Knappe Höschen und große Lügen

In der Therme in Duisburg sind knappe Höschen verboten

„…Der Grund: In der Vergangenheit hatte es immer mal wieder Beschwerden von Familien mit Kindern gegeben, die sich von den knappen Höschen gestört fühlten. „Stringtangas gehören nicht in ein Wellness- und Gesundheitszentrum. Wir sind ein Standort, wo viele Kulturen aufeinander treffen. Freizügigkeit wird nicht immer von allen Besuchergruppen toleriert“, sagt die Sprecherin gegenüber der WAZ.“ (https://www.rtl.de/cms/in-der-therme-in-duisburg-sind-knappe-hoeschen-verboten-4630297.html)

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Sprache ist verräterisch. Einerseits treffen am Standort Beckenrand viele Kulturen aufeinander – d.h. es ist immer eine Gruppe dabei, die etwas auszusetzen hat an zu viel oder zu wenig Stoff, der die Genitalien von badenden Menschen bedeckt. Andererseits sind es Familien mit Kindern, die sich beschweren…Kindern ist Nacktheit und Entblößung meist egal, da lamentiert eher eine Gattin über die fehlgerichteten Blicke ihres Mannes, oder sie wäre gerne so wie die provozierenden Tangistinnen… Naja, das ist halt die etwas gewöhnliche Pendelbewegung Richtung Prüderie, die mit den Rechtstrends der  Gesellschaft einhergeht.

(Die Nackerten sind nun wirklich nicht mein Problem, aber ich habe diesen Karnevalseklat der Duisburger zufällig von Anfang an verfolgt).

Es sind nicht „alle Besuchergruppen“, die Freizügigkeit „nicht immer tolerieren“. Dieser Satz bekommt den Oscar für Dummheit und Gemeinheit. Wenn alle Besuchergruppen Freizügigkeit tolerierten, müsste erst einmal das F-Wort definiert werden.  Oft ist ganz nackt schöner, oft wünscht man sich bei Männern einen Badeanzug wie Thomas Manns aus den 20er Jahren, oft ist die Verhüllung den Gesetzen der Mode so unterworfen wie die der provokante Tabubruch. Also, welche Besuchergruppen, ihr Love-Parade mitschuldigen Duisburger? Wer toleriert nicht? Belege…und Widerspruch.

Es gibt eine Gruppe von Männern, die sich dem Gebot der Unverhülltheit in der Sauna widersetzt; entweder Saunaverbot erhält oder sich grimmig fügt und im Schwitzkasten mit einem Handtuch einwickelt. Die Begründung für das Genitalverhüllungsgebot ist hygienisch und gesundheitlich, nicht ästhetisch (bei der Hitze sieht man eh nicht so gut, erst recht nicht in der gemischten Sauna, da gilt das Verbot ja für beide Geschlechter, und annähernd 100% der BesucherInnen haben mit der Darbietung ihrer Körper an die hohen Temperaturen kein Problem).

Duisburg privilegiert also bestimmte Gruppen. Ist das wichtig? Leider ja. Ratet einmal, welche Gruppen gemeint sein können…“Familien mit Kindern“, das möchte ich einmal statistisch untersuchen dürfen, aber dazu brauchen wir genügend Anschauungsmaterial unterschiedlicher Badebekleidungsträgerinnen.

„Privileging the Marginalized“ ist eine eminente soziologische Theorie: an den Rand gedrückte Minderheiten können besondere Vorrechte erhalten, um den Preis, dass sie sich „outen“, d.h. dass z.B. die Familien mit Kindern den Grund angeben, warum sie keine Stringtanga-Frauen sehen wollen, kein Wort von knappbehosten Männern oder hässlichen Motiven auf einteiligen Badeanzügen. Dazu sagt Duisburg nichts, weil sich ein politisch korrekter Automatismus bereits verfestigt hat.

