Fortsetzung der Spaltung

Eigentlich wollte ich über etwas schönes, erfreuliches schreiben: den Schnee vor meinem Fenster. Aber:

Österreich…egal, gilt auch hier und überall.

Tanners Stabschef will Äußerungen von Soldaten reglementieren

Das Verteidigungsministerium will Meinungsäußerungen von Soldaten und Soldatinnen in der Öffentlichkeit reglementieren. Der Stabschef von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), Generalmajor Rudolf Striedinger, hat einen Erlass formuliert, mit dem „unerbetene öffentliche Meinungsäußerungen von Ressortangehörigen“ untersagt werden sollen. Das mit 19. Jänner datierte Papier liegt der APA vor.

Im Ministerium bestätigt man den Vorstoß und argumentiert mit unangebrachten Auftritten von Bundesheer-Angehörigen im Internet. So trat etwa ein Brigadekommandant in einem Interview auf Facebook in einem T-Shirt mit einem Neonazi-Spruch auf und wetterte dort gegen „die da oben“. In einem anderen Fall verbreitete eine Soldatin online CoV-Verschwörungstheorien. (Orf online 7.2.2021)

Protest kommt von Liberalen und anderen, die Zensur schreien und sie fürchten.

*

Gerade nimmt die Diskussion zu, was auf der Bühne, im öffentlichen Raum, vor allem in der Kunst gesagt werden darf, und von wem. das geht über die fatale Doppelgesichtigkeit politischer Korrektheit weit hinaus. Black lives matter spielt  da hinein, die tatsächliche und die gefühlte Unterbesetzung von Positionen mit Frauen, mit LGBTY, mit Behinderten. Tritt man dem Thema zu naiv entgegen, erntet man Unverständnis oder unmittelbare Ablehnung. Dem universalistischen Weltbild tritt eine Differenzierung entegen, die selbst dort noch differenziert, wo als Resteinheit eine mehrschichtige Persönlichkeit übrigbleibt, deren einer Teil emanzipiert ist, während der andere noch kolonisiert oder rassistisch sich äußert.

Der umstrittene Philosoph Markus Gabriel[1] hatte heute mein Ohr, als er u.a. meinte, dass es durchaus möglich sei, dass ein Mensch, ohne etwas zu wissen (dass es nämlich keine Rassen gibt) sich rassistisch äußere und zugleich unentschuldbar auch Meinungen vertrete, die dem eigenen Universalismus widersprächen. (Er meinte Kant).

Die alte Diskussion: darf ein Weißer den Othello spielen, darf ein Schwarzer den Jago spielen? Darf man Shylock überhaupt unverändert zitieren? DARF MAN…so fangen schon falsche Fragen an. Eine der wichtigsten Unterscheidungen wird schon vor der Klammer unterschlagen: gelten für die Kunst die gleichen Regeln wie für die Politik? Und die nächste Frage: darf man äußern, was einen andern Menschen oder eine Gruppe kränken kann?

Kann, nicht gewiss kränkt.

Die einfachste Antwort ist: wenn der Einzelfall Anlass zum Generalverdacht gibt, dann muss es Gesetze oder wenigstens Rechtsverordnungen geben, aber der Generalverdacht muss belegt werden. Ob es um Rechtsradikale beim Militär geht oder um eine rassistische Tendenz bei bestimmten Kunstschaffenden geht, der Verdacht reicht nie und die Evidenz muss sich mitteilen lassen und nicht im Zirkelschluss bei denen bleiben, die die Konsequenzen für alle ziehen – meinen, ziehen zu dürfen: die Exekutive, Gerichte, die Medien.

Die komplizierte Antwort hat zwei Ebenen: den Kontext und die Rezeption. Dazu kommt das Prinzip des Umkehrverbots.

