Die stille Post der Zukunftslosigkeit

In meiner Jugend, also in der Jugend, die wirklich weiter zurückliegt, war der Hinweis, jemand oder etwas sei „unmodern“ fast ein Schimpfwort, während oft zum Prädikat „modern“ gesagt wurde: das verstehe ich nicht. Was also dann?

Der großartige journalistische Essayist Kurt Kister schreibt am 6.10. in der SZ:

Die Moderne nämlich, mit der sich Habermas und Kollegen so ausführlich beschäftigt haben, hat in den letzten zwanzig Jahren eine technologiebedingte, enorme Beschleunigung erfahren, sodass sie sich selbst einschließlich der Postmoderne längst überholt hat. Leider hat diese Beschleunigung keineswegs nur zur weiteren Verbreitung von Vernunft und Kompromissfähigkeit geführt, sondern in einer Art Gegenreaktion auch bei vielen Leuten die Neigung zu Irrationalismen gefördert – das reicht vom „Querdenken“ über Autoritarismus à la Orban bis hin zur präsidentgewordenen, trumpischen Zusammenballung nahezu aller gegen die Beschleunigung der Moderne gerichteten Vorurteile.

Diese Beschleunigung konnte immer beides sein: Demokratisierung und entgrenzte Verbreitung allen Blödsinns dieser Welt, und nicht selten beides zugleich.

Die Gegenreaktion kann Widerstand bedeuten, oder in einer besonders wirksamen Dialektik so zur Moderne gehören, wie der Teufel zur Gotteskonstruktion,  oder die Aushöhlung der Demokratie durch ihre eigenen Verfahren (man wählt ihre Abschaffung, nicht erst einmal).

Mit diesen Thesen könnte ich ganze Semester an der Uni gestalten und auch noch die Rückwirkungen auf den Alltag und kleine, weniger umfassende Beweisketten mitteilen. Mache ich vielleicht noch, heute aber fällt mir nur auf, dass das „Unmoderne“ einen seltsamen Reiz auch auf anscheinend aufgeklärte, „moderne“ Menschen ausübt, als eine Art habitueller Nostalgie.

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Im Feld der ganz großen politischen Philosophie – dem Postkolonialismus – ist mir aufgefallen, wie ausgerechnet der so angefeindete Achille Mbembe (Mbembe 2018) – angeblich Antisemit, angeblich anti-europäisch – schon sehr früh (2006) die Probleme, auch die Dialektik ausgebreitet hat: Übrigens unter ausdrücklichem Bezug zum jüdischen Denken, zu Bloch und Benjamin…also Vorsicht mit der selbstbezogenen Zuschreibung der eigenen Position (anti-kolonial und anti-antisemitisch) zur aufgeklärten Moderne. Mbembe: Humanität ist nicht abgeschlossen,  sie kommt zum Vorschein, wenn die kolonialen Figuren der Unmenschlichkeit – ich sage dazu nur: die Diskussion um Denkmäler und Straßennamen… – und der „rassischen Differenz“ weggeputzt sind. Nur dann lässt sich so etwas wie globale, universale Gleichheit (Brüderlich-Schwesterlichkeit im heutigen Sprachgebrauch) herstellen. Zum Unmodernen, das mir auffällt, – und das ist die Verbindung – gehört die Sucht, das Gute im Schlechten, das Wichtige und Richtige im Vormodernen, das gesellschaftlich Brauchbare vor der Demokratie zu verorten und gar zu beschönigen, und es mit den Fehlern der Gegenwart zu begründen.

Das kann man am Kitsch der restaurierten Innenstädte sehen, am scheinbar authentischen der Herkunft, die eine Identität, die jetzt zerfällt, oder an der fast genüsslichen Auflistung von Dysfunktionalitäten in der Demokratie. Ganz schnell ist man dann bei dem, was uns die Moderne genommen hat, was uns die Postmoderne nicht geben konnte, also bei Verlust

Kisters Kritik an der unkontrollierten Beschleunigung ist dabei auch wichtig: Sie kann zur Moderne beitragen insofern sie eine Zukunft heranrückt, in der die Wiederholung des immer Gleichen nicht mehr geschieht, und sie kann an ihrem Abbau mitwirken, wenn sie uns keine Zeit lässt, den Atem nimmt, an der Gestaltung dieser Zukunft mitzuwirken – und die Irrationalismen in den Händen der gewaltsamen Herrscher belässt (das hatten wir vor der Moderne auch schon, tausende Jahre lang, und danach auch noch – nur nicht immer, und oft widersprochen und im Widerstand bekämpft).

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Wieviel man bei Mbembe lernen kann, sieht man  am unverschämt offenen kolonialen Erbe des Wiederaufbaus der à Potsdamer Garnisonkirche. Am Widerstandsprojekt „Lernort Garnisonkirche“ bin ich auch beteiligt, nicht nur um dieses Erbe aktiv zu bekämpfen, sondern auch um zu zeigen, wie und wo der Kolonialismus sich in seiner „post-„Form bis heute hält und oft nicht einmal versteckt (http://lernort-garnisonkirche.de/). Der „Post-ismus“ sagt ja nicht, dass etwas vorbei ist; nur dass es so, wie es einmal war, auch nicht mehr geht. Im Volksmund nennt man das Heuchelei, aber die Monumente neu zu bedeuten, ist oft eine besonders ungute Art, den Zugang zur Zukunft zu beschränken.

Mbembe, A. (2018). What is postcolonial thinking? Widening the Context. G. Frederiksson, Nellen. Vienna, Eurozine: 165-173.

Den kulturellen Postismus meine ich ausdrücklich nicht (https://de.wikipedia.org/wiki/Postismus) – aber dass viele Menschen gerne „post-“ einem Begriff voranstellen, ist ein oft taktisches Manöver um vom wirklichen früheren Geschehen abzulenken.

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