Erinnerung und Schuld

Es ist nicht gut, die eigene Geschichte mit weltpolitischen Ereignissen zu verknüpfen, und sich selbst eine Rolle zuzusprechen, die man immer nur dementieren kann. Zwischen dem „Ich war dabei“ und „Ich habe dies und jenes getan“ gibt es mehr als eine sachliche Differenz. Und schon bin ich mittendrin, deprimiert, zornig, resigniert und, mir selbst unheimlich, dabei ganz ruhig, als dächte ich nach über das Was nun? Was tun?

Aber dann doch: was aus einem grantigen Abschied von UNMIK folgte, war eine zweitägige Begegnung mit zehn Rektoren afghanischer Hochschulen, eine Rheinfahrt und Diskussionen über den möglichen Beitrag zur Gesellschaftsreform über die Universitäten und die Lehrerbildung, und die Entscheidung, im Herbst 2003 das erste Mal nach Kabul zu fliegen.

Es sollten 15 Jahre hin und zurück werden, 14 Aufenthalte dort, einen abgebrochenen Flug aus Angst vor Angriffen, und nach drei beinahe schlecht verlaufenen Situationen die 2018 Entscheidung, nicht mehr hinzufahren. Seitdem habe ich noch Analysen und Bewertungen angefertigt, mich mehr um Flüchtlinge und die afghanische Diaspora gekümmert, und habe auch unter der schnell sich verkürzenden Halbwertzeit von Expertise und Kommunikation mit bekannten Menschen dort und wissenschaftlichen, politischen, medienaktiven und – wichtig – persönlichen Kontakten hier.

Einigermaßen sorgfältig dokumentiert, viele Essays, Kurzberichte, einige Forschungsergebnisse, Briefe, Gesprächsvermittlung, nicht allzu viele Emotionen, aber ständig wachsende Anteilnahme an der unglücklichen Entwicklung einer arg geschundenen Gesellschaft.

Sagt einer: er beleuchtet sich doch…sag ich zurück: bleib einmal neben ganz vielen anderen Dingen mehr als 15 Jahre bei einer Sache, ein Viertel des erwachsenen Lebens, bei einer Sache, die vom ersten Augenblick an aus einer Mischung von Hoffnung und Kritik erwachsen war.

*

Heute, ja, die letzten Tage und Stunden, heute, 16.8.2021, die Taliban in Kabul und die Kommentare überschlagen sich: im abwechselnden +Modus a) wir haben das immer schon gewusst, nur hat niemand auf uns gehört, b) wir sind überrascht, wie schnell die Taliban an die Macht gekommen sind, man hat uns schlecht informiert, c) wir haben Fehler gemacht, die USA haben Fehler gemacht, die Afghanen haben Fehler gemacht, d) Syrien 2015 wiederholt sich (=Millionen Flüchtlinge drohen, bei uns Schutz zu suchen), e) Deutschland in Afghanistan war ein, ein teilweiser, kein Misserfolg.

Innehalten, für einen Augenblick: die Schuldfrage kommt früh genug auf den Tisch – obwohl sich manche der Hauptverantwortlichen schon in der Entschuldigungsstrategie üben und sie wahlkampfgerecht aufbereiten. Innehalten heißt dem entgegenzuhalten. Widerstand gegen eines bewertende Erinnerungskultur einer zu wenig reflektierten nationalen Rolle in einem gewaltigen Drama.

Was in diesen Tagen geschieht, wird unausweichlich Teil der Erinnerungskultur. Nicht bei allen steht die unmittelbare Lebensrettung im Vordergrund, Rettung von Deutschen aus Afghanistan, von Ortskräften, von weiteren Hilfebedürftigen an der Schwelle der Exekution durch die Taliban, an der Rettung der Familien dieser Menschen.

Mit vielen Freundinnen und Freunden bin ich mir in einer Bewertung einig: Richtiges, das zu spät geschieht, kommt eben zu spät: Flugzeuge senden, Visabürokratie aussetzen, Einzelfallprüfung durch kollektive Solidarität ersetzen.

  • An dieser Stelle bitte den Blog Rückkehr ins Elend vom 13.8.21 lesen: michaeldaxner.com

Die Erinnerungskultur beginnt heute. Sie geht nicht zurück „bloß“ auf die Bonner Konferenz von 2001, nicht auf erste Periode der Talibanherrschaft, nicht auf die Periode der Mujaheddinherrschaft, auf das Ende von Najibullah, auf die sowjetische Okkupation, auf kurze und bösartige Republik, die Monarchie usw. Nein, nicht einfach Geschichtsaufarbeitung, sondern genauer: was hat das mit Deutschland zu tun, mit uns? Mit der EU, mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen, mit den erfüllbaren und unmöglichen Aufgaben der Bundeswehr, obwohl das jetzt die deutschen Diskurse bestimmt. Fragen wir: was hat das mit dem Leben der AfghanInnen zu tun, mit den Frauen, Mädchen, Kranken, Minderheiten und Intellektuellen, Studierenden und Lehrpersonen, KünstlerInnen und dissidenten Geistlichen….? Deren Erinnerungskultur gibt es nicht, dafür Überlebenskampf, physisches und seelisches Überleben und die Zukunft stehen auf dem Spiel.

Das werde ich weiterverfolgen, man wird es hier und anders wo lesen können, aber andere machen das auch, und viele kompetenter und besser. Im Übrigen arbeite ich an der Einrichtung eines Afghanistan Archivs, zur Zeit auf privater Basis im RZ Potsdam, ich ziele darauf ab, dass es an die Uni Potsdam kommt. Relevante Dokumente und Materialien sind willkommen. Aus den Lehrveranstaltungen haben sich viele Studierende interessiert gezeigt, auch für die wird die Erinnerungskultur wichtig, der erste große deutsche Kriegseinsatz in ihrer Generation.

