Wenn ich einer Sache überdrüssig bin, dann dieses Beschweigens oder Murmelns von harten Sachverhalten, die man deutlich benennen kann, selbst auf die Gefahr hin, relativiert und kritisiert zu werden, anstatt kritisch selbst zu relativieren.
Vorher oder nach dem Blog bitte unbedingt lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/QAnon (außergewöhnlich differenziert). Weitere Information unter „Qanon“ im Netz. Eine Auswahl zur „Querdenken“: https://querdenken-711.de/ ¸ https://www.br.de/nachrichten/bayern/protest-gegen-corona-politik-wer-sind-die-querdenker,SGE81PF , https://www.youtube.com/watch?v=lMC_yOgCPIo und so weiter.
Despite rising coronavirus cases, incoming GOP representative Marjorie Taylor Greene strongly objected when asked to follow the rule about wearing a mask inside the Capitol. (Yahoo news 20201114) |
Gleichzeitig mahnte die Polizei, Gegendemonstranten würden es teilweise verhindern, dass die „Querdenker“ den Platz verlassen könnten. Schon zuvor hatte die Polizei per Tweet die Teilnehmer der Gegendemonstration mehrfach aufgefordert, „Blockaden“ auf der geplanten Strecke der „Querdenker“ aufzulösen. Schließlich setzten die Beamten ihre Ankündigung um, die blockierten Abschnitte mithilfe eines Wasserwerfers freizumachen. (14.11.2020 ARD 16.40)
Der Bundestag hat in der Corona-Politik seine Gestaltungspflicht verraten. Deshalb ist in den vergangenen Monaten eine Parallelrechtsordnung der Exekutive entstanden.
Es ist nicht gesagt, dass das Parlament grundsätzlich anders entschieden hätte als Merkel, Laschet und Co. – aber das Aushandeln wäre transparenter gewesen
(Heribert Prantl SZ 20201114). Ja, wenn die Exekutive dann auch genhandelt und sich nicht Föderalismus herasusgeredet hätte.
Nein, nicht noch ein Kommentar zu den tausenden Kommentaren, die meist ihre Abscheu vor den Qs zeigen und sie analytisch entweder als verrückt oder gefährlich radikal beschreiben, oft zutreffend. Wäre es nicht platt, könnte man die offizielle Haltung als gebildet, aufgeklärt, nicht anfällig bezeichnen – platt, weil es oft so, genauso gesagt wird. Die nicht offizielle Haltung ist ein Wegducken, und hier möchte ich ansetzen: die Polizei duckt weg, nicht nur in Leipzig, sondern bei den vielen zugänglichen Coronaparties – die im Übrigen gar nicht mehr versteckt sind; die Verwaltungsgerichte ducken oft weg (Bautzen, Münster u.a., keineswegs alle), indem sie scheinbar die Grundrechte sichern, um die Gefährdung von Menschenleben als hinnehmbar erscheinen zu lassen. Und HIER schließt sich ein Kreis: Die Qanons, die Querdenker, aber auch Impfgegner, andere Verschwörungsgruppen und vor allem die neuen Nazis, AfD, Identitäre usw. berufen sich auf Grundgesetz und Grundrechte und machen es der Rechten (und manchmal Linken) einfach, nicht gegen die Aktivisten gegen Coronamaßnahmen einzugreifen. Wer von denen intubiert wird, kann eh nicht mehr demonstrieren, es ist also ein gesundes Gesindel, das da sich versammelt, mit dem GG unterm Arm.
Und ich versuche, randlos, ohne Ornament zu sagen: das ist die Fortsetzung der Nazis von vor 1933.
Ich kämpfe gegen zwei Argumente: das eine ist, dass jeder Vergleich (= fälschlich „Gleichsetzung“) den Holocaust verharmlose, was de facto ja heißt, dass jede gegenwärtige Bewegung und Gefahr verharmlost wird. Das andere ist, dass man nicht vergleichen darf und kann, weil etwa die Coronagegner etwas „ganz anderes sind“. Hier ist die größte Argumentationslücke, weil das Andere nicht beschrieben oder definiert wird.
