Russen auf Semmel/Brötchen

wer in Wien aufwächst, weiß was Russen sind. In Deutschland sagt man Bismarckheringe zu diesen eingelegten Fischen, die natürlich importiert werden, meist aus Deutschland. Die politische Korrektheit verbietet die Verwendung des Wortes in irgendeinem politischen und kulturellen Zusammenhang, kulinarisch sind nur geringe Konflikte aufgetreten – bis vor kurzem. Jetzt sind Russen aggressive Kriegspartei gegen die Ukrainer, nach denen kein Fisch im Volksmund benannt ist. Und schon der Vergleich eines stolzen imperioalistischen Volkes mit einem Hering führt zu möglicher Anklage mit Gulag-Androhung. Es gibt ja bekanntlich auch keinen Krieg, hat der Führer im Kreml dekretiert, also darfst du auch nicht Krieg sagen. Als mir vor ein paar Tagen an einem Imbiss eine Russensemmel angeboten wurde, wollte ich schon die Korrektur anmahnen, dann war mir aber klar, dass ers vielleicht eine Provokation eines gute getarnten Spion gewesen sein könnte, und außerdem wissen meine deutschen Freunde ohnedies nicht, was eine wirkliche Semmel, gar eine Kaisersemmel ist, sowenig die Wiener etwas mit den verschiedenen Brötchensorten anfangen können. Und kaisersemmel würde ja zu Bismarck besser passen als zum Russen, ob mit oder ohne Zwiebel und Wacholder und Senfkörnern. Also kauf ich mir keinen Fisch, sondern ein veganes Würstchen, das dem Urfleisch so nahe steht wie der Leberkäs der Leber und dem Käse, jedenfalls aber Semmel-geeignet. Die Entpolitisierung des Begriffs hat den Konflikt um politisch korrekte Sprache überhaupt erst in mir aufgewühlt. Denn da 25% der empathielosen Österreich gegen die Sanktionen sind (Zeitungen 20.8.), möchte ich vermittelnd vorschlagen, die Sanktionen zu beenden, dafür dürfen wir wieder Russen sagen ohne gleich blau anzulaufen. Das wäre Realpolitik und ein Beitrag zu allgemeiner Entspannung. Und ich bin ohnehin in einem Monat ohne r, also kann man Fische nicht braten oder einlegen, gäbe es überhaupt noch Russen aus der Ostsee.

*

Eigentlich gut, wie sprachsensibel die Menschen geworden sind vom Tollen Hecht wird so wenig gesprochen wie vom Backfisch, nach dem Mann der Fotrelle fragt niemand, und die Fischgrete kommt nach der neuen Rechtschreibung nur im Faust vor.

Als Ergebnis meiner insgesamt gelungenen Umerziehung zum Gebrauch grammatischer Fallstricke fühle ich mich befreiter denn je. Wer wollte schon Heringe mit einem Diktator vergleichen, ich meine Bismarck.

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