denke, dass für die DDR in besonderer Weise gegolten hat, was Bloch so beschreibt: „Denn die Produktivkräfte wie auch Produktionsverhältnisse können einen Fortschritt zeigen, dem der Überbau gegebenenfalls nicht nur nicht nachkommt, sondern dem er zuweilen sogar mit besonderem Kulturverlust entgegengesetzt ist“ (Bloch 1963, 164). Gerade an der Weltraumtechnik sehen wir, nicht plötzlich, dass das gar nicht nur auf die DDR, den Sozialismus trifft, sondern auf alle Gesellschaftsverhältnisse. Bei Bloch war die paradigmatische Festlegung auf eine bestimmte Form des Fortschritts im sozialistischen Staat einer differenzierten Sicht gewichen, die sich nicht auf Bewusstsein, das vom Sein bestimmt sei, fokussierte. Abgesehen davon, dass er keinen Seinsbegriff mit autoritärer Dogmatik vertrat, sondern sich eher auf Arbeit und Natur in der philosophischen Anthropologie konzentrierte.
Noch einmal zum Menschen, der den Kosmos bezwingt. Die MIGs fliegen von Ost nach West, das ist die Eroberung des Raums. Die zeitliche Dimension ist das schneller sein, nicht einfach schnell sein. Hier greifen wir tief in die Erinnerung an die Rhetorik des Kalten Kriegs und vor allem auch von uns, seinen Kritikern im Westen ein (ich war ja nicht im Osten, und die Diversionen, die in der DDR-Friedensrhetorik zu uns gebracht wurden, durch DKP und andere sind ein eigenes Kapitel). Schon sehr früh haben wir uns einem Raumbegriff genähert, der viel mit Bloch und auch mit dem jetzt wieder aktuellen, kontroversen Heimatbegriff zu tun hat. Ich hatte damals zu „Heimat und Friede: Ernst Bloch“ vorgetragen (Aschmoneit and Daxner 1984, 148-165), schon mit den Ingredienzien von heute – und ganz anders: es war eben wirklich Kalter Krieg. Und die Beziehung zur Heimat ist ein Raumbeziehung, die bei Bloch zu einer der gesellschaftlichen Struktur umgewandelt wird – in Zukunft, als reale Utopie und nicht geschichtliche Gesetzmäßigkeit. Im Anhang zur Osnabrücker Anthologie fand sich eine fast die ganze Universität umfassende Unterschriftenliste einer Abrüstungsinitiative – das läuft heute digital und global.
Das antizipierende (vorwegnehmende) Bewusstsein und die Möglichkeiten, die wir noch vor uns haben, die wir erst entwickeln und entfalten müssen, sind hier die Schlüsselbegriffe[10]. Dass nach Möglichkeit alles Mögliche verwirklicht werden kann, wenn man es will oder politisch durchsetzen kann, ist das eine; das andere ist, dass in Möglichkeit verwirklicht werden kann und soll, was noch gar nicht erschienen ist, wo das Bewusstsein das Noch-Nicht einzufangen sich anschickt, fern von der Gewissheit des Gelingens. „So ist der Mensch die reale Möglichkeit alles dessen, was in seiner Geschichte aus ihm geworden ist und vor allem mit ungesperrtem Fortschritt noch werden kann…Die Materie ist die reale Möglichkeit zu all den Gestalten, die in ihrem Schoß latent sind und durch den Prozeß aus ihr entbunden werden“ (PH 271). Dieser Latenzbegriff geht vieler marxistischer Philosophie und sozialistischer Ideologie ab. Wenn der Mensch den Kosmos bezwingt, dann ist da mehr drin als bloß das schon Mögliche in Triebwerke und Raumkapseln zu formen: der Kosmos bedeutet auch ein Naturverhältnis, das allerdings bei Bloch anders aussieht als im realen Sozialismus: Kosmos ist auch eine Metapher für die Humanisierung der Natur (PH 288); damit haben wir schon früh politisch gearbeitet: (Daxner, Bloch et al. 1981) – bald sollte es die Grünen geben; das aber wussten wir auch nur im Vorschein. Die technische Systemkonkurrenz im Kalten Krieg ist hier nur ein, allerdings politisch relevanter Aspekt dieses Fortschritts. Das Mögliche muss nicht gelingen, es kann aber gelingen: das ist die Hoffnung. Von hier versteht man seinen Leitsatz: Hoffnung ist nicht Zuversicht. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass auch das Technische immer an Grenzen für den Menschen stößt. „…Grenzen, die keine mehr sind, indem er sie wahrnimmt, er überschreitet sie“ (PH 285). Und das bedeutet natürlich auch, die Grenzen der Umwelt dieses Fortschrittssystems dynamisch zu halten und sich nicht dogmatisch auf sie festzulegen. Woran nicht nur der Sozialismus gescheitert ist, sondern Bloch auch resignierte: „Der Sozialismus hat noch gar nicht angefangen“[11].
