Das Ende der Menschen auf dieser Erde, kein Thema zum Frühstück. Gestern ordne ich einen Teil meiner Bibliothek neu, und die Zukunftsvisionen aus 70 Jahren stehen – heute unlesbar – im Staub der Jahre. Den Staub wirbeln auch einige in der deutschen Politik auf, um zu verschleiern, wie weit – im internationalen Vergleich und gegenüber den eigenen Ansprüchen – dieses Land heruntergefahren wurde.
Ich war immer ein Anhänger der zweiten Reihe, des 4. FC Köln, der 2. Kirche des heiligen Filucius oder 7. Sparkasse von Gunzenhausen. Das kommt daher, dass die politische Wirkung der Ordnung – „Erste(r)“ sein, ungeheuer und langfristig ist. Dahinter steckt eine marktliberale Ideologie seit je her. Darum wollte die Wirtschaft immer schon die Marktführerschaft, kann man verstehen, wenn man Marx vor den Sozialisten verstanden hat; die Kultur wollte immer die Bildungsführerschaft, da ist Deutschland längst ins Mittelfeld abgerutscht; die Klimarettungsführerschaft ist jedenfalls bei uns nicht verortet.
Wer deutschdeutsch heimatverbunden und patriotisch ist, fragt giftig, wo ist es denn besser? Und schon gibt es einen ärgerlichen Disput. Aber in manchen Detailfragen ist die Antwort undeutsch: die Eisenbahn ist in Österreich und der Schweiz besser, das Bildungssystem ist in Skandinavien besser, die Digitalisierung ist in fast allen Bürokratien besser als hier. Und ja, wir können genau sagen oder auch nur vorurteilig sagen, wo es schlechter ist, z.B. im Gesundheitssystem oder in der Forschung, und, vor allem, in dem was wir gemeinhin Lebensstandard nennen.
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Gegenwärtiger Disput um die Kernenergie ist typisch: der gegenwärtige Bedarf verkleinert Gefahren und Risiken, Endlager spielt so wenig Rolle wie eine tatsächliche Kalkulation. Oder Disput um Hilfe für die Ärmeren: Milde Gaben von oben, aber um Himmelswillen keine Gerechtigkeit (siehe Blog 31.7.22). Wo immer die Neoliberalen mitreden, ist der Begriff der Freiheit versaut. Und wo immer die staatliche Verwaltungstradition sich nicht bewegt, ist der Begriff des Wandels verholzt. Es gibt keinen Klimawandel, und die Polizei ist die Polizei und das Amt ist das Amt, das sollen die verdammten Undeutschen endlich kapieren. Das ist Alltag.
Zurück zu den Ordinalzahlen: sie sind das Werkzeug jeder Vertikale der Macht, Erster sein wollen ist ein Lebensgefühl (nur fragen, sogar im Sport, die wenigsten, wobei man Erste(r) sein möchte, auch warum und wozu? sind keine sinnlosen Fragen. Oft ist die Antwort: Wettbewerb, selten ist sie : Solidarität, und nur wenigen ist sie durch die Bank gleichgültig (nach dem Motto: Dabei sein ist alles).
Und was ist daran nun wirklich deutsch, typisch deutsch? Dass diese Gesellschaft so spät eine geworden ist, und jetzt alles viel kleinmütiger legitimieren will als andere, man will auch bei der Selbstreinigung Weltmeister sein. Was man dabei am Rande liegen lässt oder verdrängt, ist egal. Das gilt für die Antisemitismusdebatte so gut wie für Angst vor Kälte so gut wie für die Furcht, von jemandem (institutionell, staatlich) nicht gemocht und nach vorne gereiht zu werden. (Historisch gab es so etwas immer für Staaten im Übergang von Kolonialismus zur Selbstbestimmung, aber das sollten wir schon hinter uns haben?).