Sterben ist nicht schön, meistens. Und die es erlebt haben, erzählen wenig darüber. Die es beobachtet haben, erzählen viel, empathisch, ratlos, abgestoßen oder angezogen.
Ganz anders der Tod. Eine literarische Gestalt, auch mal weiblich, meist männlich: ohne Tod gäbs fast keine Literatur, Kunst und Philosophie.
In diesen Tagen werden Sterben und Tod meist zu einem schwer genießbaren rhetorischen Cocktail gemixt, den man 23 von 24 Stunden in den Medien, aus dem Mund von Politikern, Virologen, Nachbarn und Passanten hört, bzw. serviert bekommt.
Sollen wir etwa nicht aufklären? Sollen wir etwa unsere guten, hilfreichen, notwendigen, etc. Absichten und Empfehlungen bei uns behalten? Sollen wir etwa chinesisch beschweigen, bevor wir Trompeten erschallen lassen, wenn sich die Infektionskurve abflacht? Und was wird aus der Wirtschaft?
So schallt es beim leisesten Aufkommen von Kritik. Liebe BlogleserInnen: nicht Kritik an den paar Maßnahmen, die wir in überwältigender Mehrheit befolgen, und klugerweise wenig kommentieren. Mehr als vier sind es nicht. Nein, Kritik daran, dass die Welt sich nur um CoVid-19 dreht und ansonsten offenbar stillsteht.
Was tut die Politik nicht alles, um zu verdecken, dass sie jetzt keine Zeit hat, für die Diktatoren,die im Schatten des Virus wüten – nicht nur Orban oder Bolsonaro oder Trump oder Modi, die Liste ist sehr lang und reicht bis in das feine Kapillarsystem persönlicher Beziehungen. Keine Zeit für Klima, keine Zeit für sterbende Flüchtlinge, keine Zeit für Kriminelle, die auf dem Ausnahmezustand ihre Suppen kochen, keine Zeit…
Offenbar sind die Dompteure der Überzeugung, dass nur die endlose Schleife die Murmeltiere, aus denen die Menschheit besteht, zu angemessenem Verhalten bewegt, und vor allem zur Unterwerfung unter den gaaanz groooßen Bruder, der nicht überm Sternenzelt, sondern in der Veränderung der Gewichte von Freiheit und Ordnung sich verwirklicht. China ist ein gern imitierter, wenn auch mild kritisierter Vorreiter. Statistik organisiert die Normalität, bzw. rechtfertigt den Ausnahmezustand, – nicht einfach als Freund/Feind-Konstellation, sondern: du willst doch nicht, dass andere sterben? Oder gar du selber?
Und just da geht die Drohung vom Sterben zum Tod über. Die vier Regeln befolgen, ist für die meisten mehr oder weniger einfach. Eine Klassenfrage, keine des Gewissens oder der Bildung. Wer in einer engen Wohnung mit geringer Einrichtung und mehreren Kindern lebt, oder allein erzieht, oder gebrechlich ist, oder isoliert ist, leidet jetzt mehr als wir privilegierten, mit dem Park vor der Tür, dem Hund als Auslaufgrund, den Verwandten am Telefon oder Skype, dem dauernden Rattern der Mails. Viele, erfreulich viele, haben das erkannt und helfen so gut es geht, die allermeisten, ohne die Sonne öffentlicher Dankbarkeit und Anerkennung auf sich zu lenken. Prima. Aber gerade weil das irgendwie eine Zeitlang gut gehen kann, dürfen doch die Themen des Lebens, des Weiterlebens, nicht verdrängt werden.
Jetzt kommt die Pointe: Das Gerede um die Exit-Strategie, so pragmatisch notwendig es ist, hat doch wenig zu tun mit dem Weiterleben in der Klimakatastrophe, dem Weiterleben in den FlüchtlingsKZs zwischen der EU und dem Außen, dem Weiterleben im Bürgerkrieg in Syrien, dem Weiterleben zwischen drei Epidemien im Ostkongo etc. – die Liste ist viel länger! – nein, Exit ist keine Rechtfertigung dafür, die Welt aus den Augen zu verlieren und zu sagen: das hat alles Zeit. Nichts hat Zeit.
