Studiert, forscht, studiert…das ist Moses und die Propheten! Und nicht mehr „“Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!“ (MEW, Bd. 23; Kap. 22). Möchte man meinen.
Ich werde jetzt einmal persönlich, fast autobiographisch kritisch. Über mehr als 30 Jahre war Hochschulpolitik das Zentrum einer wissenschaftlichen Arbeit, die in viele andere Disziplinen ausschwärmte und immer wieder daran festhielt, dass Universitäten und andere Hochschulen reformierbar seien. Ich habe mehrere Bücher dazu geschrieben, hunderte Artikel verfasst, bin in -zig Kommissionen gesessen, habe vorgetragen und … muss sagen, dass alles, was ich erreicht habe, bestenfalls am Rand des deutschen Hochschulsystems wirksam wurde (Uni Oldenburg, Hochschulräte, Grüne Hochschulreformen der 90er Jahre), manchmal auch international, leider nie so nachhaltig, dass man etwas anderes sagen könnte als: seit 40 Jahren befinden sich die Hochschulsysteme weltweit in Stagnation und oft im Abstieg.
Ich selbst habe daraus Konsequenzen für mich gezogen, nach meiner Präsidentschaft in Oldenburg habe ich mich in der Konfliktforschung umorientiert, mit Hochschulen und Wissenschaft als einem Arbeitsgebiet neben anderen (Kosovo, Afghanistan). Ich habe eine zunehmend unwillige Reaktion auf so genannte Hochschulforschung entwickelt, der es in Wirklichkeit um die Rationalisierung sinkender öffentlicher Investitionen in einem überlasteten und teilweise leerdrehenden System geht. Fast bin ich versucht, mich in die SPIEGEL-Kolumne „Früher war alles schlechter“ mit umgekehrtem Vorzeichen einzuschreiben. Aber meine Klage hat neben altersbedingter Frustration auch ganz konkrete Ursachen und Anlässe:
– Der Hochschul- und Wissenschaftsbereich – eigentlich sind es zwei einander widersprechende Bereiche – hat unter der Globalisierung und zugleich den lokalen Konkurrenzbedingungen mehr Schaden genommen als andere Felder öffentlicher Politik.
– Die Ablösung von Wissen durch Kompetenzen und die noch stärkere Berufsorien-tierung der Ausbildungszwecke haben die intellektuellen und ethischen Prämissen gesellschaftlich notwendiger und sinnvoller Politik beschädigt.
– Die Konkurrenz von Hochschulsystem (Verteilung qualifizierter Arbeitskraft) und Wissenschaftssystem (Gewinnung, Kritik und Implementierung neuer Erkenntnisse) wird durch die Politik in keiner Weise koordiniert
– Personen, die in diesen Systemen tätig sind, wie auch zunehmend im Gesundheitssystem, sind herabgewürdigt zu einander konkurrenzierenden Wettläufern um wenige Positionen, die die hier gemachten Feststellungen durch eine gewisse Macht wenigstens zum eigenen Vorteil ausnützen können.
Dazu kommen Memoiren an peinliche Momente meiner eigenen,durchaus erfolgreichen Karriere: die Verachtung, mit der einer der führenden deutschen Philosophen die Hochschuldidaktik abgemeiert hatte, weil sie den hohen Ansprüchen der Wissenschaft nicht genügte; die gleiche Verachtung, mit der halbgebildete Ministerialbeamte meinten, sie dürften die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie aushebeln; die oft einseitigen Versuche, die Personalsituation an den Hochschulen gerechter zu machen, indem ziemlich einseitig auf Mitbestimmung, aber nicht auf Teilhabe an der Qualität von Forschung und Studium gesetzt wurde. (Nichts gegen Mitbestimmung, aber eben gegen ihre kompensatorische Funktion gegen Qualitätsverlust).
Spätestens jetzt kommt der Einwand: war denn früher die Qualität wirklich höher? NEIN, war sie summa summarum nicht, aber wir waren auch nur 5, 15, 25% eines Jahrgangs, und da haben sich, angesichts sicherer Berufsaussichten, doch stabilere Qualitätern herausgebildet als bei 60, 70 % heute mit geringeren Anreizen zur Qualitätsverbesserung in der Breite. Die paar Elitenquante gabs damals, gibt’s heute unverändert.
WARUM ERZÄHLT ER UNS DAS?
Eines der besten Hochschulsysteme der Welt war das der USA. Unter anderem, weil es „unten“ Community Colleges gab, die den sozialen Aufstieg in das Wissen erleichterten, und weil es „oben“ sehr viel breiter als in Europa höchstklassige Wissenschaft in enger Verbindung von Forschung und Studium (nicht „Lehre“) gab, während in Deutschland und Europa dummerweise fast alle forschende Intelligenz quasi korporatistisch in außeruniversitäre Internate, Max Planck, Helmholtz, Leibniz…. Abgedrängt wird, und den Hochschulen nichts als die Überreste von diesem Tisch überbleiben, und die Aufgabe, diese Forschungsinseln mit Nachwuchs zu versorgen.
