Trumps WESTENtasche

Die Konfrontation mit den Diktaturen ist unvermeidlich, vor allem mit Russland (auch mit China). Das muss weder in Krieg noch in Chaos münden, es kann,  aber auch Neuordnung und neue Ungleichgewichte sind möglich. Ich plädiere im Zweifel für die Konfrontation, weil sie den Blick in die Ursachen von Konflikten ermöglichen – und es gilt, wie anderswo auch, „In Gefahr und höchster Not / Bringt der Mittelweg den Tod“ (Alexander Kluge). Das geht nicht gegen Kompromisse, sondern gegen die Balance der Kräfte, die nur sich mühsam auf dem Hochseil stützen, damit nicht einer abstürzt und alle anderen mitreißt.

Natürlich gibt es auch die Konfrontationen der relativ Stärkeren, Gewichtigeren, wie Deutschland, gegen die Türkei, gegen Belarus, gegen Ungarn, …, und auch indirekt gegen Indien oder Brasilien. Das ist gar nicht so schlecht wie es im Einzelfall aussieht.

Mein Problem ist das fadenscheinige Kostüm des Westens, oft identifiziert mit der Dreifaltigkeit von Aufklärung + Demokratie + Multilateralismus. Das  ist rhetorisch wirksam („Wertegemeinschaft“), Wirtschaft und Militär legitimierend („Sicherheitsgemeinschaft“), und enorm selbstbezogen (Es gibt ja keinen eindeutigen Feind wie im Kalten Krieg). Betonung auf fadenscheinig. Wer definiert eigentlich die Tragbalken unseres fortschrittlichen Gebäudes, und in welcher Absicht?

Außenpolitik ist das eine; das können viele gut und hinreichend überzeugend, damit man darüber streiten oder sich einigen kann. Aber was geschieht in dieser Situation mit uns? Was bedeutet eine bestimmte Linie von Handlungen eines einzelnen Menschen für das „Welt-BILD“ von vielen, die politisch und ökonomisch stark von ihm abhängig sind?

Trump kündigt

  • Pariser Abkommen zum Klimaschutz
  • Antirassismus Aufklärung im eigenen Land
  • Mitgliedschaft an der WHO
  • Atomabkommen mit dem Iran

Trump legt unserem Land diskutierbare, aber untragbare Bürden auf; er verletzt offen die Balance, von der ich oben gesprochen habe. Er lügt und verfolgt Menschen. Er ist ein Sexist, Rassist und er untergräbt die demokratischen Institutionen, die die USA so stark und auch vorbildhaft (in Teilen nur) gemacht haben.

Werte Blog-Leser*innen: was macht das mit UNS? Nicht einfach: was bedeutet das für die globale Situation. Dass ein Verbrecher regiert, kommt vor. Dass er wichtigste politische Handlungsfelder versaut (Klima, Corona), kommt vor. Dass man drunter wegtauchen kann, wenn ein Ausblick auf ein Ende (Revolution oder Abwahl) besteht, kommt vor. Aber es gibt keinen Ausblick.

Das ist kein Pessimismus, und kein Absacken in Resignation.  Ein Vorschlag: definieren WIR einmal persönlich, was unseren WESTEN  ausmacht. Nur für uns, nicht für den großen öffentlichen Diskurs. Der Zweck ist unter anderem zu zeigen, wie stark unsere individuelle Kultur sehr viel mehr weiß über die westliche Rahmung („Framing“ im Fachjargon) und das, was mit „Westen“ gar nichts zu tun hat.

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In einem Land, wo 25% der Menschen Migrationshintergrund haben (was nicht Seehofer, sondern die Herkunft bestimmt); in einem Land, dessen „Westbindung“ in den Nachkriegsjahren mit der jetzigen globalen Situation kaum mehr vereinbar ist; in einem Lad, das erfolgreicher als viele, aber nicht alle, multikulturelle Elemente verinnerlicht hat – und entsprechende Konfrontationen (noch) aushält; in so einem Land findet der West-Diskurs eben nicht nur am Stammtisch statt. Er dringt in unsere Lebensführung, in unseren Geschmack, in unsere kurzfristigen Ziele ein, welch letztere ja auf das Überleben im Klimakonflikt ausgerichtet sind und nicht auf Hegemonie über andere Gesellschaften.