Bis zu einer Impfung werden viele Menschen an CoVid 19 sterben, so viel ist ziemlich sicher und zu erwarten. Und das kann lange dauern. Vielleicht bleiben die vier Regeln auch in Kraft, für lange Zeit. Aber die Konstruktion des Todes wird jetzt schon benutzt, um Elemente des Ausnahmezustands für alle Zukunft zu befestigen. Schon die Drohung, dass nichts mehr so sein wird wie früher, ist eine Gemeinheit, wenn man nicht dazu sagt, was sich ändern muss (außer einige grundlegende Reformen am Gesundheitssystem – siehe Expertise von 2012). Soll es denn so sein wie früher? Wir trauern ja dem Plumpsklo und dem Kopfsteinpflaster auch nicht nach…Es ist etwas anderes gemeint: Bürger und Bürgerinnen, gewöhnt euch daran, dass wir vorsorgen…ja, wofür? fürs nächste Virus? Gebongt. Haben wir bei HIV, SARS, Ebola etc. gemacht oder nicht gemacht? Siehe auch: Armutsfrage und Dritte Welt. Mehr Waffen exportiert als Gesundheit weltumspannend und transnational verbessert, und dann lässt man den Verbrecher Trump die WHO ruinieren (die hat auch Fehler gemacht, und? Ihr nicht? Nein). Alle Vorsorge steht über dem Virus. Das Mantra wiederholt sich nicht nur in den Blogs. Es wird im Raum stehen, wenn die Wirtschaft wieder „anfährt“. CO2? Feinstaub? Und: die Reorganisation des sozialen Zusammenhalts wird, hoffentlich, viel am Konsum einschränken bei denen, die das ordentlich ertragen, also bei uns, und das heißt nicht sofort wieder das Wirtschaftswachstum anfahren, wie das die Weisen prognostizieren und anordnen.
Was hat das mit dem Tod zu tun? Sehr viel, denn der Mythos der Todeskonstruktion lenkt natürlich ab vom elenden Sterben derer, die schwer geschlagen vom Virus sind. Was haben die Rundfunkanstalten von der Auferstehungshoffnung zu Ostern gedröhnt (um auferstehen zu können, muss man erstmal gestorben sein). Plötzlich sehnen sich viele nach der spirituellen Erlösung, die ihnen lange Zeit eher zweitrangig war, jetzt, wo sie einmal nicht in die ansonsten gemiedenen Kirchen dürfen. In den Predigten wird, Kennzeichen der Todeskonstruktion, Hoffnung mit Zuversicht verwechselt (–> Ernst Bloch hat dies immer wieder aufgebracht). Statistiken geben keine Hoffnung.
Wir brauchen beides: die empirische und damit auch bedenkenswerte Kategorie des Lebens zwischen Geburt und Sterben, das sind wir, da können wir abwägen, uns wiedersehn oder Abschied nehmen oder stoisch die letzte Prozedur jenseits der Patientenverfügung erwarten oder verhindern; aber jedenfalls uns freuen, dass wir geboren worden waren, dass wir geboren wurden, dass wir leben und gelebt haben.
Und dann den Tod, dessen gegenüber NICHT die Gebürtlichkeit ist, sondern eben das Leben, das, wenns uns oder andern nicht gefällt, in ihm mündet.
Glaubt Ihr das:
Es ist der Tod der tröstet und belebt ·
In dem wir einzig ziel und hoffen sehn ·
Er giebt den trank der uns berauscht erhebt
Und mut bis zu dem abend hinzugehn.
…
Er ist der engel mit magnetnem finger ·
Der wonneträume und des schlafes bringer ·
Damit er armer menschen lager glätte.
Er ist der götter ruhm das kornverlies
Des bettlers schatz und alte heimatstätte
Das thor zum unbekannten paradies.
(Baudelaire, übersetzt von Stefan George, 1901)
Das Gedicht heißt „Tod der Armen“. Und das ist etwas anderes als die Ereignisse am Intensivbett.
Es ruft auf zu einer sich verlängernden, andauernden Situation nach dem Exit, nach dieser Krise, als wärs die letzte, obwohl wir in der anderen, dem Ende der Menschheit durch das –> Anthropozän, schon längst drin sind. (ach so, sind wir nicht? Die Börsenkurse steigen schon wieder).
Ich bin alt, und ich habe Panik nur nötig, wenn ich an meine Kinder, Enkelinnen denke und meine Familie und Freunde. Das heißt, dass ich mich leichter vom Mythos Tod trennen kann als die Jüngeren, denen die Ikone des Todes immer die Furcht mitgibt, ihr Leben könne verkürzt werden (oft haben sie ja Recht, bei uns und anderswo noch mehr).
Aber lest mal: https://www.sonnenseite.com/de/umwelt/schellnhuber-wir-riskieren-den-fortbestand-unserer-zivilisation.html (15.4.2020). Der Artikel begründet, was der Titel sagt. Sogar in der Jungen Freiheit findet sich ein Schatten davon, das gibt zu denken: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2020/schellnhuber-wer-achtlos-co2-freisetzt-gefaehrdet-das-leben-seiner-enkel/ (dto). Ihr müsst die Zeitung sonst nicht lesen. Aber das, was Schellnhuber sagt.
Und nochmal: der Tod der Armen ist noch eine Allegorie dessen, was uns erwartet, wenn das Leben ungerecht und einseitig diskriminierend ist. Das Ende der Zivilisation heißt aber, dass die nach uns sterben die Verursacher ihres Verschwinden aus der Welt bestenfalls erinnern, aber nicht mehr kennen. Der Tod ist dann kein Richter.