-reich: die Nachsilbe der Zeit

Österreich war immer regenreich (Salzburg), ärztereich (Stadt), und Österarm war immer bedürftig, wenn es um Ärztemangel, Lehrlingsmangel, Anstandsarmut und soziale Deklassierung geht. Sprachspielreich gehört zum Reichtum, Empathiearmut zur unendlichen Kritik, die das Land vor den Unterwerfungsriten des deutschen Nachbarn und den Aufgeblasenheiten der östlichen Diktaturen absetzt. Es gibt nichts, worüber man sich nicht aufregen kann, um dann, zurücksinkend ins Ruhekissen, festzustellen, dass man eh nichts machen kann.

Die Tradition von sexuellem Missbrauch, Folter und dummen Jenseitsversprechen hat die katholische Kirche nie daran gehindert, schöne Kirchen zu bauen; und die Verschlamptheit von Politik und Wirtschaft hat Österreich nicht daran gehindert, mehrheitlich wohlhabend, kulturell dynamisch und kontrovers, also gut, und einigermaßen umweltbewusst so reich zu werden, dass Österarm aus dem Blick geraten ist. Da sitze ich Wien an einem sehr heissen Morgen, verärgert über alle möglichen Widrigkeiten meiner Projektarbeit, und genieße doch die herrliche Stadt, deren Misslichkeiten alle wahrnehmbar an der Oberfläche liegen und die keine Zeitwende braucht, um an ihre dunkle Unterseite zu gemahnen. Soweit das LOBLIED.

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Ich wartete ein paar Minuten auf meinen Arbeitskollegen und sitze im schattigen Resselpark, mich auf eine Besprechung vorbereitend: Viel Polzei um die Unterführung zu den U Bahnen, am drogt ja hier zentral. An meinen Parktisch setzt sich eine mittelschwangere junge Frau, und in Sekunden, weiß ich, was jetzt kommt. Höfliche Nebensitzanfrage, und ob ich mich Wien auskenne. Und dass sie ihre kranke Mutter besuche, mit Krebs im AKH liegt. und ob ich Arbeit für sie habe, Putzhilfe oder irgendetwas. Meine Vorahnung bestätigt sich. Die Bosnierin mit einem Touristenvisum muss sechs Wochen durchstehen, dann kann sie zurück, muss sie zurück in ihre Heimat auf einen gutbezahlten Job als Lehrerin. Nichts an der Geschichte in gutem Deutsch vorgetragen stimmt so richtig. Sie bekommt keine Hilfe bei der Caritas, weil sie kein Flüchtling ist. Auch beim Roten Kreuz. Ich frage wo sie wohnt. Bei ihrer Mutter. Was das Problem wirklich sei (Bingo, das hatte ich gewusst): ob ihr Geld für eine Mahlzeit geben könnte. Was möglich und wirklich wurde, und ich mache mich vom Acker, als sie Anstalten macht, sich an mich zu hängen.

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Im Kleinen, im Individuellen, habe ich mich wie die Politik der Lindners & etc. verhalten. Almosen nach Unten, solange es die eigene Situation nicht einschränkt oder beeinträchtigt. Mehr als Adressen von NGOs anbieten und ein wenig Geld…das Muster ist ewig, und anstatt mich zu vergewissern, dass das jedenfalls nicht falsch oder unwürdig war, blieb ein Gefühl strukturellen und politischen Unbehagens. Wie denn auch nicht. Ich glaube, die Fokussierung erfolgte über das Touristenvisum. Bei Flüchtlingen wäre der karitative Spielraum vielleicht größer gewesen, bei erkennbarer Notlage – keineswegs in diesem Fall – hätte ich vielleicht sie an jemanden Hilfsfähigen verweisen können. Unvermittelt habe ich eine Form von österarm getroffen.

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Es war nicht einmal ein Vorfall, ein Ereignis, kein Event. En passant ein Blick in die noch nicht vernarbte soziale Wahrnehmung. Eingangs habe ich einen Hinweis auf die Differenz zu Deutschland gegeben und frage jetzt: ist es nicht überall gleich? Nicht ganz, und diese Differenz ist oft ums Ganze. Das „Schicksal“ der jungen Frau war wie ein Vorzeichen eines im ganzen unerfreulichen Arbeitstages. Und der wiederum ging übergangslos in eine Musikveranstaltung im Wiener Rathaus, wo tausend Menschen sich einer Gedenkveranstaltung an Bronner & Kreisler (beide 100…) mit Liedern und Anekdoten präsentierten, das war öster-reichisch, und wenn man in der Millionenstadt doch eine Reihe von Menschen kennt und erkennt, dann kommt Öster-arm in den bejubelten Texten vor, nicht im eigenen Leben. so geht Kultur auch.

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