Schön wärs, wenns ein Druckfehler wäre.
Der Mai schwindet schnell dahin, der Frühling ist trocken, man begrüßt jeden Regentropfen, aber es deutet sich an, was wir wissen. Keine Zeit für Müdigkeit?
Weil Krieg ist und weil das Unvorbereitete immer auch die Wahrnehmung des Un- und Unterbewussten schärft, reagieren die Menschen auf mehr als nur Covid, Affenpocken, und die Politik. Nervosität ist zu einem Alltagshabitus geworden, außer für die, denen Lethargie gerade recht kommt.
Man schaut nicht ungerührt, aber unangerührt, auf die Folgen des Kriegs für die und in der Ukraine. Zehntausende Tote, Städte, Einrichtungen, Verkehrswege zerstört, und man redet von Wiederaufbau, als ob er gewiss und in Reichweite wäre, also die Ukraine einen Verteidigungskrieg bald gewinnen würde und Russland seinen Angriffskrieg verloren geben müsste. Die Flachen flüchten sich in Putins Krankheit oder die russische Regimewechselclique, die Informierten kommentieren sich um ihre Stimme. Die Normalen versuchen weiter zu helfen, die Schlagzeilen sind längst wo anders, in Davos, im Budgetausschuss, bei den wenigstens Sichtbaren im Regime.
Keine Angst: ich wende mich nicht der Kriegsberichterstattung zu, weiterhin. Sie erscheint mir für viele ein Ausweg aus dem Dilemma, im Krieg aber nicht im Kampf zu sein und zugleich sich ablenken zu lassen, weg von der Wirklichkeit.
*
Kann man das alles überbrücken, die reale Perspektive einer erodierenden Evolution unserer Gesellschaften und das, was uns in Wahrheit helfen würde, die grauenvollen Vorboten abzuwenden: Klima, Hunger, Weltkrieg, Verblödung? Wiederum keine Angst: es bleibt uns eh nichts anderes übrig, oder?
Unausgeschlafene Kämpfer und Kämpferinnen für die Freiheit schießen daneben. (für uns geht es um mehr Freiheit, für die meisten erst einmal um Befreiung)
Unwissende straucheln nicht beim Angriff, sondern bei der rettenden Flucht (man muss die Karten lesen können!)
Eines teilen wir mit den Unterdrückten und Bedrückten: die Notwendigkeit des nächsten Tags, das muss Alltag werden. Ihr erinnert euch an mein wichtigstes Gedicht, „Alle Tage“ von Ingeborg Bachmann. Hier zum wiederholten Mal, täglich:
INGEBORG BACHMANN
Alle Tage
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
1953 (Piper 1978)
Was daran auch wichtig ist, dass wir uns den Stern der Hoffnung nicht erfinden müssen, ihn erwerben können durch Handeln. Und das geschieht nicht nur im Kampf, wo „man“ sich beweisen müsste, und dann fallen sie, eine(r) nach der/m andern. Der Freund ist hier im Alltag, die Geheimnisse lähmen die Gerechtigkeit und das soziale Leben, die Befehle sind etwas anderes als die selbst und mit-verantwortete Ordnung. Was für den Kalten Krieg galt, der außerhalb unserer Wohlfühlzelle so kalt nicht war, nie war, gilt heute genauso.
*
Was hat das mit dem späten Frühlingstag zu tun? es hat ein wenig, ganz wenig geregnet – und man freut sich, rauszugehen und nass zu werden und die Bäume aufatmen zu hören. Man hört vom Widerstand gegen die Umweltgangster der großen Landwirtschaft, die rücksichtlos die letzten Lebewesen von den Äckern vertreiben wollen. Man erfährt die Trumpside von Elon Musk, der nicht nur Autos anbaut; Man hört Habeck und versteht, dass Davos nicht sein muss, aber wenn es ist, sich verändern muss. Man lernt, dass Geflüchtete, die einmal hier sind, hierbleiben müssen und nicht abgeschoben werden dürfen – da können wir Befehle missachten, damit Richtiges geschieht.
Der Flieder ist abgeblüht, die Pfingstrosen wachsen. Wie oft wird wer das noch erleben, in Jahreszyklen, die immer unwahrscheinlicher werden.
Diesmal via Signal, weil ich meine Mediendatei hier nicht ohne viel technisches Nachdenken einstellen konnte… Gruß
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Danke Gux. Wenn wir heute van Veen hören, klingt das wie von einem andern Planeten oder aus einer anderen zeit, wo vielleicht auch andere wesen mit einander umgegangen und etwas angehört hatten. man hört va veen und dann geht man „wohin“….danke. michael
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