Erste Beobachtung: wenn wir schon der Westen sind, wer sind dann die anderen: der „Osten“ ist es nicht, und Huntingtons „Clash of Civilizations“ gibt ja eine prä-Trumpistische Antwort. (Bei Trump ist wie bei Hitler: wir oder sie. Nur weiß er nicht, wer sie sind). Eine triviale, aber m.E. nicht banale Empfehlung: man kann die Beobachtung am besten durch Bildung, durch die Gewalt- und Kulturgeschichte der Eroberung der Welt erklären, und da ist der Westen entstanden, nicht aus ihm die Politik abgeleitet worden…

Zweite Beobachtung: was da, zum besten Zeitpunkt, 1776, in den USA entstanden ist, kommt von daher, und entwickelt sich von Anfang an anders als in Europa. Nicht schlimm, nur eben nicht weitgehend analog oder gar gemeinschaftlich.  Das scheint mir wichtig: dass die oft gute und wichtige Kooperation, aber auch gewaltige Konfrontation, in den Weltkriegen und nicht nur da, auf Interessen und nicht auf einem primordialen Wertekonzept beruhen, das wir anders als die Amerikaner „Westen“ nennen. Das ist die Politik-Didaktik des Durchbrechens der eigenen Tabus.

Dritte Beobachtung: „Unser“ Westen war durch Jahrhunderte auch so erfolgreich, weil er (fast) immer auch eine Komponente der ethischen Vergangenheitsbewältigung hat, bevor es an die gegenwärtigen Reformen ging. Das war in den USA anders, fast immer mehr Gegenwartsbewältigung (v.a. in 1960er Jahren). Damit waren künftige Entwicklungen leichter einzupreisen. Diese Differenz ist m.E. wichtiger als vieles andere, u.a.  die amerikanischen Modernisierungen behaupten können, sich jenseits der Geschichte zu bewegen. Und wir konnten eine Menge davon übernehmen, weil diese Modernisierungen weitgehend ohne den Ballast ihrer Geschichte bei uns ankamen.

Vierte Beobachtung: der amerikanische „Westen“ hat sich u.a. am Konflikt zwischen Freiheitsrechten und Demokratie entlang entwickelt bzw. selbst behindert. Unser „Westen“ war (und ist vielfach) der ständige Bemühen, unsere eigene Errungenschaft, den Nationalstaat, durch ein übergreifendes Konzept zu überwinden. Das kann man ganz unmittelbar in der EU am Verhältnis etwa zu Ungarn oder Polen sehen, und in vielen Fragen reicht es bis weit in den geographischen Mittelraum (Österreich!), v.a. im Kontext mit Flüchtlingen.

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Wir haben nicht die Macht, eine Feinderklärung gegen Trump mit Gewalt auszuleben. Auf die Provokation können wir nicht verzichten.

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Geneigte Leser*innen werden jetzt fragen, was das alles mit dem Westen zu tun hat. Meine Antwort ist: zu den vier Beobachtungen gibt es derart viel Material, Literatur und Darstellungen, dass ihr mich dazu nicht braucht.  Aber mich nervt, dass man, wenn man nicht mehr weiter weiß, immer auf das Residuum der westlichen Werte verweist, die uns immer noch mit NATO und den USA verbinden. Zum Westen, zur Aufklärung, gehört, dass man – wir – dass man von überall etwas aufnehmen oder es abwehren kann und manchmal muss. Die Abwehr ist so wichtig wie die Aufnahme. Mein Beispiel seit gestern ist Charlie Hebdo. Die Religion freigeben, die Blasphemie schützen. Das ist auch der Westen.

P.S. Doald Trump bettelt geradezu um Gewalt (Timothy Snyder). Ich geb nicht jedem Bettler was in oder auf den Hut.

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