Ich will aber über die USA sprechen. Jahrzehntelang habe ich mit anderen versucht, Studierende „von unten“, aus den Community Colleges nach Europa zu bringen, quasi zum Transatlantischen Kulturaustausch und zur kritischen Beurteilung von America first und anderen Überlegenheitspolitiken. (Vgl. Globalcitizenshipalliance.com) -war ja gut. Ebenso lang haben wir die Vorzüge amerikanischer Universitäten, kleiner Studiengruppen, guter Betreuung usw. für unsere Hochschulreform zu nutzen versucht, u.a. in der Personalpolitik, und in der Hochschulautonomie. Nun sind diese beiden Bereiche in den USA gewaltig ins Rutschen geraten, finanziell können die irrwitzig hohen Studiengebühren durch nichts sozial gerechtfertigt werden und immer weniger inhaltlich, und personell hat sich ein biographisch fast auswegloses Unterwerfungssystem eingebürgert, das unter Trump nur noch schlimmer wird, aber keineswegs mit ihm begann. Zugleich gewinnen die identitären Verhaltensmuster (politische Korrektheit + Zensur von Inhalten und ihre kommunizierte Beschreibung) immer mehr an Gewicht. Kein guter Zustand. Dozenten leben jahrelang im eigenen Auto, weil sie sich keine Wohnung leisten können. Adjunct Professors lehren jahrelang ohne jemals die 20.000 $ zu überschreiten (17.000 €…). (Liebe BlogleserInnen: erkundigt euch einmal nach dem Einkommen der deutschen JuniorprofessorInnen). Obama (!) hat angeregt, „to rank American colleges „on who‘s offering the best value so that students and taxpayers get a biggerbang for their buck” (das ginge ja noch), with the chief metric being “how well do graduates do in the workforce?” (NYRB 12.3.2020, S.45). Klingt doch ganz nach Gewerkschaft, nach dem alten Art. 2 des Hochschulrahmengesetzes. Ist es aber nicht. Das hat damit zu tun, dass die dynamische und wissenschaftsbasierte Umsetzung des Studienerfolgs durch das Lehr- und Prüfungswesen der Hochschulen, die Personalpolitik und den ständigen finanziellen Staatseingriff genau das verhindern, was man altmodisch politische Ökonomie der Wissenstransformation bezeichnen könnte. Was Obama, aber auch deutsche Bildungsökonomen viel zu stark betonen, ist die Übernahme des bestehenden Beschäftigungssystems für AbsolventInnen. Wenig Zukunft drin, also Umwegqualifikation über private Elite-Institute oder eben nicht über Hochschulen, deren Bezeichnung „Tertiärer Sektor“ schon für sich eine Beleidigung von Wissenschaft ist.
ABER. DA GIBT ES EINE DIALEKTIK.
Wenn es in den USA und bei uns gleichermaßen so mies ist, warum ist auf dem akadmeischen Feld (Arbeitsmarkt + gebildeter Diskurs + forschungsbasierte Innovation) doch so viel los und nicht alles den Bach runtergegangen?
Tatsächlich gibt es ein Maß an Subversion und kontrafaktischer Praxis von Lehrenden, Studierenden, seltener Hochschulverwaltungen und fast nie Ministerien, aber selbst dort: Subversion heißt, die Finanzkürzungen und Reglementierungen zu unterlaufen. Mit einigem persönlichen Risiko und einer wie auch immer angeeigneten Systemkenntnis von Wissenschaft und Bildungssystem. Ich kenne wunderbare Seminare, Projekte, Partizipation innerhalb von Forschung, Kooperation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die allesamt ohne zusätzliche Verlierer funktionieren. An fast allen Hochschulen. Und viele dieser Aktivitäten werden dann in die weitgehend blödsinnigen und inhaltsleeren Prüfungsordnungen gepresst, Etikettiert etc. Überfüllungen werden listig austariert, didaktrische Hilfen und Digitalisierung führen dann nicht immer zu Ersatz.
Also alles nicht so schlimm?
Doch, aber man hat sich seit Metternich so auf die Staatsintervention einerseits, den privaten Pull-Effekt nach konformer Arbeitnehmerschaft unter den AbsolventInnen gewöhnt, dass echte Hochschulreformen von den zuständigen Politikern und Abteilungsleitern und Ordinarien gerne als utopisch bezeichnet werden.
Und heute sehe ich in dieser Subversion eine Chance, das Leben an der Uni-versität erträglich zu machen, allerdings wirklich erträglich nur für die, denen die Einkommensverhältnisse ein ordentliches Weiterkommen erlauben. Wer kennt nicht die, die auf der Strecke bleiben? Sie sind vielleicht die Wichtigsten, die für die Wissenschaft und Studienkultur verloren sind.
Nachsatz: auch in Hochsicherheitsgefängnissen gibt es Theater AGs und Sportgruppen.
Nachsatz 2: Lest zu den USA: Charles Petersen: Serfs of Academe. New York Review ob Books, 12.3.2020, 42-45, mit elf wichtigen Besprechungen. Soviel Literatur zu deutschen Hochschulen gibt es seit langem nicht mehr.