So neo lieber nicht

Nathan Gardels, Noema Editor-in-Chief:

While our species, unique in its capacity to envision a future and plan its behavior, stumbles toward climate action in the misty precincts of Scotland this week, the rest of nature can’t wait. It is moving on in evolutionary resilience, one organism at a time, flexibly adapting to human-induced planetary warming.

This capacity to conjoin “urgency” with “agency,” biologist Thor Hanson writes in Noema, is a lesson humankind needs to learn sooner rather than later if it is going to either avoid the tipping point of no return in despoiling our only livable biosphere, or figure out how to survive after the fact.

“In nature, the responses of individual organisms determine the fate of populations, species and entire ecological communities,” he writes. “The same pattern applies to society. Addressing climate change requires a fundamental cultural shift in our relationship with energy, from how we produce it to how much of it our lifestyles demand. That makes individual action more important, not less so, because it is the collective behaviors and attitudes of individuals that define and change a culture. Yes, we need stronger climate policies and strong leadership to carry them forward, but those things will be the results of cultural change, not the cause of it.”

                                                                                              (NOEMA, NOVEMBER 6, 2021 – Berggruen Institute)

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Ja, die Neoliberalen predigen die Verantwortung für sich selber, dann wird schon alles gut: schließlich willst du ja auch nicht, dass die Welt zu deinen Lebzeiten untergeht oder du stirbst vor der nächsten Dividendenausschüttung und Erbschaft…Und wie trägt man die Verantwortung? das weiß nicht nur der Lindner nicht, da haben sie Probleme, denn das gehört nicht zu den konkreten Dingen die man tut, und wenn diese Vorstellung revolutioniert ist, kann die Wirklichkeit gut standhalten: ich habe halt verantwortlich an dies und jenes gedacht. Greta Thunberg: Blablablah…richtig. Aber das Volk, das hörts gern, denn die „die“ nichts tun, dann brauchen „wir“ auch nicht so schnell zur Praxis greifen.

Geh ich aus dem Haus, stehen da die SUVs in Reihe. Geh ich an der E-Tanksäule vorbei, stehen da riesige Autos; nichts ist einfacher, als diese Klimadeppen zu kritisieren. Aber selber, was macht man selber? Trennt man den Biomüll vom Plastiksack, in dem man ihn gesammelt hat? Dreht man das Licht aus, jedesmal wenn man den Raum verlässt? Verzichtet man auf Rindfleisch wegen des CO2, und weniger weil die Tiere leiden? Wo kippt das eigene Verhalten in sektiererische Vorbildfunktion für all diejenigen, die einem ohnedies nie zuschauen?

Solche Fragen erlebe ich viel häufiger, als ich vor, sagen wir, zehn Jahren, noch gedacht hätte. Oft gibt es leichte, folgenarme Kontroversen unter Freunden – Mülltrennung, Müllvermeidung, das gehört genauso zum Lebensstil wie Kleidungsstoffe, Möbel aus Naturholz, und immer wieder essen.

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Trivial? Alle schimpfen auf die zögerlichen, heuchlerischen Politiker, die in Glasgow nichts wirklich praktisches vereinbaren, die ausmalen, was wir alle wollen, aber nicht entscheiden, was sie tun wollen, wenn sie es können, und was sie können, d.h. wenn sie die Widerstände brechen können und nicht mit Rücksicht auf sie faule Kompromisse machen.

Dies alles ist bekannt, also spinnt diesen Faden weiter und kommt zu den richtigen politischen Schlüssen. Mich beschäftigen noch einige andere Aspekte des gleichen Phänomens: da geht es nicht ums Klima, sondern um Corona, und auch hier wird der Kompromiss mit den Leugnern, Verschwörungsrechten, Verweigerern, Egoisten – leider auch mit den Dummen und Uninformierten, schon angeboten, bevor er verlangt wird. Und auch hier muss man die obige Frage, ob das Verhalten, also die Lebensführung, der Lebensstil die entscheidenden Variablen für das Kollektiv sind, durcharbeiten.

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Natürlich ist die Antwort: „Beides“ immer einfach naheliegend. Aber beides zugleich ist oft sehr schwierig und manchmal rechtlich unmöglich: z.B. individuelles gesundheitsschädigendes Verhalten durch Behandlungsverbote grob fahrlässiger Gesundheitsverweigerer zu steuern. Die Situation verbessern und Gerechtigkeit durchzusetzen sind oft gleichzeitig nicht möglich, und dann muss das Verbessern Vorrang haben, auch vor der Rechtsprechung, auch vor der ständigen Frage nach Schuld & Sühne. Das sage ich mir, und es geht mir nicht gut dabei.

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Das berühmte „…denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern“ (Rilke 1908) kann man gut zu Feiertagen sagen, aber worin das Ändern besteht, kommt nicht einfach aus „Archäischen Torso Apolls“, das heißt, es kommt schon daher, aber da ist erst einmal das Nachdenken, was es heißt, sein Leben zu ändern. Das kann einer allein anfangen, aber nicht fortsetzen. Welche Grenzen wir überwinden müssen, in der Familie, im engeren Umfeld, in der Politik, um auch nur eine Bedingung zu ändern, unter der wir leben, mit der wir so nicht weiter leben wollen… (ja, wir, jeder von uns, könnte sich da schnell umbringen, aber wenn wir nicht so weiter leben können, haben wir wenig Alternativen dazu, etwas zu ändern, das ist noch unser „Leben“, aber es gehört schon dazu, oder wir treten dem Verein der lebendig Begrabenen bei, was eine neoliberale Vorstufe der Hölle ist…

Politik fängt nicht bei der Politik an, sondern bei dir und bei mir, und das Ändern stößt schnell auf Widerstand, und wie man sich dann verhält, das kann entscheidend sein. Beim Klima, bei den Flüchtlingen, bei Corona, auch beim Beenden des Selbstbetrugs, dass es darauf, was man gerade unterlässt, ohnedies nicht wirklich ankommt. Wirklich? Noch einmal anders: man kann sich durchaus dauernd selbst denken, aber man kann nicht immer nur an sich selbst denken. Oder das Man sagt nie „ich“.

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Die Rücksicht auf die Grundrechte der Impfverweigerer, der Klimaverderber, die Vorstellung, man selbst könne die Grenze so einfach ziehen hat den Nachteil, dass diese Form der Selbstverkleinerung dem Großen Ganzen, dem Klima, der Gesundheit vieler, dem Überleben mehr schadet als der immer nur beschränkte Erfolg, den die Praxis von Einzelnen haben kann. Wir werden es nicht mehr erleben, weil wir schon mittendrin sind.

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