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Schluss damit: so wichtig ist es auch nicht. Duisburg vergessen ist auch eine Gegenstrategie.  Aber verallgemeinert können wir daraus etwas lernen. Der sexistische, rassistische, lügenhafte und menschenfeindliche sogenannte Präsident der USA ist stolz darauf, Pussy-Grabbing als Praxis erwarteter Anerkennung für sich in Anspruch zu nehmen, muss ja nicht im Weißen Haus gewesen sein. Wir – BlogSchreiber und LeserInnen – würden diesen Sprachgebrauch wohl nie annehmen, und für die Satire bräuchte man einen Kontext. Das Gleiche gilt für die rassistischen Ausfälle, für die Rechtsbrüche, für die Beihilfe zur Tötung hunderttausender CoVid Opfer in den USA – aber wenn der POTUS zu Staatsbesuch kommt, empfängt ihn eine „Ehrengarde“.

Die knappe Badebekleidung war nicht nur ein Element ästhetischer und/oder gesunder „Wohlfühl“-Haltung (Bräunen, Frischluft etc.), sie hatte auch mit veränderten Konventionen zu tun (vom Flirtfaktor bis zur Provokation. „Vulgarität ist Leben, der Geschmack ist tot“, sagte Mary Quant in den Sechzigern und erfand kurzerhand den Minirock.“ (um 1960…viel dazu im Netz). Der Satz ist Satire, denn Vulgarität ist kein Gegensatz zu Geschmack. Zum String Tanga gibt es ähnliche Geschichten, 1974 war er eine Antwort auf eine Verordnung im prüden Duisburg, äh, Los Angeles natürlich (https://bellevue.nzz.ch/mode-beauty/der-tanga-wird-heute-wieder-sichtbar-getragen-warum-ld.1494132) und wenn man sich die pornographische legale Werbung auf den betroffenen Websites bei Google ansieht, dann versteht man a) dass Geschmack nicht immer guter Geschmack ist, und b) dass Geschmack sehr wohl politisch die bloß subjektive Meinung überschreiten kann. Das mit den Familien mit Kindern ist vorgeschoben im Wellness-Center von Duisburg.

Warum das mit Trump in Verbindung bringen? Weil wir „natürlich“ unsere Kritik nicht an seinem schweinischen Verhalten unterhalb der Gürtellinie festmachen, obwohl sie von Anfang seiner präsidentiellen Karriere im Raum steht; der entscheidende Punkt: sie ist Teil seiner Politik. (Wie man m.E. richtig damit  umgeht, ist in einer Analyse von Trumps Politik gerade einmal eine Seite explizit dem Thema zu widmen, aber deutlich zu machen: das ist Teil seiner Politik (Rucker and Leonnig 2020, 200). Wie man damit auch umgehen kann (Stormy Daniels bei Jimmy Kimmel: https://www.youtube.com/watch?v=5Ji8i7Wy4mo). Aber das würde ein einseitiges Licht auf Trump werfen: er ist nicht nur ein Sexist,  er ist auch ein Rassist, Lügner, Kriegstreiber usw. Und damit bin ich bei Duisburg. Einen Aspekt herausgreifen – das Missfallen der Familien mit Kindern – verzerrt das Problem bis zur Unkenntlichkeit – und verdeckt die wirklichen Hintergründe. „Nicht nur“ ist hier ganz wesentlich, so wichtig wie bei einer Analyse von Trumps Politik.

Wirklicher Zufall: Gerade hat Trump  den Lügner  und Intriganten begnadigt, da lese ich in dem zitierten Buch die Anfänge von Trumps Zuneigung zu diesem Mann (a.a.O. 11-14). Das ist vielleicht für die Weltpolitik wichtiger als sein Sexismus. Sein rassistisches Verhalten ist vielleicht für die weitere Entwicklung der amerikanischen Demokratie wichtiger als sein Sexismus. Aber für die Gender Debatte, für die ethnische Emanzipation, für die Bildung und das Selbstverständnis einer gespaltenen Gesellschaft sind die sexistischen Aspekte eben auch wichtig.

Nicht nur, sondern auch in Duisburg. „Das Große bleibt groß nicht, und kleine nicht das Kleine….“ (Bert Brecht).

Rucker, P. and C. Leonnig (2020). A Very Stable Genius. New York, Penguin.

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