Weil ich mich aus den Kommentaren zum Krieg Russlands gegen die Ukraine (und Europa) weitgehend heraushalte, darf ich einmal eine Ausnahme machen. Einstieg: Begriffskrieg: Norbert Frei beschreibt in der Süddeutschen die unterschiedlichen Auffassungen zur deutschen Haltung in diesem Krieg (SZ 22.7.2022, und dabei geht es auch um die Analogien zu Hitlers Krieg und zum Faschismus. Da gibt es die zwei Seiten, Adam Tooze hält die Deutschen eher für eine gelungene postheroische Gesellschaft, aber Timothy Snyder verfolgt eine Faschismusthese, auch im Detail. Das kennen wir, dazu sage ich schon genug. Aber dann gibt es eine Passage: In Russland fehlt die Massenbewegung, die den Führer stützt, dafür gibt es eine Reihe anderer, diktatorischer Regime, die sowohl von den Massen getragen werden als auch die Merkmale faschistischer Systeme tragen.
Das ist schon ein besserer Leitartikel als viele zum Thema. Aber zum letzten Punkt habe ich eine Perspektive, die mit dem Krieg gegen die Ukraine wenig zu tun hat, mehr mit der Frage, ob wir der Illusion der Demokratisierung weltweit nach 1989 erlegen sind. Ich spreche von Illusion, also einer unvollkommen begründeten Wunschvorstellung. In unseren Zeiten (1968) und davor, in der Zeit der Dekolonialisierung, war die Illusion, dass die Befreiung von FremdHERRSCHAFT zur Demokratie führen würde. In den meisten Fällen gab es aber Überginge in neue Formen der Diktator und autoritären Staatssystemen. Und bis heute ist der Nord/SüdKonflikt noch immer eingekleidete in verlogene Markt- und Wachstumsideologien der globalen Ökonomie.
Das ist nicht neu, aber nicht Gegenstand von Allgemeinbildung und weithin geteiltem Politikverständnis. Ich bin zunehmend Bildungs-skeptisch geworden und setze mehr auf Wissen und Wahrnehmung. Wenn heute die Klimakrise die dominierende unabhängige Variable ist, wo gehört dann die Demokratie hin? und wie kann sie den Unsinn von Wachstum als Motor für (angestrebte) soziale Gerechtigkeit ausbremsen?
Desillusioniert kann man sagen, dass es keine lupenreinen Demokratien gibt, dass vielleicht ein Viertel der Staaten weltweit demokratisch strukturiert sind, genauso viele sind lupenreine Diktaturen und der Rest tendiert mehr zu diesen als zur Demokratie. Die postkoloniale Weltökonomie ist kolonial, auch im Inneren, also im nationalen und subnationalen, und die angestrebte globale Demokratie kann schon durch das Gerülpse von China und Russland im Sicherheitsrat oder den Selbstentzug einer Weltjustiz wie durch die USA ausgehebelt werden. Es triumphiert der so genannte Exzeptionalismus (den Begriff habe ich nicht erfunden, er sagt nur, dass ein Staat oder eine Gesellschaft für sich Ausnahmeregeln vom ansonsten durchaus vertretenen universalen Anspruch verlangt, und natürlich sind die Atommächte da im Vorteil).
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Ich mache keine politischen Vorschläge, wie denn auch auf einer Seite. Aber ich verlange, dass sich Demokratie dort ausbilden kann, wo die Menschen wissen, was der Fall ist, und worum es geht, wenn es z.B. im Winter zuhause weniger warm wird. Lassen Sie einmal einen der Demagogen zum Thema das den so genannten Massen erklären, anstatt den richtig argumentierenden Habeck als pessimistisch anzugreifen, wie der Blackrockmanager Merz tut; und, auf noch höherer Ebene: nehmen Sie sich die Mühe, den wirklichen Zusammenhang zwischen Putins Angriffskriegen seit der Krim und unserem Wirtschaftsgefüge erklären, anstatt die Behauptungen dazu immer und immer wieder auszumalen, bis die Menschen die Begriffe sich wie Implantate nicht mehr rausnehmen können. Erklären kann Demokratie sein, wo Behauptungen nur Wandmalereien sind. Auch die Unterscheidung ist Demokratie (bzw. ihr Gegenteil, wenn der Diktator Putin Krieg durch Militäraktion ersetzt, ist das wie in „1984“, wo das Kriegsministerium Friedensministerium heißt).
Zurück zum Anfang: Faschismus, Kommunismus und andere undemokratische Herrschaftsformen haben meist die Massen inspiriert, indem sie ihnen die Sprache entfernt und in verheerend anderer Form zurückgegeben haben. Wo die Massen nicht folgen, werden sie gefoltert und in Angst gehalten, das ist übrigens auch dort der Fall, wo sie „eigentlich“ ihrem Führer folgen wollen, wenn es nur für die persönlich nicht so schrecklich ausgeht wie für die, die es nicht besser verdien.
Hat dies auf Blog Ruud Merks rebloggt.
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