Kontext :

Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen scheinbar gleichen Aussagen in Politik und Kunst. Politik will und soll etwas bewirken und ist auf verschiedene Konsense, z.B. einen demokratischen und rechtsstaatlichen,  auch ein schützenden angewiesen. Kunst will und muss dort agieren, wo die Politik nicht agieren kann, man könnte von einem vorausgesetzten Dissens oder einer Provokation sprechen, die entweder von der Politik eingeholt wird oder aber ihr entgegensteht. Das sollte sich auf die Meinungsbildung der Menschen auswirken, man kann es auch Freiheit nennen. Damit das nicht abstrakt klingt: spielt das einmal an der Diskussion um Privilegien für Geimpfte durch oder an der Meinungsfreiheit für Verschwörungstheoretiker.

Wer was in welchem Kontext wie rezipiert, ist nicht unwichtig. Am Beispiel der Satire, die m. E. alles darf, habe ich das mehrfach beschrieben. Aber nicht nur Satire. Beide, Politik und Kunst, müssen aufklären, d.h. über den Normalpegel des Verstandenen und Selbstverständlichen hinausgehen. Beim politischen Handeln gelten u.a. Mehrheiten und Loyalität zu den Gesetzen. Bei Kunst jedenfalls niemals existierende Mehrheiten, vielleicht angestrebte. Damit das nicht abstrakt klingt: spielt das einmal an Shylock durch oder am Verbot zeitgenössischer Literatur an einigen amerikanischen Schulen.

Umkehrverbot:

Es hat nachweislich auch unter Nazis,  selbst SS-Leuten, einzelne gegeben, die menschlich gehandelt haben; auch unter Stalins Schergen, in jeder Diktatur. Deshalb kann man noch lange nicht die Nazis, Stalinisten in ihrem Verbrechen abmildern oder dies als Argument gegen Kollektivschuld verwenden.

Zurück an den Anfang: in den österreichischenund deutschen Sicherheitsbehörden gibt es faschistische Netzwerke und damit kein Generalverdacht entsteht, muss man die Netzwerke zerschlagen, mit legitimer Gewalt,  die vom Staat und „Volk“ ausgeht. Gegen solche Gegenmaßnahmen zu protestieren heißt, die konkrete Minderheit der Nazis u.ä. im Militär zu schützen, unter Zitieren der vornehmsten Verfassungsartikel, etwa der Meinungsfreiheit. Das ist eine illegitime Umkehrung.

Coda:

Privileging the marginalized heißt eine Politik,  die Minderheiten Vorteile in der Normalgesellschaft erlaubt, damit sie auf die Nachteile ihres Minderheitsstatus aufmerksam machen können. Sie werden sozusagen veröffentlicht und dadurch geschützt.  Will man den Brigadier und die Verschwörer in Österreich schützen? Umkehrung der Freiheiten gilt nicht.  sowenig wie die Verallgemeinerung des österreichischen Erlasses hingenommen werden kann, so wenig gilt die Verteidigung des anlassgebenden Einzelfalls.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Gabriel 20210207

2 Gedanken zu “Fortsetzung der Spaltung

  1. Die Schwierigkeit mit „Privileging the marginalized“ ist aus meiner Sicht, dass die Marginalisierten immer wieder neu definiert werden. Zum Beispiel: Heute ist es die HBTI-Community, morgen sind es People of Color in der HBTI-Community.

    Aus meiner Sicht sind die Marginalisierten in der Bundesrepublik Deutschland die Gastarbeiterkinder, die in den 1970er und 1980er Jahren geboren wurden, die Russlanddeutschen und die Ostdeutschen in ihrer Gesamtheit.

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    • ja und nein. der begriff ist ein fachterminus, der bedeutet, dass man sich als marginalisierte outen muss, muss, um für privilegien, die meist politisachen hintergrund haben, ausgewählt zu werden. das ist in den usa zt. bei sexuellen minderheiten oder bei nicht-weißen erfolgt, man kann das auch in der vergangenheit bei der kunst sehen, zb. tbc bei künstlerInnen. wichtig: die privilegierung muss nicht stattfinden, und ohne outen kann sie nicht stattfinden, weil sonst die definition als marginalisierte, wie sie ja richtig schreiben, gar erfolgt. das wäre dann die normalität einer reform zu mehr gerechtigkeit oder gleichheit

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