Geschickt war es nicht, wie der Arbeitgeber von Gesamtmetall Wolf angeregt hatte, das Renteneintrittsalter auf 70 zu erhöhen, und richtig war, demographische Gründe anzugeben. (Vgl. S. 2/9 der S/ 2.7.2022).
Der Chor der wütenden Kritiker hat sofort alle Vernunft erstickt. Mit dem Vorschlag würden die Renten ja abgesenkt, und viele könnten gar nicht mehr arbeiten, und überhaupt, der Sozialstaat mit seiner Dreiteilung Ausbildung-Arbeit-Altersfreizeit geriete in Gefahr.
Der Kapitalistenanführer Wolf hat aber Recht, wenn er auf die demographische Realität verweist, dass immer weniger jüngere ArbeitnehmerInnen für immer mehr Ältere Sozialleistungen zahlen. Dahinter steckt nicht nur die Geburtenrate, sondern insgesamt eine Verarmung der ArbeitnehmerInnen, die durch die von der FDP geförderte Abspaltung der Bedürftigen in Almosenempfänger der Wohlhabenderen noch gefördert würde.
Die Kritiker Wolfs haben aber einen anderen richtigen Punkt: die höhere Arbeitsdichte und die Belastung durch Arbeit sind für viele – da dürfen sie nicht verallgemeinern – ein Argument, früher und nicht später in den Ruhestand zu gehen. ? Noch früher ? Arbeitsunfähigkeit ist für viele Berufe sozialstaatlich geregelt, vielleicht nicht optimal: dann kann man das verbessern. Aber das Argument „Stress und Arbeitsdichte“ (SZ 2.8.2022) gilt nicht für alle Tätigkeiten und Berufe.
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Modisch sprechen heute viele von der Life-Work Balance. Die muss man sich erstmal leisten können.
Man könnte da theoretisch weit zurückgehen in der Geschichte des Klassenkampfs, zu Marx, zum Ausgedinge für Alte auf dem Land, zur Theorie von geistiger und körperlicher Arbeit Alfred Sohn-Rethel, zu den unentwegten Tarifverhandlungen. Daraus schließen manche zu Unrecht, es sei doch alles besser als früher und im Prinzip zwar reformbedürftig, aber in Ordnung.
Ist es nicht.
Auch die Gewerkschaften, Sozialverbände usw. denken in den schon von Marx kritisierten anthropologischen und gesellschaftlichen Kategorien der Lohnarbeit, und dann muss auf eine Arbeitsphase eine freizeitliche Pensionsphase folgen. Warum wird nicht die lebenslange Tätigkeit als Maßstab genommen, und dann käme man schnell zu weniger verdichteten aber befriedigenderen Arbeitsprofilen, inklusive der jüngeren ImmigrantInnen, die auch einmal älter werden.
Ach ja, ich habs vergessen: die soziale Schieflage kann man schon durch wirksame Steuererhöhungen für die Besserverdienenden, durch Vermögenssteuer usw. weitgehend entschärfen, das stört zwar die Lindnersche Blase, aber könnte manche Debatte sachlicher und wirksamer machen.
P.S. Ganz persönlich habe ich nie verstanden, warum einerseits akademische Positionen bei uns spätestens mit 68 enden, obwohl man mit weniger Nettoeinkommen ab diesem Datum sinnvoll für die Studierenden und in der Forschung weiter arbeiten könnte.