Jedenfalls arbeitet Bloch nicht nach dem Prinzip „Von der Utopie zur Wissenschaft“, sondern „(auch) mit Wissenschaft zur Utopie“. Die Utopie bleibt das Ziel, gebunden an die Demokratie. (In seinem Aufriss der Sozialutopien kann man die schwache Seite ansonsten starker Gesellschaftsmodelle sehen, die ja für Bloch Vorläufer, auch Antizipation künftiger Utopien und daher künftiger Politik sind)[12].
In der Diskussion ergab sich eine keineswegs marginale Seitenaspekt. Saskia Hüneke verwies auf die vielfältigen Identitäten, die sich in den Kontroversen um Rechenzenbtrum und Garnisonkirche in Potsdam ergäben (also meinte sie zutreffend, es gäbe keine einigende städtische Identität, in deren Schatten diese Kontroversen abgebaut werden können). Martin Sabrow hat in der Abschlussdiskussion dem Identitätsbegriff ebenfalls zutreffend den des Interesses entgegengestellt, das durchaus vielfältig der Verdinglichung der subjektiven Identitäten vorzuziehen sei. Das erinnert mich an die großartige Entwicklungsgeschichte von der Leidenschaft zum Interesse ab der Renaissance, Leidenschaft und Interesse von Albert O. Hirschman (dt. 1987, stw). Aus unterschiedlichen Identitäten kann man keine Konfliktfähigkeit ableiten, sehr wohl aber aus verschiedenen Interessen eine konflikt regulierende Politik gestalten, die dann immer Machtfragen herausfordert.
Ich möchte beim Mosaik noch auf einen anderen Zusammenhang hinweisen: Burghart Schmidt (Schmidt 1985, 71ff) erläutert den Fortschrittsgedanken in Bezug auf die Geschichte mit dem Schwerpunkt auf der Ungleichzeitigkeit. Im wirklichen Vorgriff auf das Zukünftige, auf die Utopie, ist auch der Protest gegen das Vergangene und Gegenwärtige enthalten. Und wenn dem der Widerstand vorenthalten wird, dann wird die Zukunft auf das Extrapolierbare reduziert (wie in den meisten technischen Science Fictions, wie bei Fortschrittsprojektionen, die die Werkbänke weithin verlängern) (Vgl. auch Schmidt 1985, 73). In dieser Interpretation findet sich ein Satz, von dem aus heute vieles weitergedacht und -gesagt werden kann: „Denn gerade von der Gleichzeitigkeit der Metropolen fühlte sich ja die Ungleichzeitigkeit der Provinz bedroht“. Das bezieht sich auf Blochs Analysen in Erbschaft dieser Zeit (Bloch 1962 (1935)). Aber wie sich das entfaltet, zwingt uns geradezu Analogien und Diskrepanzen zur Weimarer Republik und zu den unterschiedlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit vor und nach 1989 auf. Und da komme ich auf die Differenzierungen im Begriff Fortschritt zurück, welcher Text ja ein Vortrag von 1955/6 war, 5 Jahre vor seiner neuerlichen Emigration. Der antifaschistische Widerstand begann bei Bloch früh, und Schmidt beschreibt das präzise, z.B. anhand des Vortrags „Marxismus und Dichtung“, das sollte sich vor dem Weltkrieg noch fortsetzen, mit Schmidt: „Er verteidigte die neuen Techniken etwa des Expressionismus und Surrealismus gegen die Ansprüche einer Kunstdoktrin, die Realismus nur im Beachten eines Kunstregelkanons, aus bürgerlicher Klassik und bürgerlichem Realismus abgezogen, gewährleistet sah“ (S. 24). Als Bloch 1961 wegen des Mauerbaus aus der Bundesrepublik nicht in die DDR zurückkehrte und in Tübingen Gastprofessor wurde, hieß der Titel seiner Antrittsvorlesung „Kann Hoffnung enttäuscht werden?“; die Antwort war, „neuem Anfang gemäß: „Sie wird enttäuscht werden, ja, sie muß es, sogar bei ihrer Ehre; sonst wäre sie ja keine Hoffnung“ (S.28).