Meine Gegenposition: die Nazis vor 1933 waren
a) so heterogen wie die heutige Zusammenballung von affinen, aber nicht identischen Ideologien und mehr oder weniger charismatischen Trägern. Das heißt, man kann Herrn Ballauf oder Herrn Höcke nicht mit „den“ Nazis vergleichen; wenn ich sage, sie seien Nazis, ist das auf der anderen, zusammenfassenden Ebene (alter Witz: nicht alle Marxisten sind „Marxisten“, nicht alle Christen sind „Christen“, nicht alle Nazis sind „Nazis“; das entlastet nicht, es beschreibt).
b) durchaus in einem Spannungsverhältnis zur damaligen Rechts- und Gesetzesordnung einerseits, der bewussten Verletzung von staatlich verordneten Regeln andererseits. D.h. auch sie konnten sich auf „Rechte“ berufen und zugleich „übergeordnete Rechte“ in Anspruch nehmen. Das ist der schwierigste Punkt, weil es hier um die Legitimation dieser Inanspruchnahme geht, auch wenn es nicht die Nazis oder irgendwelche Spinner sind (Man kann auch sagen, dass diese Achillesferse der Demokratie nicht ihre Schwachstelle ist, sondern dazugehört, und man sagt einmal leider, einmal gottseidank).
c) Vorläufer der Nazis heute, die ihr 1933 hoffentlich nicht vor sich haben, aber nach 1945 ja nicht einfach von der Erde verschwunden waren. (vgl. dazu (Frei 1997, Frei 2001, Frei 2005, als Beispiel umfassender und nicht abschließbarer Geschichtsbearbeitung).
VOR 1933 waren einige Umstände, sozusagen der Rahmen der Nazientwicklung, anders als heute – sicher die Wirtschaft incl. der Krisen, und sicher die mediale Kommunikation – kein Internet, youtube und keine Fakenews in Echtzeit. Aber das Prinzip blieb das gleiche: man beruft sich auf ein von allen zu teilendes (nicht geteiltes) Allgemeines – Versammlungsfreiheit, setzt diese mit dem Menschenrecht auf Meinungsfreiheit gleich, und verlangt dann, dass man sich bei Eingriffen verteidigt. Das ist falsch. Man muss erklären können, sich aber nicht gegen die falsche Prämisse verteidigen, da hat man schon verloren. Das nutzen manche Gerichte, manche Polizeikräfte, manche Politiker aus – und Corona verbreitet sich.
Wenn ich sagte, jede Anti-Coronademo ohne Abstand und Masken töte so und so viele Menschen,
wenn ich sagte, jeder Gottesdienst infiziere mehr Menschen als nötig, (warum eine Infektion im Namen Gottes besser sein soll als eine im Wirtshaus oder in der Profisportmannschaft, soll mir jemand erklären),
wenn ich sagte, jeder Missbrauch der Meinungsfreiheit als Hinweis auf unrechte Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit beschädige die Grundrechte, (man, ich, muss deutlich sagen, dass Meinung nicht Wahrheit ist).
dann nähme ich das Strafrecht, die staatliche Exekutive ins Visier: handelt konsequenter etc. Aber an einem Argument von Steinmeyer und Merkel ist auch etwas dran, dass die „bloße“ Kriminalisierung der Coronaleugner, Qanons, Impfgegner und esoterischen Verschwörer nicht ausreicht. Ja, möglicherweise ist es wirklich nicht der Staat, der vorrangig Abhilfe schaffen kann, weil er – per Definition – sich selbst schlecht erklären kann, wie alle Macht.
Aber andererseits muss man die Nazis, die sozusagen die alten Nazis in neuem Gewand sind, ernst nehmen. Das sind keine Neonazis oder Nazis light. Sie sind Antisemiten, sie gefährden Menschenleben, sie vergiften unsere Sprache – allein ihre hybride Vergewaltigung von Freiheitsbegriffen, und dem müssen – und können! – wir entgegentreten. Das setzt vielleicht auch Demonstrationen und Versammlungen und Attacken in Gang, die sich nicht nur durch AHA von denen der Nazis unterscheiden, sondern unsere Alltagspraxis stärken.
Und ich wünsche mir eine Diskussion, warum die Demos der Coronaleugner, mit oder ohne AfD, wirklich Nazis sind, und das nicht die alten Nazis verharmlost und nicht die neuen dämonisiert – es sind ganz gewöhnliche Deutsche, auch.
Frei, N. (1997). Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München, Beck.
Frei, N., Ed. (2001). Hitlers Eliten nach 1945. München, dtv.
Frei, N. (2005). 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. München, Beck.