Der Sommer ist schon fast vorbei, es wird noch trockener. Corona bereitet sich auf eine zweite Welle vor, in der Entspannung wird sichtbar, was schon beinahe vergessen wurde: Klima, Flüchtlinge, Korruption, Rechtsradikale, …im Schatten von Corona haben die meisten Regierungen und viele Wirtschaftsunternehmen, aber natürlich auch Kriminelle und kleine lokale Gauner eine hohe Zeit – sie versuchen, die Fortschritte, die kleinen Fortschritte, der letzten Jahre zu ihren Gunsten einzuebnen. Viele wollen Trump sein (selbst Rainer Langhans, Spiegel 25, 120f.).
Nehmen wir einen Einzelfall. Der Glyphosatminister Christian Schmidt, der eine große Zahl von Krebserkrankungen und massenhaftes Insektensterben mit zu verantworten hat, wird mit einem Aufsichtsratsitz bei der Bahn belohnt: https://www.nordbayern.de/politik/frankischer-ex-minister-schmidt-sitzt-jetzt-im-bahn-aufsichtsrat-1.8759302:
„Erst kürzlich erklärte die Bahn der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) mit Blick auf Alternativen: „Leider stellen derzeit weder thermische noch mechanische Verfahren eine Alternative zum begrenzten Einsatz von Herbiziden im Gleisbereich dar.“ Eine Sprecherin erklärte, man verwende den Unkrautvernichtern nicht in Schutzgebieten, auf Brücken und über offenen Gewässern“.
Corona sei Dank hats niemand bemerkt. Solche Typen laufen scharenweise herum, Pofalla, Mehdorn & Consorten. Alle Fälle sind Einzelfälle, die hängen leider nur strukturell miteinander zusammen.
Genauso gefährlich ist es, die neue Lieblingsvokabel vorsorglich über all an den Anfang zu stellen: wir sind gegen Generalverdacht. Aha…da sich die Rechtsradikalen in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten ja strukturell ausbreiten, sind die Einzelfälle Punktmengen, die wie eine Perlenschnur versuchen, das Vertrauen in die Institutionen abzuwürgen.
Ich sage euch nicht, ob ich die Corona-App einschalte. Aber auch wenn ichs mache, habe ich kein Vertrauen, dass hier keine Bewegungsprofile kollateral mitgenommen werden, dass die App nicht Menschen ausforscht, um später Virenträger beschuldigen zu können. So wenig Vertrauen, wie dass die Bahn die Bewegungsprofile ihrer Kunden mit jeder Bahncardeingabe verfolgt (davon wird sie auch nicht pünktlicher). So wenig Vertrauen…
Immerhin ein Gutes: die neue Wehrbeauftragte Högl hat, was ihr Vorgänger nie getan hat, wenigstens die strukturellen rechten Hotspots bei Bundeswehr und KSK benannt…ob daraus etwas folgt? Entscheidend ist doch, dass die Sicherheitskontrollen bei allen KSK Mitgliedern wohlwollend über die Anschauungen und Einstellungen der höchst geheimen Verunsicherungseinheit hinweggesehen haben. Der Fisch riecht nicht an der Schwanzflosse.
Sich trotzdem an alle möglichen Gesetze, Verordnungen und obrigkeitlichen Maßnahmen zu halten, also trotz Misstrauens, ist der Vertrauensvorschuss der bürgerlichen Demokratie in ihre Repräsentanten (es hat kein Sinn, gegen die StVO (Strassenverkehrsordnung) zu motzen, weil manche Bestimmungen blöde sind; auch die Hygienemaßnahmen sollte man weder loben noch kritisieren, sondern befolgen). Das Problem ist: wo kein Vertrauen ist, braucht man politischen Widerstand nicht extra zu begründen. Das Schlüsselwort ist: politisch. Misstrauen hat nur Sinn, wenn es aus einem Gefühl sich zu politischem Widerstand wandelt. Das heißt vor allem, dass alles veröffentlicht und verhandelt werden sollte, wogegen man Misstrauen hegt (das ist ein gutes Instrument, sich auch vor blamablen Generalverdachten zu schützen – wer gegen alles nörgelt, was von oben kommt, oder was neben einem unangenehmes geschieht, kann seine Vorstellungen nicht vermitteln und nicht verhandeln (das sind die Identitären). Aber wer Misstrauen politisiert, kann zur Wahl oder zur öffentlichen Anerkennung oder zu einer Veränderung des politischen Verhaltens kommen, also zur Demokratie. So schwierig?
Karl Kraus: Der Nörgler und der Optimist – die beiden durchgehend streitenden Stereotypen in den „Letzten Tagen der Menschheit“. Dtv 1964. Beides ist, nörgeln und alle Konflikte wegblenden, fatal in Zeiten, wo das Zudecken zur Politik derer wird, die etwas zu verbergen haben, weil sie etwas vorbereiten, das noch weniger gut ist als das, was sie schon angerichtet haben (Glyphosat…NSU…)