Die Wissenschaft hat im Mosaik so wenig ihre Antizipation gefunden wie das Vorbewusste, das Noch-Nicht-Sein. Das Noch-Nicht-Bewusste ist schroff dem Vergessenen, Verdrängten entgegengesetzt (wovon ich, mit Verlaub, viele Spuren in einzelnen Mosaiktafeln entdecke). Aber was den Weltraum, den Kosmos betrifft, wird in seiner Eroberung ja die Überlegenheit eines Systems antizipiert, möglicherweise (von heute aus gesehen) ein Fluchtpunkt, wenn wir die Erde verlassen werden müssen, was damals kein Thema war, und möglicherweise die Vergesellschaftung einer Wissenschaft, die über die ökonomischen Zwänge der Produktivität und ihrer Steigerung hinausgehen[13]. Ich muss das hier nicht ausführen, will aber versuchen, in Bezug auf Kunst die Vorahnung von Künftigem ebenso hinein- wie herauszulesen wie das Aufdecken des Vergessenen. In einer fundierten Analyse beschreibt Eberhard Braun einen Kerngedanken: „Alle Träume speisen sich aus einem Wunsch nach Glück – dies ist ihr praktischer Kern“ (Braun 1983, 131). Gerade hier verweist Braun auf die Kunst[14].
Hat der Menschen den Kosmos bezwungen? In der Vorstellung wird er ihn schon bezwungen haben, aber das Reich der Vorstellung war und ist noch nicht hinreichend revolutioniert.
ANHANG
Burghart Schmidt
Statement zu Fritz Eisels Fassaden-Mosaik am ehemaligen Rechenzentrum der DDR in Potsdam
Durch Studium des Programms vom Symposion zu Fritz Eisels öffentlichem Mosaik in Potsdam sah ich, dass sämtliche Gesichtspunkte, die mir so eingefallen waren in Sachen historisches Dokument, schon durch Vorträge abgedeckt waren. Nur einen Standpunkt kann ich hinzutragen, der offensichtlich nicht berührt wurde. Er hat zu tun mit einer Theorie von Charles Jencks, der von der Mehrfachcodiertheit eines Kunstwerks schreibt. Er hat die Theorie vorgelegt im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über „Die Sprache der postmodernen Architektur“. Was ist darunter zu verstehen? Ein Künstler vermag in sein Kunstwerk mehrere Codes einzuweben. Viele Beispiele dazu lieferte mir der Manierismus und der Barock. Damals waren für aufwendige Kunstprodukte die Geldgeber und Beauftrager fast nur die Mächtigen des Adels und die Kirche. Die Künstler, die für aufwendige Kunst immer mit der Macht gehen mussten, erfüllten nun die Aufträge der Auftraggeber, indem sie Bildwerke von Heroenmythen dem Adel lieferten und der Kirche die gewünschten Märtyrer- und Heiligengeschichten. Aber in Manierismus und Barock verwoben sie dahinein per einem anderen Code, wie sie an der Front der Aufklärungen standen in Natureinsicht wie Welterkenntnis, Geschichtserkenntnis und besonders der Optik, in der Weltsicht erst entsteht. Das nun auf Fritz Eisels Werk in Potsdam übertragen meint, dass er einerseits den Auftrag des DDR-Staats erfüllt, gemäß deren ästhetischer Dogmatik des sozialistischen Realismus. Andererseits wob er einen Code hinein, der entscheidende Züge des Expressionismus und des Surrealismus vorträgt. Somit bleibt er gemäß seiner Zeit aktuell auch für den Kunststand des Westens, und im Osten war er angesichts der doktrinären Kunststeuerung eine einzige Provokation. Das bleibt sein Wert für die deutsche Kunstgeschichte weiterhin.