*

Zurück zu meinen 15 Jahren. In meiner Erinnerung sehr viele Namen, Gesichter, Beziehungen untereinander, Erlebnisse und Erfahrungen aus Zusammenarbeit, Konflikten, Reisen nach Deutschland und natürlich meine Zeiten in Afghanistan, hier keine Bilanz, was war „gut“ oder richtig und was war “schlecht“ oder falsch? Diese lange Zeit hat natürlich meine Biographie beeinflusst, meine Lernprozess – kurz: von der Hochschulpolitik zur Konfliktforschung und Interventionssoziologie…aber was sagt das schon? Was mich heute bedrückt: auf absehbare Zeit keine Namen von AfghanInnen, weder dort noch hier zu nennen, es würde Menschen gefährden. Viele Erinnerungen verkommen zur Anekdote. Wenn man nicht sagen darf, um wen es konkret geht, kann man weniger deutlich sagen, worum es in der Sache geht. Auch steht nicht die Wissenschaft im Vordergrund, sondern sozusagen eine wissenschaftliche Lunte legt an die politische und gesellschaftliche Bewertung dessen was geschieht und wie es erzählt wird. Damit wenigstens für mich und meine Kreise nicht geschieht, was bis vor kurzem gedroht hatte: dass Afghanistan vergessen wird und zurücksinkt in die irreale, virtuelle Welt einer Art von Karl-May-Erzählung. Mich bedrückt das, aber wenn man sich die Unfassbarkeit einer Rechtfertigung des Zapfenstreichrituals in ein paar Tagen anhört, glaubt man nicht an einen Lernprozess der Verantwortlichen in der Regierung.  Mich bedrückt auch, dass vom ersten Augenblick 2003 die deutsche Ambivalenz – vorgetäuschte Souveränität und großspurige Humanitätsversprechen hier – schlechte und wenig wirksame Praxis oder verstecken hinter den wirklich wichtigen Akteuren dort beobachtbar, beschreibbar war – und mich bedrückt meine Zurückhaltung in den viel profilierter notwendigen Auseinandersetzung mit Politik, Medien, Militär, und beispielhaft im Hochschulbereich: damit meine ich natürlich auch die AfghanInnen, nicht nur deutsche oder internationale Akteure. Noch mehr bedrückt mich, wie vergleichsweise wenig ich von diesem Land mitgenommen und mitbekommen habe, obwohl ich sicher privilegiert war und mehr als die meisten aufnehmen, „studieren“ konnte. Gut, mit dieser Bedrückung kann ich fertig werden, hoffe ich, nicht aber mit den 15 Jahren, die von Einsichten und Irrtümern, aber auch von „Zeitverbringen“ gekennzeichnet waren, vom Altern in einem unendlichen Konflikt, wie der im Nahen Osten…

Mit dem ersten Hochschulminister, Sharif Fayez, war ich von Anfang an befreundet und habe viel mit ihm zusammengearbeitet. Seinen Namen kann ich nennen, er ist vor zwei Jahren gestorben. Bei und mit ihm habe ich nicht nur Kultur und Landesgeschichte gelernt, sondern auch Einblicke in Netzwerke und Kommunikation erhalten, die bei uns so nicht möglich wären, im Guten wie im Schlechten. Hier gilt es eine Erbschaft zu verwalten, anders als bei vielen mehr oder weniger prominenten Bekannten, die mich nicht einfach Afghanistan durchschauen ließen…aber dann doch die eine oder andere Einsicht vermittelten, die mit dem Offiziellen so wenig zu tun hat wie das Verhalten der meisten Bundeswehrangehörigen vor Ort. Auch hier entstehen Erzählungen. Die mit dem heutigen Tag eine andere Form bekommen, und wieder ein Vorher und Nachher.

Das prägt auch die Lehrveranstaltungen, Vorträge und die immer seltener werden Artikel…siehe oben: Halbwertzeit. Was in diesen Tagen lebendig wird ist die Beobachtung, wie die Geretteten – die trotz Seehofer, BAMF, Maas Geretteten in Deutschland um ihre Angehörigen in Afghanistan bangen, wie sie kommunizieren, wie ungeschminkt die Nachfrage nach Hilfe und das Eingeständnis von Ohnmacht einen konfrontiert. Die Grenzen von Eingreifen, aber auch nur von Bitten, Resolutionen, Kontakten werden deutlich, rücken das Bild zurecht, das man von sich gerne hätte.

Wie gesagt: die Politik, die Schuldzuweisung, die Kritik, all das wir unvermeidlich kommen. Die es jetzt schon in den Wahlkampf einspielen, sind eher erbärmlich als böswillig, aber viele Verantwortliche sind moralisch überfordert. Das ist auch ein Auswahlkriterium für Politik…

Bitte nicht lachen: so beschreibt der Computer heute Bilder, automatisch. damals gab es viele gespendete PCs, aber keinen Strom und kein Internet-

Ein Bild, das Himmel, draußen, Baum, Person enthält.

Automatisch generierte Beschreibung2003: der erste Wächter

Ein Bild, das Gebäude, Person, Mann, stehend enthält.

Automatisch generierte Beschreibung2003: Taliban hinterlassene Universität

2011: Sharif Fayez, erst Minister, dann American University

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