Wenn die Not am größten ist, zeigt sich a) das Rettende auch, wenn aber nicht b) gewöhnen sich die Menschen an die Not, und dauert diese an c) wird sie als nicht so schlimm oder gar als lebenswerte Alternative gewendet.
Ich bin nicht Hölderlin, also scheidet a) aus. Dafür sind b) im Übergang zu c) der Rahmen, in dem wir die in die Hitzewelle, Wasserknappheit und Trockenheit hineintorkeln, als ob nicht manche PolitikerInnen sinnvolle und viele von ihnen blödsinnige Vorschläge raussprudeln würden, ermattet und aufgeweicht durch das Sommerwetter.
Das Klima wird verdrängt durch Russlands Angriffskrieg, die Ukraine in Not wird verschoben, wenn die Raumtemperatur im Winter unter 17° fallen sollte, die Staatshilfen werden dafür gespalten in Hilfen für alle (Reichen) und die weniger Wohlhabenden und besonders Not Leidenden (die Armen). Ja, es gibt im reichsten großen Land Europas viele Arme; das ist den neoliberalen Markttrotteln egal, weil sie nur in ihrer gegenwärtigen Lebenszeit denken können, und es ist den Spitzenbürokraten egal, weil sie alle Probleme mit der engführenden Planwirtschaft des „Wir wollen“ abfangen.
Währenddessen beobachte ich mit vielen anderen (Gleichdenkenden?) wie die tatsächliche katastrophale Häufung dazu führt, dass der klassenübergreifende Pöbel die Probleme aufschiebt (AKW Fortführung) anstatt Konflikte regeln zu wollen (dass wir alle im Banne der Kriege leiden werden, ist klar, und die Regelung bestünde darin, die enormen sozialen Spannungen zwischen den besser Gestellten und der breiten Masse abzubauen. Stattdessen brüllen die Inselmagnaten Freiheit! Und die Bürokraten Gerechtigkeit!).
Das alles ist eigentlich nicht neu und lässt sich durch Realpolitik nicht nachhaltig ändern. Aber genau die wird gefordert, vor allem die Liberalen sehen darin „Entideologisierung“. Über all das kann man reden, soll man nachdenken, und vor allem, wir müssen handeln. Dass sich die aufgeregten Halbdenker nach wie vor mehr über die documenta 15 und den Konflikt zwischen Antisemitismus und Antikolonialismus erregen als über Morde an jüdischen und ausländischen Menschen, zeigt nur, wieviel an unseren Potenzialen schon beschädigt ist.
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Wie immer, geht es mir nicht um die weitere Kommentierung des bis zur Unkenntlichkeit kommentierten Geschehens an der Oberfläche unserer Gesellschaft. Dazu reichen die Kolumnen der besseren Medien, die aber die nicht die Meinungsbildung des Pöbels beherrschen. Ihr fragt, warum ich vom Pöbel spreche. Man denkt an Brot und Spiele, an die Populisten, Le Pen, Trump, auch bei uns gibt’s die, aber ich meine damit noch mehr: Pöbel, das sind die Gegenwärtigen, die sich nicht vorstellen können, wie ihre Kinder und Enkel in Zukunft nicht besser leben können, sondern schlechter.
Viele von uns hatten 1989, bei Überwindung des alten Kalten Kriegs gedacht, die aufkommende Demokratie würde den Klassenkonflikt beenden, so wie das Ende der Geschichte wohl angekommen sei. Von Nord/Süd war überraschend wenig die Rede. Zwanzig Jahre davor war auch wenig die Rede davon, wie viele Gesellschaften im Zuge der Entkolonialisierung in neue Formen der Diktatur übergehen würden, und davor…Befreiung von einem Übel heißt nicht Freiheit von jedem anderen Übel. Trivial? Wohl nicht, sonst hätte man vielleicht anders mit alle dem umgehen können.
Es klingt seltsam: aber ich denke, dass ein angestrebter Kompromiss immer falsch ist und der Demokratie schadet. Ein Kompromiss als Ergebnis des ausgetragenen Konflikts kann, muss nicht, die einzige, beste Alternative sein.
Dass man den Konflikt in der Demokratie austragen kann, wird heute bezweifelt. Manche träumen von der Ökodiktatur, andere von der Zwangsverteilung des potenziellen Reichtums. Dahinter steckt oft eine gute Absicht. Aber die Voraussetzung einer Änderung der Verhältnisse zum Guten ist ja nicht einfach, richtiger und besser als bisher am Objekt zu handeln (=Politik statt Meinung, oft auch Befreiung statt Freiheit). Da sind ja auch noch wir.
Rilke dichtet dazu: …denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern. (1908, Archäischer Torso Apolls).
Da geht es auch um die Tatsache, dass wir angesehen werden von den Objekten, in diesem Fall von der Schönheit einer Skulptur. Peter Sloterdijk, den ich nicht mag, hat einem seiner guten Bücher diesen Titel gegeben „Du musst dein Leben ändern“ (Suhrkamp 2012), es kommt nicht darauf ein, seine These nachzuvollziehen. Vielmehr ist wichtig, dass wir unser Leben ändern (nicht unbedingt verbessern!!!), damit wir mit dem umgehen können, was uns ansieht: und das ist ja das Ende der Gattung durch unsere Untätigkeit.
Zu apokalyptisch? Schaut euch verdursteten Viehherden an. Den Gletscherabbruch. Das weiche Hirn der Aufschubpolitik.