Literatur:
Aschmoneit, W. and M. Daxner, Eds. (1984). Krieg und Frieden – Osnabrücker Vorlesungen 1983/84. Osnabrück, Universität Osnabrück.
Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.
Bloch, E. (1962 (1935)). Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt, Suhrkamp.
Bloch, E. (1963). Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Frankfurt, Suhrkamp.
Braun, E. (1983). Antizipation des Seins wie Utopie. Seminar: Zur Philosophie Ernst Blochs. B. Schmidt. Frankfurt, Suhrkamp: 123-150.
Daxner, M., J. R. Bloch and B. Schmidt, Eds. (1981). Andere Ansichten der Natur. Münster, SZD.
Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein.
Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp.
Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler.
Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.
Prof. Dr. Michael Daxner
Feuerbachstraße 24-25
14471 Potsdam
michaeldaxner.com
[1] Einen wichtigen Beitrag hat Susan Sontag schon 1975 dazu geleistet: Fascinating Fascism NYRB, 6.2. 1975: “Fascist art displays a utopian aesthetics—that of physical perfection. Painters and sculptors under the Nazis often depicted the nude, but they were forbidden to show any bodily imperfections,” und “In contrast to the asexual chasteness of official communist art, Nazi art is both prurient and idealizing”. Aus langer persönlicher Bekanntschaft und Freundschaft kann ich auch auf die vergleichenden Analysen von Martin Damus (1936-2013) verweisen, der mir die Stilvergleiche und – im Blochschen Kontext – die Ungleichzeitigkeiten der ästhetischen Entwicklung nahegebracht hat. Vgl. auch:Martin Damus: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt 1987. Fischer. Ich erwähne das mit Respekt vor äußerst unterschiedlichen Auffassungen zu diesem heißen Thema, aber in jedem Fall muss es aus dem beschwiegenen Unbewussten heraus.
[2] Vgl. Karl Moersch: Atome für den Frieden, 25.8.1955 https://www.zeit.de/1955/34/atome-fuer-den-frieden: mit „überraschender“ Einigkeit bei Wissenschaftlern zwischen Ost und West. Fortschritt war im Westen u.a. verkörpert durch die Zeitschrift Hobby: Das Technik Magazin. 1953-1991. Klassenübergeifende Lektüre des technischen Fortschritts.
[3] Im Vorwort zur Ausgabe 1935 schreibt Bloch: „Die Zeit fault und kreißt zugleich“ (Bloch 1969 (1935), 15)
[4] Ursprünglich: Bloch, E., Differenzierungen im Begriff Fortschritt. [1. Auflage] Berlin, Akademie, 1956 (Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin. Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, 1955/5). Bloch erhält den Nationalpreis und – beginnt massive Kritik auf sich zu ziehen. Die Deutungshoheit der Partei überstieg schon damals ihre strukturelle Beherrschung der Vertikale von Anerkennung und Prestige.
[5] Hier empfiehlt sich zur Einführung Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp. V.a. Burghart Schmidt, Adorno, Raulet, Fetscher, Holz, Alfred Schmidt, und Abschnitt „Zur Ästhetik“ 391-474 (In diesem Abschnitt wird nicht nur die Blochsche Theorie erklärt, sondern auch der verkürzte Marxismus der ästhetischen Vorgaben dekonstruiert).
[6] Eine wichtige Ausnahme ist Hans Heinz Holz, ein Dissertant von Bloch (wegen der Bibliographie: https://de.wikipedia. org/wiki/Hans_Heinz_Holz). Ansonsten war die Ignoranz gegenüber Bloch bemerkenswert, etwa im großen Werk von Herbert Hörz (Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein. Hier finden sich im Index weder die Stichwörter Bloch und Utopie, und bei Raum und Zeit steht auch nur von Lenin Abgeleitetes (Das Buch kommt vom DDR Akademie-Verlag, gleiches Jahr). Das Beschweigen undogmatischer Wissenschaft war eine Spezialität der DDR. Umgekehrt wurden kritische Sozialisten, wie Holz, im Westen lange Zeit auch nach allen Regeln der Kunst behindert.
[7] Blochs ambivalente Haltung zu Stalin entfremdet ihn Adorno in den 1930er Jahren; die Wiederannäherung erfolgt spät, nach 1956, aber gerade in diesem Kontext. Vgl. dazu Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler. U.s. S. 4ff. 21f. Diese Auseinandersetzung ist um Blochs Haltung zu Stalin in den 30er Jahren ist insoferne erheblich, als (berechtigte und verkehrte) Kritik an ihr seinen Grundlagen wenig Abbruch tut, und schon gar seiner klaren Politik nach 1956 (ab dem
Ungarn-Aufstand).
[8] Fuchs.uti.at/wp-content/uploads/infogestechn/fortschrittutopie.html (Christian Fuchs, Utopie bei Marcuse und Bloch)
[9] Bloch entscheidet sich damals schon für einen Multikulturalismus. In der 4. These, anschließend an obige, geht er soweit, sich eine Riemannsche Zeit vorzustellen. Das führt uns wieder zu (s)einem Aspekt der Ungleichzeitigkeit. Ich kann nicht kompetent über die Analogie der Riemannschen Mannigfaltigkeit im Kontext Auskunft geben. Bloch verstand aber etwas davon, und seine Raum/Zeit Auffassung stand weiterentwickelt gegen die marxistische Zeitdominanz (gegenüber der oft nachgewiesenen Raumdominanz rechter Ideologien).
[10] Dass Ulbricht die „Unmöglichkeit“ als Begriff ausschloss, ist jedenfalls nicht trivial. Sabrow verweist zu Recht auf die Entleerung des Fortschrittsbegriffs.
[11] Ich hätte Ohrenzeuge von Blochs Vortrag zur Erkennbarkeit der Welt sein können, wäre der Festsaal der Universität Wien nicht hoffnungslos überfüllt gewesen. Darin wird der Marxismus herkömmlicher Machart radikal kritisiert (Vgl. Peter Kampits: „Der siebente Tag werden wir sein“ (XX, 12.9.1968),worin es und vor allem um die Erniedrigten und Beleidigten dieser Welt geht. Implizit noch kritischer, auch gegenüber Bloch selbst, ist Claus Grossner in der ZEIT, 24.4.1970: Das Prinzip Hoffnung. Das sind frühe Erinnerungen an die Rezeption. Zu unserem Thema siehe v.a. , Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.(v.a. Abschnitte G-J; von hier kann man Blochs Fortschrittsgedanken differenziert entschlüsseln und „politisieren“; es geht um den „Abschied von den universalisierenden Utopien“.
[12] Vgl. die beiden großen Abschnitte 36 (Freiheit und Ordnung, Abriß der Sozialutopien) und 37 (Wille und Natur, die technischen Utopien) im Prinzip Hoffnung: Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.
[13] Nun ist dieses 15. Kapitel im Prinzip Hoffnung nicht so sehr philosophisch schwierig als psychologisch, historisch und in seiner Begrifflichkeit.
[14] Verweis auf Gert Ueding: Tagtraum, künstlerische Produktivität und der Werkprozeß“ , In: G.Ü.: Ernst Bloch, Ästhetik des Vor-Scheins 2, Frankfurt 1974.